Er setzte sich auf eine Bank nieder, die am See stand und fing an das Brod zu essen, das er sich gekauft hatte. Dann schälte er die Orange und drückte die kalte Schale an seine Stirn. Mit Andacht, wie der Christ die Hostie, genoß er die Frucht. Noch war er damit nicht zu Ende, als er müde zurücksank. Ein wenig Schlaf würde ihm willkommen gewesen sein. Ja, wenn das so leicht wäre: Ausruhen. Wie soll man ruhen, wenn es im Kopfe drinnen endlos wühlt und gährt. Wenn das Herz her¬ aus will, wenn es einen zieht in's Unbestimmte, -- wenn man eine Mission hat, die verlangt, daß man sich ihr unterziehe -- wenn die Menschen draußen warten und sich die Köpfe zerbrechen. Wie soll man ruhen und schlafen, wo es noth thut zu handeln.
Es war ein peinigender Zustand, wie er so dalag. Fragen und Fragen und nie eine Antwort. Graue, quälende Leere, mitunter schmerzende Stockungen. An einen Ziehbrunnen mußte er denken. Man steht, zieht mit aller Kraft am Seil, aber das Rad, worüber es geht, dreht sich nicht mehr. Man läßt nicht nach mit Zerren und Stemmen. Der Eimer soll herauf. Man dürstet zum Verschmachten. Das Rad giebt
Er ſetzte ſich auf eine Bank nieder, die am See ſtand und fing an das Brod zu eſſen, das er ſich gekauft hatte. Dann ſchälte er die Orange und drückte die kalte Schale an ſeine Stirn. Mit Andacht, wie der Chriſt die Hoſtie, genoß er die Frucht. Noch war er damit nicht zu Ende, als er müde zurückſank. Ein wenig Schlaf würde ihm willkommen geweſen ſein. Ja, wenn das ſo leicht wäre: Ausruhen. Wie ſoll man ruhen, wenn es im Kopfe drinnen endlos wühlt und gährt. Wenn das Herz her¬ aus will, wenn es einen zieht in's Unbeſtimmte, — wenn man eine Miſſion hat, die verlangt, daß man ſich ihr unterziehe — wenn die Menſchen draußen warten und ſich die Köpfe zerbrechen. Wie ſoll man ruhen und ſchlafen, wo es noth thut zu handeln.
Es war ein peinigender Zuſtand, wie er ſo dalag. Fragen und Fragen und nie eine Antwort. Graue, quälende Leere, mitunter ſchmerzende Stockungen. An einen Ziehbrunnen mußte er denken. Man ſteht, zieht mit aller Kraft am Seil, aber das Rad, worüber es geht, dreht ſich nicht mehr. Man läßt nicht nach mit Zerren und Stemmen. Der Eimer ſoll herauf. Man dürſtet zum Verſchmachten. Das Rad giebt
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Er ſetzte ſich auf eine Bank nieder, die am
See ſtand und fing an das Brod zu eſſen, das
er ſich gekauft hatte. Dann ſchälte er die
Orange und drückte die kalte Schale an ſeine
Stirn. Mit Andacht, wie der Chriſt die Hoſtie,
genoß er die Frucht. Noch war er damit nicht
zu Ende, als er müde zurückſank. Ein wenig
Schlaf würde ihm willkommen geweſen ſein.
Ja, wenn das ſo leicht wäre: Ausruhen. Wie
ſoll man ruhen, wenn es im Kopfe drinnen
endlos wühlt und gährt. Wenn das Herz her¬
aus will, wenn es einen zieht in's Unbeſtimmte,
— wenn man eine Miſſion hat, die verlangt,
daß man ſich ihr unterziehe — wenn die
Menſchen draußen warten und ſich die Köpfe
zerbrechen. Wie ſoll man ruhen und ſchlafen,
wo es noth thut zu handeln.
Es war ein peinigender Zuſtand, wie er ſo
dalag. Fragen und Fragen und nie eine Antwort.
Graue, quälende Leere, mitunter ſchmerzende
Stockungen. An einen Ziehbrunnen mußte er
denken. Man ſteht, zieht mit aller Kraft am
Seil, aber das Rad, worüber es geht, dreht ſich
nicht mehr. Man läßt nicht nach mit Zerren
und Stemmen. Der Eimer ſoll herauf. Man
dürſtet zum Verſchmachten. Das Rad giebt
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Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/104>, abgerufen am 16.02.2025.
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