Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Volk nicht vorfindet, ohne daß das Volk darum zu
schelten wäre, erwecken kann, die von Walter Scott
geschaffene Form des historischen Romans, die in
Deutschland keiner so vollständig ausgefüllt, ja er-
weitert hat, als Wilibald Alexis in seinem letzten
Roman: der falsche Woldemar. Auf diesen Roman,
der, an Brandenburg anknüpfend, alle deutsche Ver-
hältnisse der dargestellten wichtigen Epoche zur
Anschauung bringt und Geschichte giebt, ohne sie
auf der einen Seite in Geschichten aufzulösen, oder
auf der anderen einem sogenannten historischen Prag-
matismus die Fülle des Lebens und der Gestalten
zu opfern, nehme ich hier zur Verdeutlichung mei-
ner Gedanken gern Bezug.

So viel im Allgemeinen. Nun noch ein Wort
in Beziehung auf das Drama, das ich dem Publi-
cum jetzt vorlege. Der Bänkelsängerstab, vor dem
Immermann so gerechte Scheu trug, widert auch
mich an, ich werde daher nicht über mein Stück
und dessen Oeconomie (obgleich ich einige Ursache,
und vielleicht auch einiges Recht dazu hätte, denn
man hat mir die Judith und die Genoveva fast auf
den Kopf gestellt, man hat mir in der Ersteren na-

Volk nicht vorfindet, ohne daß das Volk darum zu
ſchelten wäre, erwecken kann, die von Walter Scott
geſchaffene Form des hiſtoriſchen Romans, die in
Deutſchland keiner ſo vollſtändig ausgefüllt, ja er-
weitert hat, als Wilibald Alexis in ſeinem letzten
Roman: der falſche Woldemar. Auf dieſen Roman,
der, an Brandenburg anknüpfend, alle deutſche Ver-
hältniſſe der dargeſtellten wichtigen Epoche zur
Anſchauung bringt und Geſchichte giebt, ohne ſie
auf der einen Seite in Geſchichten aufzulöſen, oder
auf der anderen einem ſogenannten hiſtoriſchen Prag-
matismus die Fülle des Lebens und der Geſtalten
zu opfern, nehme ich hier zur Verdeutlichung mei-
ner Gedanken gern Bezug.

So viel im Allgemeinen. Nun noch ein Wort
in Beziehung auf das Drama, das ich dem Publi-
cum jetzt vorlege. Der Bänkelſängerſtab, vor dem
Immermann ſo gerechte Scheu trug, widert auch
mich an, ich werde daher nicht über mein Stück
und deſſen Oeconomie (obgleich ich einige Urſache,
und vielleicht auch einiges Recht dazu hätte, denn
man hat mir die Judith und die Genoveva faſt auf
den Kopf geſtellt, man hat mir in der Erſteren na-

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0060" n="XL"/>
Volk nicht vorfindet, ohne daß das Volk darum zu<lb/>
&#x017F;chelten wäre, erwecken kann, die von Walter Scott<lb/>
ge&#x017F;chaffene Form des hi&#x017F;tori&#x017F;chen Romans, die in<lb/>
Deut&#x017F;chland keiner &#x017F;o voll&#x017F;tändig ausgefüllt, ja er-<lb/>
weitert hat, als Wilibald Alexis in &#x017F;einem letzten<lb/>
Roman: der fal&#x017F;che Woldemar. Auf die&#x017F;en Roman,<lb/>
der, an Brandenburg anknüpfend, alle deut&#x017F;che Ver-<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;e der darge&#x017F;tellten wichtigen Epoche zur<lb/>
An&#x017F;chauung bringt und Ge&#x017F;chichte giebt, ohne &#x017F;ie<lb/>
auf der einen Seite in Ge&#x017F;chichten aufzulö&#x017F;en, oder<lb/>
auf der anderen einem &#x017F;ogenannten hi&#x017F;tori&#x017F;chen Prag-<lb/>
matismus die Fülle des Lebens und der Ge&#x017F;talten<lb/>
zu opfern, nehme ich hier zur Verdeutlichung mei-<lb/>
ner Gedanken gern Bezug.</p><lb/>
        <p>So viel im Allgemeinen. Nun noch ein Wort<lb/>
in Beziehung auf das Drama, das ich dem Publi-<lb/>
cum jetzt vorlege. Der Bänkel&#x017F;änger&#x017F;tab, vor dem<lb/>
Immermann &#x017F;o gerechte Scheu trug, widert auch<lb/>
mich an, ich werde daher nicht über mein Stück<lb/>
und de&#x017F;&#x017F;en Oeconomie (obgleich ich einige Ur&#x017F;ache,<lb/>
und vielleicht auch einiges Recht dazu hätte, denn<lb/>
man hat mir die Judith und die Genoveva fa&#x017F;t auf<lb/>
den Kopf ge&#x017F;tellt, man hat mir in der Er&#x017F;teren na-<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XL/0060] Volk nicht vorfindet, ohne daß das Volk darum zu ſchelten wäre, erwecken kann, die von Walter Scott geſchaffene Form des hiſtoriſchen Romans, die in Deutſchland keiner ſo vollſtändig ausgefüllt, ja er- weitert hat, als Wilibald Alexis in ſeinem letzten Roman: der falſche Woldemar. Auf dieſen Roman, der, an Brandenburg anknüpfend, alle deutſche Ver- hältniſſe der dargeſtellten wichtigen Epoche zur Anſchauung bringt und Geſchichte giebt, ohne ſie auf der einen Seite in Geſchichten aufzulöſen, oder auf der anderen einem ſogenannten hiſtoriſchen Prag- matismus die Fülle des Lebens und der Geſtalten zu opfern, nehme ich hier zur Verdeutlichung mei- ner Gedanken gern Bezug. So viel im Allgemeinen. Nun noch ein Wort in Beziehung auf das Drama, das ich dem Publi- cum jetzt vorlege. Der Bänkelſängerſtab, vor dem Immermann ſo gerechte Scheu trug, widert auch mich an, ich werde daher nicht über mein Stück und deſſen Oeconomie (obgleich ich einige Urſache, und vielleicht auch einiges Recht dazu hätte, denn man hat mir die Judith und die Genoveva faſt auf den Kopf geſtellt, man hat mir in der Erſteren na-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/60
Zitationshilfe: Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. XL. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/60>, abgerufen am 25.11.2024.