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Hauptmann, Gerhart: Vor Sonnenaufgang. Berlin, 1889.

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Menschenabschlachtungs-Instrument, wie es der Degen
oder der Säbel ist an der Seite, stolz herumzulaufen.
Den Henker, der das mit dem Beile thäte, würde
man zweifels ohne steinigen. Verkehrt ist es dann,
die Religion Christi, diese Religion der Duldung,
Vergebung und Liebe, als Staatsreligion zu haben
und dabei ganze Völker zu vollendeten Menschenschläch-
tern heranzubilden. Dies sind einige unter Millionen,
müssen Sie bedenken. Es kostet Mühe, sich durch alle
diese Verkehrtheiten hindurchzuringen; man muß früh
anfangen.
Helene. Wie sind Sie denn nur so auf Alles
dies gekommen? Es ist so einfach und doch kommt man
nicht darauf.
Loth. Ich mag wohl durch meinen Entwickelungs-
gang darauf gekommen sein, durch Gespräche mit Freun-
den, durch Lecture, durch eigenes Denken. Hinter die
erste Verkehrtheit kam ich als kleiner Junge. Ich log
mal sehr stark und bekam dafür die schrecklichsten Prügel
von meinem Vater; kurz darauf fuhr ich mit ihm auf
der Eisenbahn und da merkte ich, daß mein Vater auch
log und es für ganz selbstverständlich hielt, zu lügen;
ich war damals fünf Jahre und mein Vater sagte dem
Schaffner, ich sei noch nicht vier, der freien Fahrt
halber, welche Kinder unter vier Jahren genießen.
Dann sagte der Lehrer auch mal: Sei fleißig, halt Dich
brav, dann wird es Dir auch unfehlbar gut gehen im
Leben. Der Mann lehrte uns eine Verkehrtheit, da-
hinter kam ich sehr bald Mein Vater war brav, ehr-
lich, durch und durch bieder, und ein Schuft, der noch
jetzt als reicher Mann lebt, betrog ihn um seine paar
Tausend Thaler. Bei eben diesem Schuft, der eine
große Seifenfabrik besaß, mußte mein Vater sogar, durch
die Noth getrieben, in Stellung treten.
Helene. Unsereins wagt es gar nicht -- wagt
es gar nicht, so etwas für verkehrt anzusehen, höchstens
ganz im Stillen empfindet man es. Man empfindet es
Menſchenabſchlachtungs-Inſtrument, wie es der Degen
oder der Säbel iſt an der Seite, ſtolz herumzulaufen.
Den Henker, der das mit dem Beile thäte, würde
man zweifels ohne ſteinigen. Verkehrt iſt es dann,
die Religion Chriſti, dieſe Religion der Duldung,
Vergebung und Liebe, als Staatsreligion zu haben
und dabei ganze Völker zu vollendeten Menſchenſchläch-
tern heranzubilden. Dies ſind einige unter Millionen,
müſſen Sie bedenken. Es koſtet Mühe, ſich durch alle
dieſe Verkehrtheiten hindurchzuringen; man muß früh
anfangen.
Helene. Wie ſind Sie denn nur ſo auf Alles
dies gekommen? Es iſt ſo einfach und doch kommt man
nicht darauf.
Loth. Ich mag wohl durch meinen Entwickelungs-
gang darauf gekommen ſein, durch Geſpräche mit Freun-
den, durch Lecture, durch eigenes Denken. Hinter die
erſte Verkehrtheit kam ich als kleiner Junge. Ich log
mal ſehr ſtark und bekam dafür die ſchrecklichſten Prügel
von meinem Vater; kurz darauf fuhr ich mit ihm auf
der Eiſenbahn und da merkte ich, daß mein Vater auch
log und es für ganz ſelbſtverſtändlich hielt, zu lügen;
ich war damals fünf Jahre und mein Vater ſagte dem
Schaffner, ich ſei noch nicht vier, der freien Fahrt
halber, welche Kinder unter vier Jahren genießen.
Dann ſagte der Lehrer auch mal: Sei fleißig, halt Dich
brav, dann wird es Dir auch unfehlbar gut gehen im
Leben. Der Mann lehrte uns eine Verkehrtheit, da-
hinter kam ich ſehr bald Mein Vater war brav, ehr-
lich, durch und durch bieder, und ein Schuft, der noch
jetzt als reicher Mann lebt, betrog ihn um ſeine paar
Tauſend Thaler. Bei eben dieſem Schuft, der eine
große Seifenfabrik beſaß, mußte mein Vater ſogar, durch
die Noth getrieben, in Stellung treten.
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es gar nicht, ſo etwas für verkehrt anzuſehen, höchſtens
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[46/0052] Menſchenabſchlachtungs-Inſtrument, wie es der Degen oder der Säbel iſt an der Seite, ſtolz herumzulaufen. Den Henker, der das mit dem Beile thäte, würde man zweifels ohne ſteinigen. Verkehrt iſt es dann, die Religion Chriſti, dieſe Religion der Duldung, Vergebung und Liebe, als Staatsreligion zu haben und dabei ganze Völker zu vollendeten Menſchenſchläch- tern heranzubilden. Dies ſind einige unter Millionen, müſſen Sie bedenken. Es koſtet Mühe, ſich durch alle dieſe Verkehrtheiten hindurchzuringen; man muß früh anfangen. Helene. Wie ſind Sie denn nur ſo auf Alles dies gekommen? Es iſt ſo einfach und doch kommt man nicht darauf. Loth. Ich mag wohl durch meinen Entwickelungs- gang darauf gekommen ſein, durch Geſpräche mit Freun- den, durch Lecture, durch eigenes Denken. Hinter die erſte Verkehrtheit kam ich als kleiner Junge. Ich log mal ſehr ſtark und bekam dafür die ſchrecklichſten Prügel von meinem Vater; kurz darauf fuhr ich mit ihm auf der Eiſenbahn und da merkte ich, daß mein Vater auch log und es für ganz ſelbſtverſtändlich hielt, zu lügen; ich war damals fünf Jahre und mein Vater ſagte dem Schaffner, ich ſei noch nicht vier, der freien Fahrt halber, welche Kinder unter vier Jahren genießen. Dann ſagte der Lehrer auch mal: Sei fleißig, halt Dich brav, dann wird es Dir auch unfehlbar gut gehen im Leben. Der Mann lehrte uns eine Verkehrtheit, da- hinter kam ich ſehr bald Mein Vater war brav, ehr- lich, durch und durch bieder, und ein Schuft, der noch jetzt als reicher Mann lebt, betrog ihn um ſeine paar Tauſend Thaler. Bei eben dieſem Schuft, der eine große Seifenfabrik beſaß, mußte mein Vater ſogar, durch die Noth getrieben, in Stellung treten. Helene. Unſereins wagt es gar nicht — wagt es gar nicht, ſo etwas für verkehrt anzuſehen, höchſtens ganz im Stillen empfindet man es. Man empfindet es

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Vor Sonnenaufgang. Berlin, 1889, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_sonnenaufgang_1889/52>, abgerufen am 02.05.2024.