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Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892.

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mein Herr, das is so'ne Unverständlichkeit unter der
hiesigen armen Bevölkerungsklasse. Mit Erlaubnis
zu sagen, die machen sich so'ne ibertriebliche Vor-
stellichkeit von wegen der schuldigen Ehrfurcht und
pflichtmäßigen Schuldigkeit gegen selig entschlafene
Hinterbliebene. Wenn das und sind gar verstorbene
Eltern, da is das nu so ein Aberglaube, da wird
von den nächsten Nachkommen und Erblassern das
letzte zusammengekratzt, und was die Kinder nich auf-
treiben, das wird von den nächsten Magnaten ge-
borgt. Und da kommen die Schulden bis iber die
Ohren; Hochwürden der Pastor wird verschuldet, der
Küster und was da alles fer Leute herumstehen.
Und das Getränk und das Essen und dergleichen
Notdurft. Nee, nee, ich lobe mir respective Kindlich-
keit, aber nich, daß die Leidtragenden ihr ganzes
Leben unter Verpflichtigungen davor gedrückt werden.
Der Reisende. Erlauben Sie mal, das müßte
doch der Paster den Leuten ausreden.
Wiegand. Se werden ergebenst entschuldigen,
mein Herr, ich muß hier befürworten, daß jede kleine
Gemeinde ihr kirchliches Gotteshaus hat und ihren
Seelenhirten Hochwürden erhalten muß. An so'nem
großen Begräbnisfest, da hat die hohe Geistlichkeit
ihre scheene Jbervorteilung. Desto zahlreicher so eine
Grablegung gehandhabt wird, je umfänglicher auch
die Offertorien fließen. Wer die hiesigen arbeitenden
Verhältnisse kennt, der kann mit unmaßgeblicher Be-
stimmtheit behaupten, die Herren Farrer dulden bloß
widerstreblich die stillen Begräbnisse.
Hornig (kommt, kleiner, obeiniger Alter, ein Ziehband um Schulter
und Brust. Er ist Lumpensammler).
Scheen gun Tag och. An
eefache mecht ich bitten. Na, junge Frau, habn se
was Lumpiges? Jungfer Anna! Scheene Zopbändl,
Hemdbändl, Strumpbändl hab ich im Wägl, scheene
Stecknadeln, Haarnadeln, Häkel und Esel. Alles geb
mein Herr, das is ſo’ne Unverſtändlichkeit unter der
hieſigen armen Bevölkerungsklaſſe. Mit Erlaubnis
zu ſagen, die machen ſich ſo’ne ibertriebliche Vor-
ſtellichkeit von wegen der ſchuldigen Ehrfurcht und
pflichtmäßigen Schuldigkeit gegen ſelig entſchlafene
Hinterbliebene. Wenn das und ſind gar verſtorbene
Eltern, da is das nu ſo ein Aberglaube, da wird
von den nächſten Nachkommen und Erblaſſern das
letzte zuſammengekratzt, und was die Kinder nich auf-
treiben, das wird von den nächſten Magnaten ge-
borgt. Und da kommen die Schulden bis iber die
Ohren; Hochwürden der Paſtor wird verſchuldet, der
Küſter und was da alles fer Leute herumſtehen.
Und das Getränk und das Eſſen und dergleichen
Notdurft. Nee, nee, ich lobe mir reſpective Kindlich-
keit, aber nich, daß die Leidtragenden ihr ganzes
Leben unter Verpflichtigungen davor gedrückt werden.
Der Reiſende. Erlauben Sie mal, das müßte
doch der Paſter den Leuten ausreden.
Wiegand. Se werden ergebenſt entſchuldigen,
mein Herr, ich muß hier befürworten, daß jede kleine
Gemeinde ihr kirchliches Gotteshaus hat und ihren
Seelenhirten Hochwürden erhalten muß. An ſo’nem
großen Begräbnisfeſt, da hat die hohe Geiſtlichkeit
ihre ſcheene Jbervorteilung. Deſto zahlreicher ſo eine
Grablegung gehandhabt wird, je umfänglicher auch
die Offertorien fließen. Wer die hieſigen arbeitenden
Verhältniſſe kennt, der kann mit unmaßgeblicher Be-
ſtimmtheit behaupten, die Herren Farrer dulden bloß
widerſtreblich die ſtillen Begräbniſſe.
Hornig (kommt, kleiner, obeiniger Alter, ein Ziehband um Schulter
und Bruſt. Er iſt Lumpenſammler).
Scheen gun Tag och. An
eefache mecht ich bitten. Na, junge Frau, habn ſe
was Lumpiges? Jungfer Anna! Scheene Zopbändl,
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[50/0063] mein Herr, das is ſo’ne Unverſtändlichkeit unter der hieſigen armen Bevölkerungsklaſſe. Mit Erlaubnis zu ſagen, die machen ſich ſo’ne ibertriebliche Vor- ſtellichkeit von wegen der ſchuldigen Ehrfurcht und pflichtmäßigen Schuldigkeit gegen ſelig entſchlafene Hinterbliebene. Wenn das und ſind gar verſtorbene Eltern, da is das nu ſo ein Aberglaube, da wird von den nächſten Nachkommen und Erblaſſern das letzte zuſammengekratzt, und was die Kinder nich auf- treiben, das wird von den nächſten Magnaten ge- borgt. Und da kommen die Schulden bis iber die Ohren; Hochwürden der Paſtor wird verſchuldet, der Küſter und was da alles fer Leute herumſtehen. Und das Getränk und das Eſſen und dergleichen Notdurft. Nee, nee, ich lobe mir reſpective Kindlich- keit, aber nich, daß die Leidtragenden ihr ganzes Leben unter Verpflichtigungen davor gedrückt werden. Der Reiſende. Erlauben Sie mal, das müßte doch der Paſter den Leuten ausreden. Wiegand. Se werden ergebenſt entſchuldigen, mein Herr, ich muß hier befürworten, daß jede kleine Gemeinde ihr kirchliches Gotteshaus hat und ihren Seelenhirten Hochwürden erhalten muß. An ſo’nem großen Begräbnisfeſt, da hat die hohe Geiſtlichkeit ihre ſcheene Jbervorteilung. Deſto zahlreicher ſo eine Grablegung gehandhabt wird, je umfänglicher auch die Offertorien fließen. Wer die hieſigen arbeitenden Verhältniſſe kennt, der kann mit unmaßgeblicher Be- ſtimmtheit behaupten, die Herren Farrer dulden bloß widerſtreblich die ſtillen Begräbniſſe. Hornig (kommt, kleiner, obeiniger Alter, ein Ziehband um Schulter und Bruſt. Er iſt Lumpenſammler). Scheen gun Tag och. An eefache mecht ich bitten. Na, junge Frau, habn ſe was Lumpiges? Jungfer Anna! Scheene Zopbändl, Hemdbändl, Strumpbändl hab ich im Wägl, ſcheene Stecknadeln, Haarnadeln, Häkel und Esel. Alles geb

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_weber_1892/63>, abgerufen am 28.04.2024.