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Hasenclever, Juliette: Und doch: Frauenwahlrecht! In: Die Frauenbewegung, Heft 12, 1913, S. 91–92.

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Frauen vollständig - oder wenigstens denen, die in der
Prinz-Albrechtstraße versammelt waren.

Wäre ihr Dasein mit ernster Beschäftigung ausgefüllt,
so käme ihnen nicht der Gedanke an solche Art Zerstreuung.
Aber es muß eine Tätigkeit sein, die den Verstand be-
schäftigt und eine beständige Disziplin verlangt. Die
Familie - damit wird man uns kommen - bietet in
tausend Fällen kein ausreichendes Arbeitsfeld, besonders
dann nicht, wenn der Mann etwa ein Feind aller so-
genannten Emanzipation ist und nur ein "Weibchen"
wünscht, das seine Sorgen durch gleichmäßig heiteres Wesen
und durch harmloses, seichtes Geplauder zerstreut und neben-
bei Haushalt und Kindern den äußeren Anstrich wohl-
geordneter Lebensführung gibt. Will man die Frauen
ändern - und man muß den Versuch unternehmen, ihnen
Selbstachtung und Würde zurückzugeben - so muß die
Erziehung eine andere werden. Und zwar darf es keine
Erziehung im Sinne des Spießbürgers sein. Denn die
Männer haben die Frauen bisher so gebildet,
wie sie sie haben wollten; ein bischen Literatur, ein bischen
Sprachen, ein bischen von allem - um Gotteswillen nicht
auf Berufstätigkeit und Studium hinarbeiten, denn das ge-
fährdet das spezifisch weibliche Wesen.

Aber es gibt unzählige Frauen, die keine höhere
Tochter-Bildung erhalten haben, die aus der Volksschule
hervorgegangen sind, und die die ernste Seite des Lebens
kennen gelernt haben. Ganz recht, und eben für diese
Frauen verlangen wir das Wahlrecht in erster Linie, für
sie käme es auch heute nicht mehr zu früh. Sie laufen nicht
höflichen Empfängen und Ausstellungen nach, sie arbeiten
und opfern sich auf für ihre Familien. Tausende von
ihnen leisten doppelte und dreifache Arbeit, und sie muß
man schildern, wenn man von "der beruflichen Frau" spricht.
Herr Rauscher ist gegen das Frauenstimmrecht, war es schon
früher, und ist in seiner Abneigung durch den Berliner
Skandal noch bestärkt worden. Wir fordern das
Frauenwahlrecht trotz alledem.
Wir verlangen
es, um die Machtmittel zu erhalten, den deutschen Mädchen
eine andere Erziehung zu sichern, und wir verlangen es
um den neun Millionen Arbeiterinnen und erwerbstätigen
Frauen eine Waffe für den wirtschaftlichen Kampf zu geben.

Die Frauen, die sich nach dem Anblick von Prinzessinnen-
kleidern sehnen, erstreben keine politischen Rechte. Eine
Bewegung, die sich auf diese Schichten stützen wollte, wäre
von vornherein der Lächerlichkeit preisgegeben. Daß sie
das Wahlrecht miterhalten, läßt sich nicht ändern, auch
männliche Nichtstuer und selbst solche, die das unsaubere
Geschäft des Bordellwirts und des Zuhälters führen, sind
nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen. Man kann aber nicht
den vielen Millionen tüchtiger ernster Frauen die politischen
Rechte vorenthalten wollen, weil einige tausend müßiger
Damen Beweise ihrer Unzulänglichkeit gegeben haben.



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Frauen vollständig – oder wenigstens denen, die in der
Prinz-Albrechtstraße versammelt waren.

Wäre ihr Dasein mit ernster Beschäftigung ausgefüllt,
so käme ihnen nicht der Gedanke an solche Art Zerstreuung.
Aber es muß eine Tätigkeit sein, die den Verstand be-
schäftigt und eine beständige Disziplin verlangt. Die
Familie – damit wird man uns kommen – bietet in
tausend Fällen kein ausreichendes Arbeitsfeld, besonders
dann nicht, wenn der Mann etwa ein Feind aller so-
genannten Emanzipation ist und nur ein „Weibchen“
wünscht, das seine Sorgen durch gleichmäßig heiteres Wesen
und durch harmloses, seichtes Geplauder zerstreut und neben-
bei Haushalt und Kindern den äußeren Anstrich wohl-
geordneter Lebensführung gibt. Will man die Frauen
ändern – und man muß den Versuch unternehmen, ihnen
Selbstachtung und Würde zurückzugeben – so muß die
Erziehung eine andere werden. Und zwar darf es keine
Erziehung im Sinne des Spießbürgers sein. Denn die
Männer haben die Frauen bisher so gebildet,
wie sie sie haben wollten; ein bischen Literatur, ein bischen
Sprachen, ein bischen von allem – um Gotteswillen nicht
auf Berufstätigkeit und Studium hinarbeiten, denn das ge-
fährdet das spezifisch weibliche Wesen.

Aber es gibt unzählige Frauen, die keine höhere
Tochter-Bildung erhalten haben, die aus der Volksschule
hervorgegangen sind, und die die ernste Seite des Lebens
kennen gelernt haben. Ganz recht, und eben für diese
Frauen verlangen wir das Wahlrecht in erster Linie, für
sie käme es auch heute nicht mehr zu früh. Sie laufen nicht
höflichen Empfängen und Ausstellungen nach, sie arbeiten
und opfern sich auf für ihre Familien. Tausende von
ihnen leisten doppelte und dreifache Arbeit, und sie muß
man schildern, wenn man von „der beruflichen Frau“ spricht.
Herr Rauscher ist gegen das Frauenstimmrecht, war es schon
früher, und ist in seiner Abneigung durch den Berliner
Skandal noch bestärkt worden. Wir fordern das
Frauenwahlrecht trotz alledem.
Wir verlangen
es, um die Machtmittel zu erhalten, den deutschen Mädchen
eine andere Erziehung zu sichern, und wir verlangen es
um den neun Millionen Arbeiterinnen und erwerbstätigen
Frauen eine Waffe für den wirtschaftlichen Kampf zu geben.

Die Frauen, die sich nach dem Anblick von Prinzessinnen-
kleidern sehnen, erstreben keine politischen Rechte. Eine
Bewegung, die sich auf diese Schichten stützen wollte, wäre
von vornherein der Lächerlichkeit preisgegeben. Daß sie
das Wahlrecht miterhalten, läßt sich nicht ändern, auch
männliche Nichtstuer und selbst solche, die das unsaubere
Geschäft des Bordellwirts und des Zuhälters führen, sind
nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen. Man kann aber nicht
den vielen Millionen tüchtiger ernster Frauen die politischen
Rechte vorenthalten wollen, weil einige tausend müßiger
Damen Beweise ihrer Unzulänglichkeit gegeben haben.



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[92/0002] Frauen vollständig – oder wenigstens denen, die in der Prinz-Albrechtstraße versammelt waren. Wäre ihr Dasein mit ernster Beschäftigung ausgefüllt, so käme ihnen nicht der Gedanke an solche Art Zerstreuung. Aber es muß eine Tätigkeit sein, die den Verstand be- schäftigt und eine beständige Disziplin verlangt. Die Familie – damit wird man uns kommen – bietet in tausend Fällen kein ausreichendes Arbeitsfeld, besonders dann nicht, wenn der Mann etwa ein Feind aller so- genannten Emanzipation ist und nur ein „Weibchen“ wünscht, das seine Sorgen durch gleichmäßig heiteres Wesen und durch harmloses, seichtes Geplauder zerstreut und neben- bei Haushalt und Kindern den äußeren Anstrich wohl- geordneter Lebensführung gibt. Will man die Frauen ändern – und man muß den Versuch unternehmen, ihnen Selbstachtung und Würde zurückzugeben – so muß die Erziehung eine andere werden. Und zwar darf es keine Erziehung im Sinne des Spießbürgers sein. Denn die Männer haben die Frauen bisher so gebildet, wie sie sie haben wollten; ein bischen Literatur, ein bischen Sprachen, ein bischen von allem – um Gotteswillen nicht auf Berufstätigkeit und Studium hinarbeiten, denn das ge- fährdet das spezifisch weibliche Wesen. Aber es gibt unzählige Frauen, die keine höhere Tochter-Bildung erhalten haben, die aus der Volksschule hervorgegangen sind, und die die ernste Seite des Lebens kennen gelernt haben. Ganz recht, und eben für diese Frauen verlangen wir das Wahlrecht in erster Linie, für sie käme es auch heute nicht mehr zu früh. Sie laufen nicht höflichen Empfängen und Ausstellungen nach, sie arbeiten und opfern sich auf für ihre Familien. Tausende von ihnen leisten doppelte und dreifache Arbeit, und sie muß man schildern, wenn man von „der beruflichen Frau“ spricht. Herr Rauscher ist gegen das Frauenstimmrecht, war es schon früher, und ist in seiner Abneigung durch den Berliner Skandal noch bestärkt worden. Wir fordern das Frauenwahlrecht trotz alledem. Wir verlangen es, um die Machtmittel zu erhalten, den deutschen Mädchen eine andere Erziehung zu sichern, und wir verlangen es um den neun Millionen Arbeiterinnen und erwerbstätigen Frauen eine Waffe für den wirtschaftlichen Kampf zu geben. Die Frauen, die sich nach dem Anblick von Prinzessinnen- kleidern sehnen, erstreben keine politischen Rechte. Eine Bewegung, die sich auf diese Schichten stützen wollte, wäre von vornherein der Lächerlichkeit preisgegeben. Daß sie das Wahlrecht miterhalten, läßt sich nicht ändern, auch männliche Nichtstuer und selbst solche, die das unsaubere Geschäft des Bordellwirts und des Zuhälters führen, sind nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen. Man kann aber nicht den vielen Millionen tüchtiger ernster Frauen die politischen Rechte vorenthalten wollen, weil einige tausend müßiger Damen Beweise ihrer Unzulänglichkeit gegeben haben. ___________________ _______________________________________________________________________________

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Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-02-12T14:21:14Z)

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Zitationshilfe: Hasenclever, Juliette: Und doch: Frauenwahlrecht! In: Die Frauenbewegung, Heft 12, 1913, S. 91–92, hier S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hasenclever_frauenwahlrecht_1913/2>, abgerufen am 23.11.2024.