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Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892.

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Bäcker. O, ob ich am Webstuhle derhungere,
oder im Straßengrabn, das is mir egal.
Dreißiger. 'Raus, auf der Stelle raus!
Bäcker (fest). Erst will ich mei Lohn habn.
Dreißiger. Was kriegt der Kerl, Neumann?
Neumann. Zwölf Silbergroschen fünf Pfennige.
Dreißiger (nimmt überhastig dem Kassirer das Geld ab und
wirft es auf den Zahltisch, so daß einige Münzen auf die Diele rollen).

Da! -- hier! -- und nu rasch -- mir aus den Augen!
Bäcker. Erscht will ich mei Lohn habn.
Dreißiger. Da liegt sein Lohn; und wenn er
nun nich macht, daß er 'raus kommt. . . . Es ist
grade zwölf . . . . Meine Färber machen grade Mittag. . . .
Bäcker. Mei Lohn gehört in meine Hand. Hie
her gehört mei Lohn.
(Er berührt mit den Fingern der rechten,
die Handfläche der linken Hand.)
Dreißiger (zum Lehrling). Heben Sie's auf, Tilgner.
Der Lehrling (thut es, legt das Geld in Bäcker's Hand).
Bäcker. Das muß alls sein'n richtchen Paß gehn.
(Er bringt, ohne sich zu beeilen, in einen alten Beutel das Geld unter.)
Dreißiger. Nu? (Als Bäcker sich noch immer nicht entfernt,
ungeduldig.)
Soll ich nun nachhelfen?
(Unter den dichtgedrängten Webern ist eine Bewegung entstanden. Jemand
stößt einen langen, tiefen Seufzer aus. Darauf geschieht ein Fall. Alles
Jnteresse wendet sich dem neuen Ereigniß zu.)
Dreißiger. Was giebt's denn da?
Verschiedene Weber und Weberfrauen.
"'Sis eener hingeschlagn." -- "'Sis a klee hiprich
Jungl." -- "Js's etwa de Kränkte oder was?!"
Dreißiger. Ja ... wie denn? Hingeschlagen?
(Er geht näher.)
Alter Weber. A liegt halt da. (Es wird Platz
gemacht. Man sieht einen etwa achtjährigen Jungen wie todt an der Erde liegen.)
Dreißiger. Kennt Jemand den Jungen?
Alter Weber. Aus unserm Dorfe is a nich.
Der alte Baumert. Der sieht ja bald aus,
wie Heinrichen's.
(Er betrachtet ihn genauer.) Ja, ja! Das
is Heinrichen's Gustavl.
Bäcker. O, ob ich am Webſtuhle derhungere,
oder im Straßengrabn, das is mir egal.
Dreißiger. ’Raus, auf der Stelle raus!
Bäcker (feſt). Erſt will ich mei Lohn habn.
Dreißiger. Was kriegt der Kerl, Neumann?
Neumann. Zwölf Silbergroſchen fünf Pfennige.
Dreißiger (nimmt überhaſtig dem Kaſſirer das Geld ab und
wirft es auf den Zahltiſch, ſo daß einige Münzen auf die Diele rollen).

Da! — hier! — und nu raſch — mir aus den Augen!
Bäcker. Erſcht will ich mei Lohn habn.
Dreißiger. Da liegt ſein Lohn; und wenn er
nun nich macht, daß er ’raus kommt. . . . Es iſt
grade zwölf . . . . Meine Färber machen grade Mittag. . . .
Bäcker. Mei Lohn gehört in meine Hand. Hie
her gehört mei Lohn.
(Er berührt mit den Fingern der rechten,
die Handfläche der linken Hand.)
Dreißiger (zum Lehrling). Heben Sie’s auf, Tilgner.
Der Lehrling (thut es, legt das Geld in Bäcker’s Hand).
Bäcker. Das muß alls ſein’n richtchen Paß gehn.
(Er bringt, ohne ſich zu beeilen, in einen alten Beutel das Geld unter.)
Dreißiger. Nu? (Als Bäcker ſich noch immer nicht entfernt,
ungeduldig.)
Soll ich nun nachhelfen?
(Unter den dichtgedrängten Webern iſt eine Bewegung entſtanden. Jemand
ſtößt einen langen, tiefen Seufzer aus. Darauf geſchieht ein Fall. Alles
Jntereſſe wendet ſich dem neuen Ereigniß zu.)
Dreißiger. Was giebt’s denn da?
Verſchiedene Weber und Weberfrauen.
„’Sis eener hingeſchlagn.“ — „’Sis a klee hiprich
Jungl.“ — „Js’s etwa de Kränkte oder was?!“
Dreißiger. Ja … wie denn? Hingeſchlagen?
(Er geht näher.)
Alter Weber. A liegt halt da. (Es wird Platz
gemacht. Man ſieht einen etwa achtjährigen Jungen wie todt an der Erde liegen.)
Dreißiger. Kennt Jemand den Jungen?
Alter Weber. Aus unſerm Dorfe is a nich.
Der alte Baumert. Der ſieht ja bald aus,
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[14/0027] Bäcker. O, ob ich am Webſtuhle derhungere, oder im Straßengrabn, das is mir egal. Dreißiger. ’Raus, auf der Stelle raus! Bäcker (feſt). Erſt will ich mei Lohn habn. Dreißiger. Was kriegt der Kerl, Neumann? Neumann. Zwölf Silbergroſchen fünf Pfennige. Dreißiger (nimmt überhaſtig dem Kaſſirer das Geld ab und wirft es auf den Zahltiſch, ſo daß einige Münzen auf die Diele rollen). Da! — hier! — und nu raſch — mir aus den Augen! Bäcker. Erſcht will ich mei Lohn habn. Dreißiger. Da liegt ſein Lohn; und wenn er nun nich macht, daß er ’raus kommt. . . . Es iſt grade zwölf . . . . Meine Färber machen grade Mittag. . . . Bäcker. Mei Lohn gehört in meine Hand. Hie her gehört mei Lohn. (Er berührt mit den Fingern der rechten, die Handfläche der linken Hand.) Dreißiger (zum Lehrling). Heben Sie’s auf, Tilgner. Der Lehrling (thut es, legt das Geld in Bäcker’s Hand). Bäcker. Das muß alls ſein’n richtchen Paß gehn. (Er bringt, ohne ſich zu beeilen, in einen alten Beutel das Geld unter.) Dreißiger. Nu? (Als Bäcker ſich noch immer nicht entfernt, ungeduldig.) Soll ich nun nachhelfen? (Unter den dichtgedrängten Webern iſt eine Bewegung entſtanden. Jemand ſtößt einen langen, tiefen Seufzer aus. Darauf geſchieht ein Fall. Alles Jntereſſe wendet ſich dem neuen Ereigniß zu.) Dreißiger. Was giebt’s denn da? Verſchiedene Weber und Weberfrauen. „’Sis eener hingeſchlagn.“ — „’Sis a klee hiprich Jungl.“ — „Js’s etwa de Kränkte oder was?!“ Dreißiger. Ja … wie denn? Hingeſchlagen? (Er geht näher.) Alter Weber. A liegt halt da. (Es wird Platz gemacht. Man ſieht einen etwa achtjährigen Jungen wie todt an der Erde liegen.) Dreißiger. Kennt Jemand den Jungen? Alter Weber. Aus unſerm Dorfe is a nich. Der alte Baumert. Der ſieht ja bald aus, wie Heinrichen’s. (Er betrachtet ihn genauer.) Ja, ja! Das is Heinrichen’s Guſtavl.

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_weber_1892/27>, abgerufen am 16.04.2024.