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Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.

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diese zunahm, verringerte sich die Liebe der
Stiefmutter zu Tobias und schlug sogar in un¬
verkennbare Abneigung um, als Lene nach
Verlauf eines neuen Jahres ebenfalls einen
Jungen gebar.

Von da ab begann für Tobias eine schlimme
Zeit; er wurde besonders in Abwesenheit des
Vaters unaufhörlich geplagt und mußte ohne
die geringste Belohnung dafür seine schwachen
Kräfte im Dienste des kleinen Schreihalses ein¬
setzen, wobei er sich mehr und mehr aufrieb.
Sein Kopf bekam einen ungewöhnlichen Umfang,
die brandroten Haare und das kreidige Gesicht
darunter machten einen unschönen und im Verein
mit der übrigen kläglichen Gestalt erbarmungs¬
würdigen Eindruck. Wenn sich der zurück¬
gebliebene Tobias solcher Gestalt, das kleine,
von Gesundheit strotzende Brüderchen auf dem
Arme, hinunter zur Spree schleppte, so wurden
hinter den Fenstern der Hütten Verwünschungen
laut, die sich jedoch niemals hervorwagten.
Thiel aber, welchen die Sache doch vor allem
anging, schien keine Augen für sie zu haben
und wollte auch die Winke nicht verstehen,
welche ihm von wohlmeinenden Nachbarsleuten
gegeben wurden.

dieſe zunahm, verringerte ſich die Liebe der
Stiefmutter zu Tobias und ſchlug ſogar in un¬
verkennbare Abneigung um, als Lene nach
Verlauf eines neuen Jahres ebenfalls einen
Jungen gebar.

Von da ab begann für Tobias eine ſchlimme
Zeit; er wurde beſonders in Abweſenheit des
Vaters unaufhörlich geplagt und mußte ohne
die geringſte Belohnung dafür ſeine ſchwachen
Kräfte im Dienſte des kleinen Schreihalſes ein¬
ſetzen, wobei er ſich mehr und mehr aufrieb.
Sein Kopf bekam einen ungewöhnlichen Umfang,
die brandroten Haare und das kreidige Geſicht
darunter machten einen unſchönen und im Verein
mit der übrigen kläglichen Geſtalt erbarmungs¬
würdigen Eindruck. Wenn ſich der zurück¬
gebliebene Tobias ſolcher Geſtalt, das kleine,
von Geſundheit ſtrotzende Brüderchen auf dem
Arme, hinunter zur Spree ſchleppte, ſo wurden
hinter den Fenſtern der Hütten Verwünſchungen
laut, die ſich jedoch niemals hervorwagten.
Thiel aber, welchen die Sache doch vor allem
anging, ſchien keine Augen für ſie zu haben
und wollte auch die Winke nicht verſtehen,
welche ihm von wohlmeinenden Nachbarsleuten
gegeben wurden.

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[11/0023] dieſe zunahm, verringerte ſich die Liebe der Stiefmutter zu Tobias und ſchlug ſogar in un¬ verkennbare Abneigung um, als Lene nach Verlauf eines neuen Jahres ebenfalls einen Jungen gebar. Von da ab begann für Tobias eine ſchlimme Zeit; er wurde beſonders in Abweſenheit des Vaters unaufhörlich geplagt und mußte ohne die geringſte Belohnung dafür ſeine ſchwachen Kräfte im Dienſte des kleinen Schreihalſes ein¬ ſetzen, wobei er ſich mehr und mehr aufrieb. Sein Kopf bekam einen ungewöhnlichen Umfang, die brandroten Haare und das kreidige Geſicht darunter machten einen unſchönen und im Verein mit der übrigen kläglichen Geſtalt erbarmungs¬ würdigen Eindruck. Wenn ſich der zurück¬ gebliebene Tobias ſolcher Geſtalt, das kleine, von Geſundheit ſtrotzende Brüderchen auf dem Arme, hinunter zur Spree ſchleppte, ſo wurden hinter den Fenſtern der Hütten Verwünſchungen laut, die ſich jedoch niemals hervorwagten. Thiel aber, welchen die Sache doch vor allem anging, ſchien keine Augen für ſie zu haben und wollte auch die Winke nicht verſtehen, welche ihm von wohlmeinenden Nachbarsleuten gegeben wurden.

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/23>, abgerufen am 21.11.2024.