Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.deren Jungen, er schnitt ihm Weidenpfeifchen Die Leute verübelten ihm seine Läppschereien, Nach dem Mittagessen legte sich der Wärter deren Jungen, er ſchnitt ihm Weidenpfeifchen Die Leute verübelten ihm ſeine Läppſchereien, Nach dem Mittageſſen legte ſich der Wärter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0028" n="16"/> deren Jungen, er ſchnitt ihm Weidenpfeifchen<lb/> und ließ ſich ſogar herbei, mit ſeinem verroſteten<lb/> Baß das Beſchwörungslied zu ſingen, während<lb/> er mit dem Horngriff ſeines Taſchenmeſſers die<lb/> Rinde leiſe klopfte.</p><lb/> <p>Die Leute verübelten ihm ſeine Läppſchereien,<lb/> es war ihnen unerfindlich, wie er ſich mit den<lb/> Rotznaſen ſo viel abgeben konnte. Im Grunde<lb/> durften ſie jedoch damit zufrieden ſein, denn die<lb/> Kinder durften unter ſeiner Obhut gut aufge¬<lb/> hoben ſein, überdies nahm Thiel auch ernſte<lb/> Dinge mit ihnen vor, hörte den Großen ihre<lb/> Schulaufgaben ab, half ihnen beim Lernen der<lb/> Bibel- und Geſangbuchverſe und buchſtabierte mit<lb/> den Kleinen „a“ — „b“ — „ab“, „d“ — „u“<lb/> — „du“, und ſo fort.</p><lb/> <p>Nach dem Mittageſſen legte ſich der Wärter<lb/> abermals zu kurzer Ruhe nieder; nachdem ſie<lb/> beendigt, trank er den Nachmittagskaffee und<lb/> begann gleich darauf ſich für den Gang in den<lb/> Dienſt vorzubereiten. Er brauchte dazu, wie<lb/> zu allen ſeinen Verrichtungen, viel Zeit; jeder<lb/> Handgriff war ſeit Jahren geregelt, in ſtets<lb/> gleicher Reihenfolge wanderten die ſorgſam auf<lb/> der kleinen Nußbaumkomode ausgebreiteten Ge¬<lb/> genſtände: Meſſer, Notizbuch, Kamm, ein Pferde¬<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [16/0028]
deren Jungen, er ſchnitt ihm Weidenpfeifchen
und ließ ſich ſogar herbei, mit ſeinem verroſteten
Baß das Beſchwörungslied zu ſingen, während
er mit dem Horngriff ſeines Taſchenmeſſers die
Rinde leiſe klopfte.
Die Leute verübelten ihm ſeine Läppſchereien,
es war ihnen unerfindlich, wie er ſich mit den
Rotznaſen ſo viel abgeben konnte. Im Grunde
durften ſie jedoch damit zufrieden ſein, denn die
Kinder durften unter ſeiner Obhut gut aufge¬
hoben ſein, überdies nahm Thiel auch ernſte
Dinge mit ihnen vor, hörte den Großen ihre
Schulaufgaben ab, half ihnen beim Lernen der
Bibel- und Geſangbuchverſe und buchſtabierte mit
den Kleinen „a“ — „b“ — „ab“, „d“ — „u“
— „du“, und ſo fort.
Nach dem Mittageſſen legte ſich der Wärter
abermals zu kurzer Ruhe nieder; nachdem ſie
beendigt, trank er den Nachmittagskaffee und
begann gleich darauf ſich für den Gang in den
Dienſt vorzubereiten. Er brauchte dazu, wie
zu allen ſeinen Verrichtungen, viel Zeit; jeder
Handgriff war ſeit Jahren geregelt, in ſtets
gleicher Reihenfolge wanderten die ſorgſam auf
der kleinen Nußbaumkomode ausgebreiteten Ge¬
genſtände: Meſſer, Notizbuch, Kamm, ein Pferde¬
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Zitationshilfe: | Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/28>, abgerufen am 16.02.2025. |