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Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892.

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wenn ma dadervon etwa ni satt wird, da muß ma
an Stein ins Maul nehmen und dran lutschen. Gell,
Baumert?

(Dreißiger, Pfeifer, sowie der Cassirer kommen zurück.)
Dreißiger. Es war nichts von Bedeutung.
Der Junge ist schon wieder ganz munter.
(Erregt und
pustend umhergehend.)
Es bleibt aber immer eine Gewissen-
losigkeit. Das Kind ist ja nur so'n Hälmchen zum
umblasen. Es ist rein unbegreiflich, wie Menschen ...
wie Eltern so unvernünftig sein können. Bürden ihm
zwei Schock Parchend auf, gute anderthalb Meilen
Wegs. Es is wirklich kaum zum glauben. Jch werde
einfach müssen die Einrichtung treffen, daß Kindern
überhaupt die Waare nich mehr abgenommen wird.

(Er geht wiederum eine Weile stumm hin und her.) Jedenfalls wünsche
ich dringend, daß so etwas nicht mehr vorkommt. --
Auf wem bleibt's denn schließlich sitzen? Natürlich
doch auf uns Fabrikanten. Wir sind an allem
schuld. Wenn so'n armes Kerlchen zur Winters-
zeit im Schnee stecken bleibt und einschläft, dann
kommt so'n hergelaufener Scribent, und in zwei Tagen
da haben wir die Schauergeschichte in allen Zeitungen.
Der Vater, die Eltern, die so'n Kind schicken . . . .
i bewahre, wo werden die denn schuld sein! Der
Fabrikant muß 'ran, der Fabrikant is' der Sünden-
bock. Der Weber wird immer gestreichelt, aber der
Fabrikant wird immer geprügelt: das is 'n Mensch
ohne Herz, 'n Stein, 'n gefährlicher Kerl, den jeder
Preßhund in die Waden beißen darf. Der lebt
herrlich und in Freuden und giebt den armen Webern
Hungerlöhne. -- Daß so'n Mann auch Sorgen hat
und schlaflose Nächte, daß er sein großes Risiko läuft,
wovon der Arbeiter sich nichts träumen läßt, daß er
manchmal vor lauter dividiren, addiren und multipli-
ciren, berechnen und wieder berechnen nich' weiß, wo
ihm der Kopf steht, daß er hunderterlei bedenken und
Die Weber. 2
wenn ma dadervon etwa ni ſatt wird, da muß ma
an Stein ins Maul nehmen und dran lutſchen. Gell,
Baumert?

(Dreißiger, Pfeifer, ſowie der Caſſirer kommen zurück.)
Dreißiger. Es war nichts von Bedeutung.
Der Junge iſt ſchon wieder ganz munter.
(Erregt und
puſtend umhergehend.)
Es bleibt aber immer eine Gewiſſen-
loſigkeit. Das Kind iſt ja nur ſo’n Hälmchen zum
umblaſen. Es iſt rein unbegreiflich, wie Menſchen …
wie Eltern ſo unvernünftig ſein können. Bürden ihm
zwei Schock Parchend auf, gute anderthalb Meilen
Wegs. Es is wirklich kaum zum glauben. Jch werde
einfach müſſen die Einrichtung treffen, daß Kindern
überhaupt die Waare nich mehr abgenommen wird.

(Er geht wiederum eine Weile ſtumm hin und her.) Jedenfalls wünſche
ich dringend, daß ſo etwas nicht mehr vorkommt. —
Auf wem bleibt’s denn ſchließlich ſitzen? Natürlich
doch auf uns Fabrikanten. Wir ſind an allem
ſchuld. Wenn ſo’n armes Kerlchen zur Winters-
zeit im Schnee ſtecken bleibt und einſchläft, dann
kommt ſo’n hergelaufener Scribent, und in zwei Tagen
da haben wir die Schauergeſchichte in allen Zeitungen.
Der Vater, die Eltern, die ſo’n Kind ſchicken . . . .
i bewahre, wo werden die denn ſchuld ſein! Der
Fabrikant muß ’ran, der Fabrikant is’ der Sünden-
bock. Der Weber wird immer geſtreichelt, aber der
Fabrikant wird immer geprügelt: das is ’n Menſch
ohne Herz, ’n Stein, ’n gefährlicher Kerl, den jeder
Preßhund in die Waden beißen darf. Der lebt
herrlich und in Freuden und giebt den armen Webern
Hungerlöhne. — Daß ſo’n Mann auch Sorgen hat
und ſchlafloſe Nächte, daß er ſein großes Riſiko läuft,
wovon der Arbeiter ſich nichts träumen läßt, daß er
manchmal vor lauter dividiren, addiren und multipli-
ciren, berechnen und wieder berechnen nich’ weiß, wo
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[17/0030] wenn ma dadervon etwa ni ſatt wird, da muß ma an Stein ins Maul nehmen und dran lutſchen. Gell, Baumert? (Dreißiger, Pfeifer, ſowie der Caſſirer kommen zurück.) Dreißiger. Es war nichts von Bedeutung. Der Junge iſt ſchon wieder ganz munter. (Erregt und puſtend umhergehend.) Es bleibt aber immer eine Gewiſſen- loſigkeit. Das Kind iſt ja nur ſo’n Hälmchen zum umblaſen. Es iſt rein unbegreiflich, wie Menſchen … wie Eltern ſo unvernünftig ſein können. Bürden ihm zwei Schock Parchend auf, gute anderthalb Meilen Wegs. Es is wirklich kaum zum glauben. Jch werde einfach müſſen die Einrichtung treffen, daß Kindern überhaupt die Waare nich mehr abgenommen wird. (Er geht wiederum eine Weile ſtumm hin und her.) Jedenfalls wünſche ich dringend, daß ſo etwas nicht mehr vorkommt. — Auf wem bleibt’s denn ſchließlich ſitzen? Natürlich doch auf uns Fabrikanten. Wir ſind an allem ſchuld. Wenn ſo’n armes Kerlchen zur Winters- zeit im Schnee ſtecken bleibt und einſchläft, dann kommt ſo’n hergelaufener Scribent, und in zwei Tagen da haben wir die Schauergeſchichte in allen Zeitungen. Der Vater, die Eltern, die ſo’n Kind ſchicken . . . . i bewahre, wo werden die denn ſchuld ſein! Der Fabrikant muß ’ran, der Fabrikant is’ der Sünden- bock. Der Weber wird immer geſtreichelt, aber der Fabrikant wird immer geprügelt: das is ’n Menſch ohne Herz, ’n Stein, ’n gefährlicher Kerl, den jeder Preßhund in die Waden beißen darf. Der lebt herrlich und in Freuden und giebt den armen Webern Hungerlöhne. — Daß ſo’n Mann auch Sorgen hat und ſchlafloſe Nächte, daß er ſein großes Riſiko läuft, wovon der Arbeiter ſich nichts träumen läßt, daß er manchmal vor lauter dividiren, addiren und multipli- ciren, berechnen und wieder berechnen nich’ weiß, wo ihm der Kopf ſteht, daß er hunderterlei bedenken und Die Weber. 2

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_weber_1892/30>, abgerufen am 26.04.2024.