denn man sieht doch, wohin das Amüsement-Princip führt, aber das Sach-Verhältniß ist dieß. Eine Dichtung, die sich für eine dramatische giebt, muß darstellbar seyn, jedoch nur des- halb, weil, was der Künstler nicht darzustellen vermag, von dem Dichter selbst nicht darge- stellt wurde, sondern Embryo und Gedanken- Schemen blieb. Darstellbar ist nun nur das Han- deln, nicht das Denken und Empfinden; Gedanken und Empfindungen gehören also nicht an sich, son- dern immer nur so weit, als sie sich unmittelbar zur Handlung umbilden, in's Drama hinein; dage- gen sind aber auch Handlungen keine Handlungen, wenigstens keine dramatische, wenn sie sich ohne die sie vorbereitenden Gedanken und die sie begleitenden Empfindungen, in nackter Abgerissenheit, wie Natur- Vorfälle, hinstellen, sonst wäre ein stillschweigend gezogener Degen der Höhepunct aller Action. Auch ist nicht zu übersehen, daß die Kluft zwischen Han- deln und Leiden keineswegs so groß ist, als die Sprache sie macht, denn alles Handeln lös't sich dem Schicksal, d. h. dem Welt-Willen gegen- über, in ein Leiden auf, und gerade dies wird in
denn man ſieht doch, wohin das Amüſement-Princip führt, aber das Sach-Verhältniß iſt dieß. Eine Dichtung, die ſich für eine dramatiſche giebt, muß darſtellbar ſeyn, jedoch nur des- halb, weil, was der Künſtler nicht darzuſtellen vermag, von dem Dichter ſelbſt nicht darge- ſtellt wurde, ſondern Embryo und Gedanken- Schemen blieb. Darſtellbar iſt nun nur das Han- deln, nicht das Denken und Empfinden; Gedanken und Empfindungen gehören alſo nicht an ſich, ſon- dern immer nur ſo weit, als ſie ſich unmittelbar zur Handlung umbilden, in’s Drama hinein; dage- gen ſind aber auch Handlungen keine Handlungen, wenigſtens keine dramatiſche, wenn ſie ſich ohne die ſie vorbereitenden Gedanken und die ſie begleitenden Empfindungen, in nackter Abgeriſſenheit, wie Natur- Vorfälle, hinſtellen, ſonſt wäre ein ſtillſchweigend gezogener Degen der Höhepunct aller Action. Auch iſt nicht zu überſehen, daß die Kluft zwiſchen Han- deln und Leiden keineswegs ſo groß iſt, als die Sprache ſie macht, denn alles Handeln löſ’t ſich dem Schickſal, d. h. dem Welt-Willen gegen- über, in ein Leiden auf, und gerade dies wird in
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[XXIV/0044]
denn man ſieht doch, wohin das Amüſement-Princip
führt, aber das Sach-Verhältniß iſt dieß. Eine
Dichtung, die ſich für eine dramatiſche
giebt, muß darſtellbar ſeyn, jedoch nur des-
halb, weil, was der Künſtler nicht darzuſtellen
vermag, von dem Dichter ſelbſt nicht darge-
ſtellt wurde, ſondern Embryo und Gedanken-
Schemen blieb. Darſtellbar iſt nun nur das Han-
deln, nicht das Denken und Empfinden; Gedanken
und Empfindungen gehören alſo nicht an ſich, ſon-
dern immer nur ſo weit, als ſie ſich unmittelbar
zur Handlung umbilden, in’s Drama hinein; dage-
gen ſind aber auch Handlungen keine Handlungen,
wenigſtens keine dramatiſche, wenn ſie ſich ohne die
ſie vorbereitenden Gedanken und die ſie begleitenden
Empfindungen, in nackter Abgeriſſenheit, wie Natur-
Vorfälle, hinſtellen, ſonſt wäre ein ſtillſchweigend
gezogener Degen der Höhepunct aller Action. Auch
iſt nicht zu überſehen, daß die Kluft zwiſchen Han-
deln und Leiden keineswegs ſo groß iſt, als
die Sprache ſie macht, denn alles Handeln löſ’t
ſich dem Schickſal, d. h. dem Welt-Willen gegen-
über, in ein Leiden auf, und gerade dies wird in
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Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. XXIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/44>, abgerufen am 28.07.2024.
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