Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

B. 2. Gesch. d. Reformation. 1517--1555.
befremden? Auch ihre Einmischung in die Po-
litik
war an sich nur Mittel zu jenem Zweck; ein
zwar nothwendiges, aber für sie selbst gefährliches
Mittel, weil Conflicte mit den Regierungen unver-
meidlich waren, sobald sie die Herrschaft über die
Meinung verlohr, der auch die Fürsten unterworfen
sind. Durch alle christlichen Länder, theils sichtbar,
theils unsichtbar verbreitet, ward sie ein Band, das
das Ganze des Europäischen Staatensystems um-
schlang; wirksam nicht bloß für das Einzelne, son-
dern für das Ganze. Was sie, und wie viel sie
jedesmal wirkte, ist schwer, oft unmöglich zu be-
stimmen; aber wie sie wirkte, ergiebt sich der Haupt-
sache nach aus ihrer Organisation.

Stiftung der Gesellschaft durch den standhaften Schwär-
mer Ignatius Loyola, zuerst als Privatverbindung 1534;
vom Pabst Paul III. bestätigt 1540; und sehr erweitert 1543
und 1549. Schnelles Aufblühen, begünstigt durch den Geist
des Zeitalters, trotz mannichfaltigen Widerstandes. Schon
beym Tode des Stifters 1556 umfaßte sie das westliche Europa
in 9 Provinzen; (1 in Portugal, 3 in Spanien, 1 in Frank-
reich, 2 in Deutschland und den Niederlanden, und 2 in
Italien;) so wie durch die Missionen die andern Welttheile
in 3 Provinzen, (Brasilien, Aethiopien und Indien). --
Eigenthümliche äußere Formen: nicht als Orden von der
Welt getrennt, sondern als Gesellschaft sich ihr anschlie-
ßend, ja selbst zum Theil mit ihr verschmolzen, ohne doch
je sich in ihr verlieren zu können. Collegien und Semi-
narien, aber keine Klöster; Ordenskleidung, aber keine
Mönchskleidung. Innere Organisation; in Ansehung
a. der Regierung. Princip des absolutesten Despotismus,

und

B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517--1555.
befremden? Auch ihre Einmiſchung in die Po-
litik
war an ſich nur Mittel zu jenem Zweck; ein
zwar nothwendiges, aber fuͤr ſie ſelbſt gefaͤhrliches
Mittel, weil Conflicte mit den Regierungen unver-
meidlich waren, ſobald ſie die Herrſchaft uͤber die
Meinung verlohr, der auch die Fuͤrſten unterworfen
ſind. Durch alle chriſtlichen Laͤnder, theils ſichtbar,
theils unſichtbar verbreitet, ward ſie ein Band, das
das Ganze des Europaͤiſchen Staatenſyſtems um-
ſchlang; wirkſam nicht bloß fuͤr das Einzelne, ſon-
dern fuͤr das Ganze. Was ſie, und wie viel ſie
jedesmal wirkte, iſt ſchwer, oft unmoͤglich zu be-
ſtimmen; aber wie ſie wirkte, ergiebt ſich der Haupt-
ſache nach aus ihrer Organiſation.

Stiftung der Geſellſchaft durch den ſtandhaften Schwaͤr-
mer Ignatius Loyola, zuerſt als Privatverbindung 1534;
vom Pabſt Paul III. beſtaͤtigt 1540; und ſehr erweitert 1543
und 1549. Schnelles Aufbluͤhen, beguͤnſtigt durch den Geiſt
des Zeitalters, trotz mannichfaltigen Widerſtandes. Schon
beym Tode des Stifters 1556 umfaßte ſie das weſtliche Europa
in 9 Provinzen; (1 in Portugal, 3 in Spanien, 1 in Frank-
reich, 2 in Deutſchland und den Niederlanden, und 2 in
Italien;) ſo wie durch die Miſſionen die andern Welttheile
in 3 Provinzen, (Braſilien, Aethiopien und Indien). —
Eigenthuͤmliche aͤußere Formen: nicht als Orden von der
Welt getrennt, ſondern als Geſellſchaft ſich ihr anſchlie-
ßend, ja ſelbſt zum Theil mit ihr verſchmolzen, ohne doch
je ſich in ihr verlieren zu koͤnnen. Collegien und Semi-
narien, aber keine Kloͤſter; Ordenskleidung, aber keine
Moͤnchskleidung. Innere Organiſation; in Anſehung
a. der Regierung. Princip des abſoluteſten Deſpotismus,

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0113" n="75"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">B.</hi> 2. Ge&#x017F;ch. d. Reformation. 1517--1555.</hi></fw><lb/>
befremden? Auch ihre <hi rendition="#g">Einmi&#x017F;chung in die Po-<lb/>
litik</hi> war an &#x017F;ich nur Mittel zu jenem Zweck; ein<lb/>
zwar nothwendiges, aber fu&#x0364;r &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t gefa&#x0364;hrliches<lb/>
Mittel, weil Conflicte mit den Regierungen unver-<lb/>
meidlich waren, &#x017F;obald &#x017F;ie die Herr&#x017F;chaft u&#x0364;ber die<lb/>
Meinung verlohr, der auch die Fu&#x0364;r&#x017F;ten unterworfen<lb/>
&#x017F;ind. Durch alle chri&#x017F;tlichen La&#x0364;nder, theils &#x017F;ichtbar,<lb/>
theils un&#x017F;ichtbar verbreitet, ward &#x017F;ie ein Band, das<lb/>
das Ganze des Europa&#x0364;i&#x017F;chen Staaten&#x017F;y&#x017F;tems um-<lb/>
&#x017F;chlang; wirk&#x017F;am nicht bloß fu&#x0364;r das Einzelne, &#x017F;on-<lb/>
dern fu&#x0364;r das Ganze. <hi rendition="#g">Was</hi> &#x017F;ie, und <hi rendition="#g">wie viel</hi> &#x017F;ie<lb/>
jedesmal wirkte, i&#x017F;t &#x017F;chwer, oft unmo&#x0364;glich zu be-<lb/>
&#x017F;timmen; aber <hi rendition="#g">wie</hi> &#x017F;ie wirkte, ergiebt &#x017F;ich der Haupt-<lb/>
&#x017F;ache nach aus ihrer <hi rendition="#g">Organi&#x017F;ation</hi>.</p><lb/>
                <p> <hi rendition="#et">Stiftung der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft durch den &#x017F;tandhaften Schwa&#x0364;r-<lb/>
mer <hi rendition="#g">Ignatius Loyola</hi>, zuer&#x017F;t als Privatverbindung 1534;<lb/>
vom Pab&#x017F;t Paul <hi rendition="#aq">III.</hi> be&#x017F;ta&#x0364;tigt 1540; und &#x017F;ehr erweitert 1543<lb/>
und 1549. Schnelles Aufblu&#x0364;hen, begu&#x0364;n&#x017F;tigt durch den Gei&#x017F;t<lb/>
des Zeitalters, trotz mannichfaltigen Wider&#x017F;tandes. Schon<lb/>
beym Tode des Stifters 1556 umfaßte &#x017F;ie das we&#x017F;tliche Europa<lb/>
in 9 Provinzen; (1 in Portugal, 3 in Spanien, 1 in Frank-<lb/>
reich, 2 in Deut&#x017F;chland und den Niederlanden, und 2 in<lb/>
Italien;) &#x017F;o wie durch die Mi&#x017F;&#x017F;ionen die andern Welttheile<lb/>
in 3 Provinzen, (Bra&#x017F;ilien, Aethiopien und Indien). &#x2014;<lb/>
Eigenthu&#x0364;mliche a&#x0364;ußere Formen: <hi rendition="#g">nicht</hi> als <hi rendition="#g">Orden</hi> von der<lb/>
Welt getrennt, &#x017F;ondern als <hi rendition="#g">Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft</hi> &#x017F;ich ihr an&#x017F;chlie-<lb/>
ßend, ja &#x017F;elb&#x017F;t zum Theil mit ihr ver&#x017F;chmolzen, ohne doch<lb/>
je &#x017F;ich in ihr <hi rendition="#g">verlieren</hi> zu ko&#x0364;nnen. Collegien und Semi-<lb/>
narien, aber keine Klo&#x0364;&#x017F;ter; Ordenskleidung, aber keine<lb/>
Mo&#x0364;nchskleidung. <hi rendition="#g">Innere Organi&#x017F;ation</hi>; in An&#x017F;ehung<lb/><hi rendition="#aq">a.</hi> der Regierung. Princip des ab&#x017F;olute&#x017F;ten De&#x017F;potismus,</hi><lb/>
                  <fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/>
                </p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0113] B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517--1555. befremden? Auch ihre Einmiſchung in die Po- litik war an ſich nur Mittel zu jenem Zweck; ein zwar nothwendiges, aber fuͤr ſie ſelbſt gefaͤhrliches Mittel, weil Conflicte mit den Regierungen unver- meidlich waren, ſobald ſie die Herrſchaft uͤber die Meinung verlohr, der auch die Fuͤrſten unterworfen ſind. Durch alle chriſtlichen Laͤnder, theils ſichtbar, theils unſichtbar verbreitet, ward ſie ein Band, das das Ganze des Europaͤiſchen Staatenſyſtems um- ſchlang; wirkſam nicht bloß fuͤr das Einzelne, ſon- dern fuͤr das Ganze. Was ſie, und wie viel ſie jedesmal wirkte, iſt ſchwer, oft unmoͤglich zu be- ſtimmen; aber wie ſie wirkte, ergiebt ſich der Haupt- ſache nach aus ihrer Organiſation. Stiftung der Geſellſchaft durch den ſtandhaften Schwaͤr- mer Ignatius Loyola, zuerſt als Privatverbindung 1534; vom Pabſt Paul III. beſtaͤtigt 1540; und ſehr erweitert 1543 und 1549. Schnelles Aufbluͤhen, beguͤnſtigt durch den Geiſt des Zeitalters, trotz mannichfaltigen Widerſtandes. Schon beym Tode des Stifters 1556 umfaßte ſie das weſtliche Europa in 9 Provinzen; (1 in Portugal, 3 in Spanien, 1 in Frank- reich, 2 in Deutſchland und den Niederlanden, und 2 in Italien;) ſo wie durch die Miſſionen die andern Welttheile in 3 Provinzen, (Braſilien, Aethiopien und Indien). — Eigenthuͤmliche aͤußere Formen: nicht als Orden von der Welt getrennt, ſondern als Geſellſchaft ſich ihr anſchlie- ßend, ja ſelbſt zum Theil mit ihr verſchmolzen, ohne doch je ſich in ihr verlieren zu koͤnnen. Collegien und Semi- narien, aber keine Kloͤſter; Ordenskleidung, aber keine Moͤnchskleidung. Innere Organiſation; in Anſehung a. der Regierung. Princip des abſoluteſten Deſpotismus, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809/113
Zitationshilfe: Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809/113>, abgerufen am 24.11.2024.