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Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Rathskeller. Stuttgart, 1827.

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flimmernde Kerzen auf, die Lieblingsstunden
eines langen Lebens, und schien er nicht, wenn
er am Abend des Schalttags still und ruhig
im Sessel saß, sich kindlich zu freuen an den
Gaben der Vergangenheit?

Es war sein Schalttag wieder eingetreten,
als sie ihn hinaustrugen. Ich mußte weinen,
als ich dachte, daß der alte Mann seit langer
Zeit zum erstenmal wieder in die freie Luft
komme. Sie führten ihn den Weg, auf dem
ich so oft an seiner Seite gegangen war. Aber
nicht lange, so beugten sie über die schwarze
Brücke, und legten ihn tief in die Erde. "Nun
hält er seinen rechten Schalttag," dachte ich,
"aber wundern soll es mich doch, wie der alte
Herr wieder da herauf kommen will, denn sie
haben doch viele Steine und Rasen auf ihn
hinab geworfen." Er kam nicht wieder. Aber
sein Bild blieb in meinem Gedächtniß, und
als ich herangewachsen war, gehörte es zu mei¬

flimmernde Kerzen auf, die Lieblingsſtunden
eines langen Lebens, und ſchien er nicht, wenn
er am Abend des Schalttags ſtill und ruhig
im Seſſel ſaß, ſich kindlich zu freuen an den
Gaben der Vergangenheit?

Es war ſein Schalttag wieder eingetreten,
als ſie ihn hinaustrugen. Ich mußte weinen,
als ich dachte, daß der alte Mann ſeit langer
Zeit zum erſtenmal wieder in die freie Luft
komme. Sie fuͤhrten ihn den Weg, auf dem
ich ſo oft an ſeiner Seite gegangen war. Aber
nicht lange, ſo beugten ſie uͤber die ſchwarze
Bruͤcke, und legten ihn tief in die Erde. „Nun
haͤlt er ſeinen rechten Schalttag,“ dachte ich,
„aber wundern ſoll es mich doch, wie der alte
Herr wieder da herauf kommen will, denn ſie
haben doch viele Steine und Raſen auf ihn
hinab geworfen.“ Er kam nicht wieder. Aber
ſein Bild blieb in meinem Gedaͤchtniß, und
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[12/0018] flimmernde Kerzen auf, die Lieblingsſtunden eines langen Lebens, und ſchien er nicht, wenn er am Abend des Schalttags ſtill und ruhig im Seſſel ſaß, ſich kindlich zu freuen an den Gaben der Vergangenheit? Es war ſein Schalttag wieder eingetreten, als ſie ihn hinaustrugen. Ich mußte weinen, als ich dachte, daß der alte Mann ſeit langer Zeit zum erſtenmal wieder in die freie Luft komme. Sie fuͤhrten ihn den Weg, auf dem ich ſo oft an ſeiner Seite gegangen war. Aber nicht lange, ſo beugten ſie uͤber die ſchwarze Bruͤcke, und legten ihn tief in die Erde. „Nun haͤlt er ſeinen rechten Schalttag,“ dachte ich, „aber wundern ſoll es mich doch, wie der alte Herr wieder da herauf kommen will, denn ſie haben doch viele Steine und Raſen auf ihn hinab geworfen.“ Er kam nicht wieder. Aber ſein Bild blieb in meinem Gedaͤchtniß, und als ich herangewachſen war, gehoͤrte es zu mei¬

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Zitationshilfe: Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Rathskeller. Stuttgart, 1827, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_phantasien_1827/18>, abgerufen am 21.11.2024.