Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.Thiel macht keine Anstalten, den Verun¬ Die Zeit ist kostbar. Die Pfeife des Zug¬ Lene geberdet sich wie wahnsinnig. "Das Der Zugführer trillert abermals -- ein Pfiff Der Wärter anderen Sinnes geworden, legt Thiel macht keine Anſtalten, den Verun¬ Die Zeit iſt koſtbar. Die Pfeife des Zug¬ Lene geberdet ſich wie wahnſinnig. „Das Der Zugführer trillert abermals — ein Pfiff Der Wärter anderen Sinnes geworden, legt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0060" n="48"/> <p>Thiel macht keine Anſtalten, den Verun¬<lb/> glückten loszulaſſen. Man drängt in ihn. Ver¬<lb/> gebens. Der Packmeiſter läßt eine Bahre aus<lb/> dem Packwagen reichen und beordert einen Mann,<lb/> dem Vater beizuſtehen.</p><lb/> <p>Die Zeit iſt koſtbar. Die Pfeife des Zug¬<lb/> führers trillert. Münzen regnen aus den<lb/> Fenſtern.</p><lb/> <p>Lene geberdet ſich wie wahnſinnig. „Das<lb/> arme, arme Weib,“ heißt es in den Coup<hi rendition="#aq">é</hi>es,<lb/> „die arme, arme Mutter.“</p><lb/> <p>Der Zugführer trillert abermals — ein Pfiff<lb/> — die Maſchine ſtößt weiße, ziſchende Dämpfe<lb/> aus ihren Zylindern und ſtreckt ihre eiſernen<lb/> Sehnen; einige Sekunden und der Kourierzug<lb/> brauſt mit wehender Rauchfahne in doppelter<lb/> Geſchwindigkeit durch den Forſt.</p><lb/> <p>Der Wärter anderen Sinnes geworden, legt<lb/> den halbtoten Jungen auf die Bahre. Da liegt<lb/> er da in ſeiner verkommenen Körpergeſtalt, und<lb/> hin und wieder hebt ein langer, raſſelnder Atem¬<lb/> zug die knöcherne Bruſt, welche unter dem zer¬<lb/> fetzten Hemd ſichtbar wird. Die Ärmchen und<lb/> Beinchen, nicht nur in den Gelenken gebrochen,<lb/> nehmen die unnatürlichſten Stellungen ein. Die<lb/> Ferſe des kleinen Fußes iſt nach vorn gedreht,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [48/0060]
Thiel macht keine Anſtalten, den Verun¬
glückten loszulaſſen. Man drängt in ihn. Ver¬
gebens. Der Packmeiſter läßt eine Bahre aus
dem Packwagen reichen und beordert einen Mann,
dem Vater beizuſtehen.
Die Zeit iſt koſtbar. Die Pfeife des Zug¬
führers trillert. Münzen regnen aus den
Fenſtern.
Lene geberdet ſich wie wahnſinnig. „Das
arme, arme Weib,“ heißt es in den Coupées,
„die arme, arme Mutter.“
Der Zugführer trillert abermals — ein Pfiff
— die Maſchine ſtößt weiße, ziſchende Dämpfe
aus ihren Zylindern und ſtreckt ihre eiſernen
Sehnen; einige Sekunden und der Kourierzug
brauſt mit wehender Rauchfahne in doppelter
Geſchwindigkeit durch den Forſt.
Der Wärter anderen Sinnes geworden, legt
den halbtoten Jungen auf die Bahre. Da liegt
er da in ſeiner verkommenen Körpergeſtalt, und
hin und wieder hebt ein langer, raſſelnder Atem¬
zug die knöcherne Bruſt, welche unter dem zer¬
fetzten Hemd ſichtbar wird. Die Ärmchen und
Beinchen, nicht nur in den Gelenken gebrochen,
nehmen die unnatürlichſten Stellungen ein. Die
Ferſe des kleinen Fußes iſt nach vorn gedreht,
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Zitationshilfe: | Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/60>, abgerufen am 07.07.2024. |