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Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809.

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Gesch. d. südl. Eur. Staatensyst. 1492--1661.

Die Päbste erschienen in der doppelten Gestalt, als
Beherrscher des Kirchenstaats (s. unten), und als Ober-
häupter der Christenheit. Das Interesse des Einen war
nicht dasselbe mit dem Interesse des Andern. Aber auch
abgesehen von diesen Collisionen, wie schwer blieb nicht
durch ihre politischen Beziehungen die letztre Rolle? Voll
hoher Ansprüche, und doch ohne Waffen; nur gestützt auf
die öffentliche Meinung, und doch mit der öffentlichen Mei-
nung in stetem und stets wachsendem Kampfe, behauptete
sich diese Macht, ohne etwas aufzugeben, auch wenn sie es
verloht -- durch Consequenz; wohl wissend, daß man ihrer
am Ende -- doch nicht entbehren könne.

Die Pforte, damals wesentlich erobernde Macht, er-
reichte den Gipfel ihrer Größe unter Soliman II. 1520
--1566). Furchtbar durch ihr regelmäßiges Fußvolk, die
Janitscharen, drohte sie es nicht weniger durch ihre See-
macht
zu werden, die mit der Herrschaft des Mittelmeers
zugleich die der Küstenländer ihr hätte sichern können.
Dem christlichen Europa feindlich gegenüber stehend, war
sie diesem fremd; und nach dem Wunsche der Päbste sollte
lange die Türkengefahr die Vereinigung der Christen-
heit bewirken; aber ihre bald mit Frankreich angeknüpfte
Verbindung vereitelte diese Hoffnung; und machte sie zu
einem -- wenn gleich immer fremdartigen -- Gliede des
Europäischen Staatensystems.

Von den übrigen Staaten des südlichen Europas war
Portugal nur mit seinen Entdeckungen und Eroberungen
beschäftigt (s. unten); die Schweiz, anfangs furchtbar
durch ihre Söldner, zog sich bald in eine glückliche Unthä-
tigkeit zurück; und auch Venedig glich allmählig einem
reichen Handelshause, das die meisten seiner Geschäfte auf-
giebt, um sich in Ruhe zu setzen.



Erster
B 2
Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. 1492--1661.

Die Paͤbſte erſchienen in der doppelten Geſtalt, als
Beherrſcher des Kirchenſtaats (ſ. unten), und als Ober-
haͤupter der Chriſtenheit. Das Intereſſe des Einen war
nicht daſſelbe mit dem Intereſſe des Andern. Aber auch
abgeſehen von dieſen Colliſionen, wie ſchwer blieb nicht
durch ihre politiſchen Beziehungen die letztre Rolle? Voll
hoher Anſpruͤche, und doch ohne Waffen; nur geſtuͤtzt auf
die oͤffentliche Meinung, und doch mit der oͤffentlichen Mei-
nung in ſtetem und ſtets wachſendem Kampfe, behauptete
ſich dieſe Macht, ohne etwas aufzugeben, auch wenn ſie es
verloht — durch Conſequenz; wohl wiſſend, daß man ihrer
am Ende — doch nicht entbehren koͤnne.

Die Pforte, damals weſentlich erobernde Macht, er-
reichte den Gipfel ihrer Groͤße unter Soliman II. 1520
—1566). Furchtbar durch ihr regelmaͤßiges Fußvolk, die
Janitſcharen, drohte ſie es nicht weniger durch ihre See-
macht
zu werden, die mit der Herrſchaft des Mittelmeers
zugleich die der Kuͤſtenlaͤnder ihr haͤtte ſichern koͤnnen.
Dem chriſtlichen Europa feindlich gegenuͤber ſtehend, war
ſie dieſem fremd; und nach dem Wunſche der Paͤbſte ſollte
lange die Tuͤrkengefahr die Vereinigung der Chriſten-
heit bewirken; aber ihre bald mit Frankreich angeknuͤpfte
Verbindung vereitelte dieſe Hoffnung; und machte ſie zu
einem — wenn gleich immer fremdartigen — Gliede des
Europaͤiſchen Staatenſyſtems.

Von den uͤbrigen Staaten des ſuͤdlichen Europas war
Portugal nur mit ſeinen Entdeckungen und Eroberungen
beſchaͤftigt (ſ. unten); die Schweiz, anfangs furchtbar
durch ihre Soͤldner, zog ſich bald in eine gluͤckliche Unthaͤ-
tigkeit zuruͤck; und auch Venedig glich allmaͤhlig einem
reichen Handelshauſe, das die meiſten ſeiner Geſchaͤfte auf-
giebt, um ſich in Ruhe zu ſetzen.



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[19/0057] Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt. 1492--1661. Die Paͤbſte erſchienen in der doppelten Geſtalt, als Beherrſcher des Kirchenſtaats (ſ. unten), und als Ober- haͤupter der Chriſtenheit. Das Intereſſe des Einen war nicht daſſelbe mit dem Intereſſe des Andern. Aber auch abgeſehen von dieſen Colliſionen, wie ſchwer blieb nicht durch ihre politiſchen Beziehungen die letztre Rolle? Voll hoher Anſpruͤche, und doch ohne Waffen; nur geſtuͤtzt auf die oͤffentliche Meinung, und doch mit der oͤffentlichen Mei- nung in ſtetem und ſtets wachſendem Kampfe, behauptete ſich dieſe Macht, ohne etwas aufzugeben, auch wenn ſie es verloht — durch Conſequenz; wohl wiſſend, daß man ihrer am Ende — doch nicht entbehren koͤnne. Die Pforte, damals weſentlich erobernde Macht, er- reichte den Gipfel ihrer Groͤße unter Soliman II. 1520 —1566). Furchtbar durch ihr regelmaͤßiges Fußvolk, die Janitſcharen, drohte ſie es nicht weniger durch ihre See- macht zu werden, die mit der Herrſchaft des Mittelmeers zugleich die der Kuͤſtenlaͤnder ihr haͤtte ſichern koͤnnen. Dem chriſtlichen Europa feindlich gegenuͤber ſtehend, war ſie dieſem fremd; und nach dem Wunſche der Paͤbſte ſollte lange die Tuͤrkengefahr die Vereinigung der Chriſten- heit bewirken; aber ihre bald mit Frankreich angeknuͤpfte Verbindung vereitelte dieſe Hoffnung; und machte ſie zu einem — wenn gleich immer fremdartigen — Gliede des Europaͤiſchen Staatenſyſtems. Von den uͤbrigen Staaten des ſuͤdlichen Europas war Portugal nur mit ſeinen Entdeckungen und Eroberungen beſchaͤftigt (ſ. unten); die Schweiz, anfangs furchtbar durch ihre Soͤldner, zog ſich bald in eine gluͤckliche Unthaͤ- tigkeit zuruͤck; und auch Venedig glich allmaͤhlig einem reichen Handelshauſe, das die meiſten ſeiner Geſchaͤfte auf- giebt, um ſich in Ruhe zu ſetzen. Erſter B 2

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Zitationshilfe: Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809/57>, abgerufen am 23.11.2024.