Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.Der Zug hatte eine reichbemessene Fahrzeit Etwa fünfzig Arbeiter und Arbeiterinnen Der Zug hatte eine reichbemeſſene Fahrzeit Etwa fünfzig Arbeiter und Arbeiterinnen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0069" n="57"/> <p>Der Zug hatte eine reichbemeſſene Fahrzeit<lb/> und durfte überall anhalten, um die hie und<lb/> da noch beſchäftigten Arbeiter aufzunehmen,<lb/> andere hingegen abzuſetzen. Ein gutes Stück<lb/> vor Thiels Bude begann man zu bremſen. Ein<lb/> lautes Quietſchen, Schnarren, Raſſeln und<lb/> Klirren durchdrang weithin die Abendſtille, bis<lb/> der Zug unter einem einzigen ſchrillen, lang¬<lb/> gedehnten Ton ſtillſtand.</p><lb/> <p>Etwa fünfzig Arbeiter und Arbeiterinnen<lb/> waren in den Loren verteilt. Faſt alle ſtanden<lb/> aufrecht, einige unter den Männern mit ent¬<lb/> blößtem Kopfe. In ihrer aller Weſen lag eine<lb/> rätſelhafte Feierlichkeit. Als ſie des Wärters<lb/> anſichtig wurden, erhob ſich ein Flüſtern unter<lb/> ihnen. Die Alten zogen die Tabakspfeifen<lb/> zwiſchen den gelben Zähnen hervor und hielten<lb/> ſie reſpektvoll in den Händen. Hie und da<lb/> wandte ſich ein Frauenzimmer, um ſich zu<lb/> ſchnäuzen. Der Zugführer ſtieg auf die<lb/> Strecke herunter und trat auf Thiel<lb/> zu. Die Arbeiter ſahen, wie er ihm<lb/> feierlich die Hand ſchüttelte, worauf Thiel mit<lb/> langſamem, faſt militäriſch ſteifem Schritt auf<lb/> den letzten Wagen zuſchritt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [57/0069]
Der Zug hatte eine reichbemeſſene Fahrzeit
und durfte überall anhalten, um die hie und
da noch beſchäftigten Arbeiter aufzunehmen,
andere hingegen abzuſetzen. Ein gutes Stück
vor Thiels Bude begann man zu bremſen. Ein
lautes Quietſchen, Schnarren, Raſſeln und
Klirren durchdrang weithin die Abendſtille, bis
der Zug unter einem einzigen ſchrillen, lang¬
gedehnten Ton ſtillſtand.
Etwa fünfzig Arbeiter und Arbeiterinnen
waren in den Loren verteilt. Faſt alle ſtanden
aufrecht, einige unter den Männern mit ent¬
blößtem Kopfe. In ihrer aller Weſen lag eine
rätſelhafte Feierlichkeit. Als ſie des Wärters
anſichtig wurden, erhob ſich ein Flüſtern unter
ihnen. Die Alten zogen die Tabakspfeifen
zwiſchen den gelben Zähnen hervor und hielten
ſie reſpektvoll in den Händen. Hie und da
wandte ſich ein Frauenzimmer, um ſich zu
ſchnäuzen. Der Zugführer ſtieg auf die
Strecke herunter und trat auf Thiel
zu. Die Arbeiter ſahen, wie er ihm
feierlich die Hand ſchüttelte, worauf Thiel mit
langſamem, faſt militäriſch ſteifem Schritt auf
den letzten Wagen zuſchritt.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |