Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.vor Hunger? -- wie? -- na wart nur, wart, "Du erbärmlicher Grünschnabel," scholl es Das Wimmern verstummte nicht. Der Wärter fühlte, wie sein Herz in schweren, Einen Augenblick drohte es ihn zu über¬ vor Hunger? — wie? — na wart nur, wart, „Du erbärmlicher Grünſchnabel,“ ſcholl es Das Wimmern verſtummte nicht. Der Wärter fühlte, wie ſein Herz in ſchweren, Einen Augenblick drohte es ihn zu über¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0032" n="20"/> vor Hunger? — wie? — na wart nur, wart,<lb/> ich will Dich lehren aufpaſſen! — Du ſollſt<lb/> dran denken.“ Einige Augenblicke blieb es ſtill,<lb/> dann hörte man ein Geräuſch, wie wenn Klei¬<lb/> dungsſtücke ausgeklopft würden, unmittelbar da¬<lb/> rauf entlud ſich ein neues Hagelwetter von<lb/> Schimpfworten.</p><lb/> <p>„Du erbärmlicher Grünſchnabel,“ ſcholl es<lb/> im ſchnellſten Tempo herunter, „meinſt Du, ich<lb/> ſollte mein leibliches Kind wegen ſolch einem<lb/> Jammerlappen, wie Du biſt, verhungern laſſen?“<lb/> „Halts Maul!“ ſchrie es, als ein leiſes Wimmern<lb/> hörbar wurde, „oder Du ſollſt eine Portion<lb/> kriegen, an der Du acht Tage zu freſſen haſt.“</p><lb/> <p>Das Wimmern verſtummte nicht.</p><lb/> <p>Der Wärter fühlte, wie ſein Herz in ſchweren,<lb/> unregelmäßigen Schlägen ging; er begann leiſe<lb/> zu zittern, ſeine Blicke hingen wie abweſend am<lb/> Boden feſt, und die plumpe und harte Hand<lb/> ſtrich mehrmals ein Büſchel naſſer Haare zur<lb/> Seite, das immer von neuem in die ſommer¬<lb/> ſproſſige Stirne hinein fiel.</p><lb/> <p>Einen Augenblick drohte es ihn zu über¬<lb/> wältigen. Es war ein Krampf, der die Muskeln<lb/> ſchwellen machte und die Finger der Hand zur<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [20/0032]
vor Hunger? — wie? — na wart nur, wart,
ich will Dich lehren aufpaſſen! — Du ſollſt
dran denken.“ Einige Augenblicke blieb es ſtill,
dann hörte man ein Geräuſch, wie wenn Klei¬
dungsſtücke ausgeklopft würden, unmittelbar da¬
rauf entlud ſich ein neues Hagelwetter von
Schimpfworten.
„Du erbärmlicher Grünſchnabel,“ ſcholl es
im ſchnellſten Tempo herunter, „meinſt Du, ich
ſollte mein leibliches Kind wegen ſolch einem
Jammerlappen, wie Du biſt, verhungern laſſen?“
„Halts Maul!“ ſchrie es, als ein leiſes Wimmern
hörbar wurde, „oder Du ſollſt eine Portion
kriegen, an der Du acht Tage zu freſſen haſt.“
Das Wimmern verſtummte nicht.
Der Wärter fühlte, wie ſein Herz in ſchweren,
unregelmäßigen Schlägen ging; er begann leiſe
zu zittern, ſeine Blicke hingen wie abweſend am
Boden feſt, und die plumpe und harte Hand
ſtrich mehrmals ein Büſchel naſſer Haare zur
Seite, das immer von neuem in die ſommer¬
ſproſſige Stirne hinein fiel.
Einen Augenblick drohte es ihn zu über¬
wältigen. Es war ein Krampf, der die Muskeln
ſchwellen machte und die Finger der Hand zur
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Zitationshilfe: | Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/32>, abgerufen am 16.02.2025. |