Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Rathskeller. Stuttgart, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

flimmernde Kerzen auf, die Lieblingsstunden
eines langen Lebens, und schien er nicht, wenn
er am Abend des Schalttags still und ruhig
im Sessel saß, sich kindlich zu freuen an den
Gaben der Vergangenheit?

Es war sein Schalttag wieder eingetreten,
als sie ihn hinaustrugen. Ich mußte weinen,
als ich dachte, daß der alte Mann seit langer
Zeit zum erstenmal wieder in die freie Luft
komme. Sie führten ihn den Weg, auf dem
ich so oft an seiner Seite gegangen war. Aber
nicht lange, so beugten sie über die schwarze
Brücke, und legten ihn tief in die Erde. "Nun
hält er seinen rechten Schalttag," dachte ich,
"aber wundern soll es mich doch, wie der alte
Herr wieder da herauf kommen will, denn sie
haben doch viele Steine und Rasen auf ihn
hinab geworfen." Er kam nicht wieder. Aber
sein Bild blieb in meinem Gedächtniß, und
als ich herangewachsen war, gehörte es zu mei¬

flimmernde Kerzen auf, die Lieblingsſtunden
eines langen Lebens, und ſchien er nicht, wenn
er am Abend des Schalttags ſtill und ruhig
im Seſſel ſaß, ſich kindlich zu freuen an den
Gaben der Vergangenheit?

Es war ſein Schalttag wieder eingetreten,
als ſie ihn hinaustrugen. Ich mußte weinen,
als ich dachte, daß der alte Mann ſeit langer
Zeit zum erſtenmal wieder in die freie Luft
komme. Sie fuͤhrten ihn den Weg, auf dem
ich ſo oft an ſeiner Seite gegangen war. Aber
nicht lange, ſo beugten ſie uͤber die ſchwarze
Bruͤcke, und legten ihn tief in die Erde. „Nun
haͤlt er ſeinen rechten Schalttag,“ dachte ich,
„aber wundern ſoll es mich doch, wie der alte
Herr wieder da herauf kommen will, denn ſie
haben doch viele Steine und Raſen auf ihn
hinab geworfen.“ Er kam nicht wieder. Aber
ſein Bild blieb in meinem Gedaͤchtniß, und
als ich herangewachſen war, gehoͤrte es zu mei¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0018" n="12"/>
flimmernde Kerzen auf, die Lieblings&#x017F;tunden<lb/>
eines langen Lebens, und &#x017F;chien er nicht, wenn<lb/>
er am Abend des Schalttags &#x017F;till und ruhig<lb/>
im Se&#x017F;&#x017F;el &#x017F;aß, &#x017F;ich kindlich zu freuen an den<lb/>
Gaben der Vergangenheit?</p><lb/>
        <p>Es war &#x017F;ein Schalttag wieder eingetreten,<lb/>
als &#x017F;ie ihn hinaustrugen. Ich mußte weinen,<lb/>
als ich dachte, daß der alte Mann &#x017F;eit langer<lb/>
Zeit zum er&#x017F;tenmal wieder in die freie Luft<lb/>
komme. Sie fu&#x0364;hrten ihn den Weg, auf dem<lb/>
ich &#x017F;o oft an &#x017F;einer Seite gegangen war. Aber<lb/>
nicht lange, &#x017F;o beugten &#x017F;ie u&#x0364;ber die &#x017F;chwarze<lb/>
Bru&#x0364;cke, und legten ihn tief in die Erde. &#x201E;Nun<lb/>
ha&#x0364;lt er &#x017F;einen rechten Schalttag,&#x201C; dachte ich,<lb/>
&#x201E;aber wundern &#x017F;oll es mich doch, wie der alte<lb/>
Herr wieder da herauf kommen will, denn &#x017F;ie<lb/>
haben doch viele Steine und Ra&#x017F;en auf ihn<lb/>
hinab geworfen.&#x201C; Er kam nicht wieder. Aber<lb/>
&#x017F;ein Bild blieb in meinem Geda&#x0364;chtniß, und<lb/>
als ich herangewach&#x017F;en war, geho&#x0364;rte es zu mei¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0018] flimmernde Kerzen auf, die Lieblingsſtunden eines langen Lebens, und ſchien er nicht, wenn er am Abend des Schalttags ſtill und ruhig im Seſſel ſaß, ſich kindlich zu freuen an den Gaben der Vergangenheit? Es war ſein Schalttag wieder eingetreten, als ſie ihn hinaustrugen. Ich mußte weinen, als ich dachte, daß der alte Mann ſeit langer Zeit zum erſtenmal wieder in die freie Luft komme. Sie fuͤhrten ihn den Weg, auf dem ich ſo oft an ſeiner Seite gegangen war. Aber nicht lange, ſo beugten ſie uͤber die ſchwarze Bruͤcke, und legten ihn tief in die Erde. „Nun haͤlt er ſeinen rechten Schalttag,“ dachte ich, „aber wundern ſoll es mich doch, wie der alte Herr wieder da herauf kommen will, denn ſie haben doch viele Steine und Raſen auf ihn hinab geworfen.“ Er kam nicht wieder. Aber ſein Bild blieb in meinem Gedaͤchtniß, und als ich herangewachſen war, gehoͤrte es zu mei¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_phantasien_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_phantasien_1827/18
Zitationshilfe: Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Rathskeller. Stuttgart, 1827, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_phantasien_1827/18>, abgerufen am 29.03.2024.