Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.des Zeigers heißt: "in den Kopf". Dahin ziehen die Geister, die sich schon im Faß lange genug bei dem schnöden, gemeineren Stoff gelangweilt haben, und jetzt, da sie freien Lauf nehmen können, schielen sie nach dem Wegzeiger rechts hinauf. Während die Masse links hinabströmt, steigen sie aufwärts und finden sich im Wirthshaus zur Zirbeldrüse wieder zusammen. Es sind friedliche, verständige Leute, diese Geister. Sie erhellen dein Haus, o Seele, so lange ihrer vier oder fünf beisammen sind, nachher möchte ich wohl für Nichts stehen, denn sie raufen sich dann und treiben allerhand Unfug im Gehirn. Wie schön ist die vierte Lebensperiode, die wir mit dem vierten Glas beginnen wollen! Du bist vierzehn Jahre alt, o Seele! Aber was ist mit dir vorgegangen in der kurzen Zeit? Du spielst keine Knabenspiele mehr, Soldaten und alles dieses Gezeuge liegt hinter dir, und du scheinst mir viel zu lesen. Du bist hinter Goethe und Schiller gerathen und verschlingst sie, ohne Alles zu verstehen; oder wie? du verstehst jetzt schon Alles? du willst meinen, du könntest Liebe verstehen, weil du im letzten Sonntagsklub Elvire hinter der Kommode im Dunkeln geküßt und Emma's Zärtlichkeit zurückgewiesen hast? Barbar! ahnest du nicht, daß dieses dreizehnjährige Herz auch den Werther und sogar etwas von Clauren gelesen haben kann und Liebe für dich fühlt? Aber die Scene ändert sich. Sei mir gegrüßt, du Felsenthal der Alb! Du blauer Strom, an des Zeigers heißt: „in den Kopf“. Dahin ziehen die Geister, die sich schon im Faß lange genug bei dem schnöden, gemeineren Stoff gelangweilt haben, und jetzt, da sie freien Lauf nehmen können, schielen sie nach dem Wegzeiger rechts hinauf. Während die Masse links hinabströmt, steigen sie aufwärts und finden sich im Wirthshaus zur Zirbeldrüse wieder zusammen. Es sind friedliche, verständige Leute, diese Geister. Sie erhellen dein Haus, o Seele, so lange ihrer vier oder fünf beisammen sind, nachher möchte ich wohl für Nichts stehen, denn sie raufen sich dann und treiben allerhand Unfug im Gehirn. Wie schön ist die vierte Lebensperiode, die wir mit dem vierten Glas beginnen wollen! Du bist vierzehn Jahre alt, o Seele! Aber was ist mit dir vorgegangen in der kurzen Zeit? Du spielst keine Knabenspiele mehr, Soldaten und alles dieses Gezeuge liegt hinter dir, und du scheinst mir viel zu lesen. Du bist hinter Goethe und Schiller gerathen und verschlingst sie, ohne Alles zu verstehen; oder wie? du verstehst jetzt schon Alles? du willst meinen, du könntest Liebe verstehen, weil du im letzten Sonntagsklub Elvire hinter der Kommode im Dunkeln geküßt und Emma's Zärtlichkeit zurückgewiesen hast? Barbar! ahnest du nicht, daß dieses dreizehnjährige Herz auch den Werther und sogar etwas von Clauren gelesen haben kann und Liebe für dich fühlt? Aber die Scene ändert sich. Sei mir gegrüßt, du Felsenthal der Alb! Du blauer Strom, an <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0026"/> des Zeigers heißt: „in den Kopf“. Dahin ziehen die Geister, die sich schon im Faß lange genug bei dem schnöden, gemeineren Stoff gelangweilt haben, und jetzt, da sie freien Lauf nehmen können, schielen sie nach dem Wegzeiger rechts hinauf. Während die Masse links hinabströmt, steigen sie aufwärts und finden sich im Wirthshaus zur Zirbeldrüse wieder zusammen. Es sind friedliche, verständige Leute, diese Geister. Sie erhellen dein Haus, o Seele, so lange ihrer vier oder fünf beisammen sind, nachher möchte ich wohl für Nichts stehen, denn sie raufen sich dann und treiben allerhand Unfug im Gehirn.</p><lb/> <p>Wie schön ist die vierte Lebensperiode, die wir mit dem vierten Glas beginnen wollen! Du bist vierzehn Jahre alt, o Seele! Aber was ist mit dir vorgegangen in der kurzen Zeit? Du spielst keine Knabenspiele mehr, Soldaten und alles dieses Gezeuge liegt hinter dir, und du scheinst mir viel zu lesen. Du bist hinter Goethe und Schiller gerathen und verschlingst sie, ohne Alles zu verstehen; oder wie? du verstehst jetzt schon Alles? du willst meinen, du könntest Liebe verstehen, weil du im letzten Sonntagsklub Elvire hinter der Kommode im Dunkeln geküßt und Emma's Zärtlichkeit zurückgewiesen hast? Barbar! ahnest du nicht, daß dieses dreizehnjährige Herz auch den Werther und sogar etwas von Clauren gelesen haben kann und Liebe für dich fühlt? Aber die Scene ändert sich. Sei mir gegrüßt, du Felsenthal der Alb! Du blauer Strom, an<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
des Zeigers heißt: „in den Kopf“. Dahin ziehen die Geister, die sich schon im Faß lange genug bei dem schnöden, gemeineren Stoff gelangweilt haben, und jetzt, da sie freien Lauf nehmen können, schielen sie nach dem Wegzeiger rechts hinauf. Während die Masse links hinabströmt, steigen sie aufwärts und finden sich im Wirthshaus zur Zirbeldrüse wieder zusammen. Es sind friedliche, verständige Leute, diese Geister. Sie erhellen dein Haus, o Seele, so lange ihrer vier oder fünf beisammen sind, nachher möchte ich wohl für Nichts stehen, denn sie raufen sich dann und treiben allerhand Unfug im Gehirn.
Wie schön ist die vierte Lebensperiode, die wir mit dem vierten Glas beginnen wollen! Du bist vierzehn Jahre alt, o Seele! Aber was ist mit dir vorgegangen in der kurzen Zeit? Du spielst keine Knabenspiele mehr, Soldaten und alles dieses Gezeuge liegt hinter dir, und du scheinst mir viel zu lesen. Du bist hinter Goethe und Schiller gerathen und verschlingst sie, ohne Alles zu verstehen; oder wie? du verstehst jetzt schon Alles? du willst meinen, du könntest Liebe verstehen, weil du im letzten Sonntagsklub Elvire hinter der Kommode im Dunkeln geküßt und Emma's Zärtlichkeit zurückgewiesen hast? Barbar! ahnest du nicht, daß dieses dreizehnjährige Herz auch den Werther und sogar etwas von Clauren gelesen haben kann und Liebe für dich fühlt? Aber die Scene ändert sich. Sei mir gegrüßt, du Felsenthal der Alb! Du blauer Strom, an
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Zitationshilfe: | Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_ratskeller_1910/26>, abgerufen am 16.02.2025. |