Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Buch. §. 74.
besiegen bisher wohl noch kein einziges Volk der Erde bei ernstem
Gegenstreben der Uebrigen vermocht hätte, müßte jene Herrschaft
gewiß allezeit als eine rechtlose erscheinen, da sie den allgemeinen
Menschenrechten zuwider läuft, mit welcher Milde sie auch immer
ausgeübt werden möchte. Das Gesetz des Meeres und seiner Be-
nutzung wäre nämlich ein allen übrigen Menschen außer der herr-
schenden Nation wider Willen aufgedrungenes, rücksichtlich eines
Elements, welches den einzigen möglichen Verbindungsweg unter
den dadurch ganz getrennten, bewohnten und bewohnbaren Erdthei-
len darbietet, folglich auch nicht der freien Begegnung verschlossen
werden darf; welches ferner in seiner sich stets bewegenden Sub-
stanz und in dem Inhalt derselben an Fischen, Fossilien und dgl.
einen reichen Naturschatz zu einer gleichartigen Benutzung für alle
Menschen umfaßt, woran kaum für gewisse Districte durch Tita-
nenarbeit ein ausschließendes Privateigenthum erlangt werden könnte.
Da nun an und für sich kein Mensch in der natürlichen Herrschaft
eines andern steht, so bald er sich zur sittlichen Selbständigkeit des
Willens erhoben hat: so wird auch das Gesetz eines einzelnen Vol-
kes über eine gemeinsame Sache Aller kein verbindliches Gesetz für
die Uebrigen ohne deren freie Annahme sein, vielmehr zu jeder Zeit
und mit allen Mitteln bekämpft werden dürfen. Zu allen Zeiten hat
sich auch ein Widerspruch dagegen erhoben, und es giebt daher nach
dem positiven Europäischen Völkerrecht durchaus keine gesetzliche
Oberherrschaft über das Weltmeer oder dessen einzelne Theile, so
fern sie nur irgend einzelnen Völkern und Individuen zugänglich
und nicht entgegenstehende Zugeständnisse ausdrücklich oder stillschwei-
gend gemacht sind, wozu inbesondere in Betreff einzelner Wasserge-
biete der gemeinsame Nutzen führen kann, indem man die Schiff-
fahrts- und Handels-Interessen unter den regulatorischen Schutz
des nächstgelegenen Küstenstaates stellt und ihm eine gewisse Gesetz-
gebung und Polizeigewalt, oder auch noch größere Rechte, so wie
gewisse Nutzungen, gestattet, und dafür den Vortheil einer desto
ungehinderteren Benutzung der Gewässer genießt. Außerdem fließen
auch noch gewisse Staatenrechte über bestimmte Theile des Was-
sergebietes ganz von selbst aus der Befugniß der Selbsterhaltung
(§. 76.).

Dagegen ist die privative Erwerbung eines auch noch so klei-
nen Theiles des großen gemeinsamen Meergebietes für einen Staat

Erſtes Buch. §. 74.
beſiegen bisher wohl noch kein einziges Volk der Erde bei ernſtem
Gegenſtreben der Uebrigen vermocht hätte, müßte jene Herrſchaft
gewiß allezeit als eine rechtloſe erſcheinen, da ſie den allgemeinen
Menſchenrechten zuwider läuft, mit welcher Milde ſie auch immer
ausgeübt werden möchte. Das Geſetz des Meeres und ſeiner Be-
nutzung wäre nämlich ein allen übrigen Menſchen außer der herr-
ſchenden Nation wider Willen aufgedrungenes, rückſichtlich eines
Elements, welches den einzigen möglichen Verbindungsweg unter
den dadurch ganz getrennten, bewohnten und bewohnbaren Erdthei-
len darbietet, folglich auch nicht der freien Begegnung verſchloſſen
werden darf; welches ferner in ſeiner ſich ſtets bewegenden Sub-
ſtanz und in dem Inhalt derſelben an Fiſchen, Foſſilien und dgl.
einen reichen Naturſchatz zu einer gleichartigen Benutzung für alle
Menſchen umfaßt, woran kaum für gewiſſe Diſtricte durch Tita-
nenarbeit ein ausſchließendes Privateigenthum erlangt werden könnte.
Da nun an und für ſich kein Menſch in der natürlichen Herrſchaft
eines andern ſteht, ſo bald er ſich zur ſittlichen Selbſtändigkeit des
Willens erhoben hat: ſo wird auch das Geſetz eines einzelnen Vol-
kes über eine gemeinſame Sache Aller kein verbindliches Geſetz für
die Uebrigen ohne deren freie Annahme ſein, vielmehr zu jeder Zeit
und mit allen Mitteln bekämpft werden dürfen. Zu allen Zeiten hat
ſich auch ein Widerſpruch dagegen erhoben, und es giebt daher nach
dem poſitiven Europäiſchen Völkerrecht durchaus keine geſetzliche
Oberherrſchaft über das Weltmeer oder deſſen einzelne Theile, ſo
fern ſie nur irgend einzelnen Völkern und Individuen zugänglich
und nicht entgegenſtehende Zugeſtändniſſe ausdrücklich oder ſtillſchwei-
gend gemacht ſind, wozu inbeſondere in Betreff einzelner Waſſerge-
biete der gemeinſame Nutzen führen kann, indem man die Schiff-
fahrts- und Handels-Intereſſen unter den regulatoriſchen Schutz
des nächſtgelegenen Küſtenſtaates ſtellt und ihm eine gewiſſe Geſetz-
gebung und Polizeigewalt, oder auch noch größere Rechte, ſo wie
gewiſſe Nutzungen, geſtattet, und dafür den Vortheil einer deſto
ungehinderteren Benutzung der Gewäſſer genießt. Außerdem fließen
auch noch gewiſſe Staatenrechte über beſtimmte Theile des Waſ-
ſergebietes ganz von ſelbſt aus der Befugniß der Selbſterhaltung
(§. 76.).

Dagegen iſt die privative Erwerbung eines auch noch ſo klei-
nen Theiles des großen gemeinſamen Meergebietes für einen Staat

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0156" n="132"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;tes Buch</hi>. §. 74.</fw><lb/>
be&#x017F;iegen bisher wohl noch kein einziges Volk der Erde bei ern&#x017F;tem<lb/>
Gegen&#x017F;treben der Uebrigen vermocht hätte, müßte jene Herr&#x017F;chaft<lb/>
gewiß allezeit als eine rechtlo&#x017F;e er&#x017F;cheinen, da &#x017F;ie den allgemeinen<lb/>
Men&#x017F;chenrechten zuwider läuft, mit welcher Milde &#x017F;ie auch immer<lb/>
ausgeübt werden möchte. Das Ge&#x017F;etz des Meeres und &#x017F;einer Be-<lb/>
nutzung wäre nämlich ein allen übrigen Men&#x017F;chen außer der herr-<lb/>
&#x017F;chenden Nation wider Willen aufgedrungenes, rück&#x017F;ichtlich eines<lb/>
Elements, welches den einzigen möglichen Verbindungsweg unter<lb/>
den dadurch ganz getrennten, bewohnten und bewohnbaren Erdthei-<lb/>
len darbietet, folglich auch nicht der freien Begegnung ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
werden darf; welches ferner in &#x017F;einer &#x017F;ich &#x017F;tets bewegenden Sub-<lb/>
&#x017F;tanz und in dem Inhalt der&#x017F;elben an Fi&#x017F;chen, Fo&#x017F;&#x017F;ilien und dgl.<lb/>
einen reichen Natur&#x017F;chatz zu einer gleichartigen Benutzung für alle<lb/>
Men&#x017F;chen umfaßt, woran kaum für gewi&#x017F;&#x017F;e Di&#x017F;tricte durch Tita-<lb/>
nenarbeit ein aus&#x017F;chließendes Privateigenthum erlangt werden könnte.<lb/>
Da nun an und für &#x017F;ich kein Men&#x017F;ch in der natürlichen Herr&#x017F;chaft<lb/>
eines andern &#x017F;teht, &#x017F;o bald er &#x017F;ich zur &#x017F;ittlichen Selb&#x017F;tändigkeit des<lb/>
Willens erhoben hat: &#x017F;o wird auch das Ge&#x017F;etz eines einzelnen Vol-<lb/>
kes über eine gemein&#x017F;ame Sache Aller kein verbindliches Ge&#x017F;etz für<lb/>
die Uebrigen ohne deren freie Annahme &#x017F;ein, vielmehr zu jeder Zeit<lb/>
und mit allen Mitteln bekämpft werden dürfen. Zu allen Zeiten hat<lb/>
&#x017F;ich auch ein Wider&#x017F;pruch dagegen erhoben, und es giebt daher nach<lb/>
dem po&#x017F;itiven Europäi&#x017F;chen Völkerrecht durchaus keine ge&#x017F;etzliche<lb/>
Oberherr&#x017F;chaft über das Weltmeer oder de&#x017F;&#x017F;en einzelne Theile, &#x017F;o<lb/>
fern &#x017F;ie nur irgend einzelnen Völkern und Individuen zugänglich<lb/>
und nicht entgegen&#x017F;tehende Zuge&#x017F;tändni&#x017F;&#x017F;e ausdrücklich oder &#x017F;till&#x017F;chwei-<lb/>
gend gemacht &#x017F;ind, wozu inbe&#x017F;ondere in Betreff einzelner Wa&#x017F;&#x017F;erge-<lb/>
biete der gemein&#x017F;ame Nutzen führen kann, indem man die Schiff-<lb/>
fahrts- und Handels-Intere&#x017F;&#x017F;en unter den regulatori&#x017F;chen Schutz<lb/>
des näch&#x017F;tgelegenen Kü&#x017F;ten&#x017F;taates &#x017F;tellt und ihm eine gewi&#x017F;&#x017F;e Ge&#x017F;etz-<lb/>
gebung und Polizeigewalt, oder auch noch größere Rechte, &#x017F;o wie<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;e Nutzungen, ge&#x017F;tattet, und dafür den Vortheil einer de&#x017F;to<lb/>
ungehinderteren Benutzung der Gewä&#x017F;&#x017F;er genießt. Außerdem fließen<lb/>
auch noch gewi&#x017F;&#x017F;e Staatenrechte über be&#x017F;timmte Theile des Wa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ergebietes ganz von &#x017F;elb&#x017F;t aus der Befugniß der Selb&#x017F;terhaltung<lb/>
(§. 76.).</p><lb/>
            <p>Dagegen i&#x017F;t die privative Erwerbung eines auch noch &#x017F;o klei-<lb/>
nen Theiles des großen gemein&#x017F;amen Meergebietes für einen Staat<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0156] Erſtes Buch. §. 74. beſiegen bisher wohl noch kein einziges Volk der Erde bei ernſtem Gegenſtreben der Uebrigen vermocht hätte, müßte jene Herrſchaft gewiß allezeit als eine rechtloſe erſcheinen, da ſie den allgemeinen Menſchenrechten zuwider läuft, mit welcher Milde ſie auch immer ausgeübt werden möchte. Das Geſetz des Meeres und ſeiner Be- nutzung wäre nämlich ein allen übrigen Menſchen außer der herr- ſchenden Nation wider Willen aufgedrungenes, rückſichtlich eines Elements, welches den einzigen möglichen Verbindungsweg unter den dadurch ganz getrennten, bewohnten und bewohnbaren Erdthei- len darbietet, folglich auch nicht der freien Begegnung verſchloſſen werden darf; welches ferner in ſeiner ſich ſtets bewegenden Sub- ſtanz und in dem Inhalt derſelben an Fiſchen, Foſſilien und dgl. einen reichen Naturſchatz zu einer gleichartigen Benutzung für alle Menſchen umfaßt, woran kaum für gewiſſe Diſtricte durch Tita- nenarbeit ein ausſchließendes Privateigenthum erlangt werden könnte. Da nun an und für ſich kein Menſch in der natürlichen Herrſchaft eines andern ſteht, ſo bald er ſich zur ſittlichen Selbſtändigkeit des Willens erhoben hat: ſo wird auch das Geſetz eines einzelnen Vol- kes über eine gemeinſame Sache Aller kein verbindliches Geſetz für die Uebrigen ohne deren freie Annahme ſein, vielmehr zu jeder Zeit und mit allen Mitteln bekämpft werden dürfen. Zu allen Zeiten hat ſich auch ein Widerſpruch dagegen erhoben, und es giebt daher nach dem poſitiven Europäiſchen Völkerrecht durchaus keine geſetzliche Oberherrſchaft über das Weltmeer oder deſſen einzelne Theile, ſo fern ſie nur irgend einzelnen Völkern und Individuen zugänglich und nicht entgegenſtehende Zugeſtändniſſe ausdrücklich oder ſtillſchwei- gend gemacht ſind, wozu inbeſondere in Betreff einzelner Waſſerge- biete der gemeinſame Nutzen führen kann, indem man die Schiff- fahrts- und Handels-Intereſſen unter den regulatoriſchen Schutz des nächſtgelegenen Küſtenſtaates ſtellt und ihm eine gewiſſe Geſetz- gebung und Polizeigewalt, oder auch noch größere Rechte, ſo wie gewiſſe Nutzungen, geſtattet, und dafür den Vortheil einer deſto ungehinderteren Benutzung der Gewäſſer genießt. Außerdem fließen auch noch gewiſſe Staatenrechte über beſtimmte Theile des Waſ- ſergebietes ganz von ſelbſt aus der Befugniß der Selbſterhaltung (§. 76.). Dagegen iſt die privative Erwerbung eines auch noch ſo klei- nen Theiles des großen gemeinſamen Meergebietes für einen Staat

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/156
Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/156>, abgerufen am 09.05.2024.