haben, wenn sie ihre Kinder glücklich sehen, wenn sie sich selbst ein glückliches Alter verschaffen wollen? Auch Horaz predigt keine andere Moral als diese, und die Satyren des Persius sind voller Andeutun- gen zu einer trefflichen Erziehungslehre.
Für unsere Zeit aber haben die Werke jener Männer ein ganz besonderes Jnteresse, obgleich sie rein menschliche Wahrheiten enthalten, die unter allen Umständen gültig sind und so lange wie das Ge- schlecht selbst dauern werden. Denn es läßt sich nicht läugnen, daß das neunzehnte Jahrhundert mit der Epoche des römischen Kaiserthums in mancher Be- ziehung eine entschiedene Aehnlichkeit besitzt.
Damals wie jetzt herrschten Verfeinerung und Verweichlichung vor, und man war nur zu geneigt die wahren Güter des Lebens den bloß scheinbaren zu opfern. Lebte Juvenal zu unsern Zeiten, er würde gewiß eben so viel Anlaß zum Zorne finden, als da- mals wo Entrüstung ihm seinen Vers dictirte.
Worin liegt nun die Ursache dieses allgemeinen Strebens nach äußeren Gütern mit Hintansetzung der viel wichtigeren innern? -- Nirgends anders als in der Jrreleitung des Triebes nach Glückseligkeit, der uns allen inwohnt.
Von falschen Vorstellungen geblendet, suchen wir unser Glück da wo es nicht liegt und vernachlässi- gen seine Quellen, die überall und reichlich hervor-
haben, wenn ſie ihre Kinder gluͤcklich ſehen, wenn ſie ſich ſelbſt ein glückliches Alter verſchaffen wollen? Auch Horaz predigt keine andere Moral als dieſe, und die Satyren des Perſius ſind voller Andeutun- gen zu einer trefflichen Erziehungslehre.
Fuͤr unſere Zeit aber haben die Werke jener Maͤnner ein ganz beſonderes Jntereſſe, obgleich ſie rein menſchliche Wahrheiten enthalten, die unter allen Umſtaͤnden gültig ſind und ſo lange wie das Ge- ſchlecht ſelbſt dauern werden. Denn es laͤßt ſich nicht laͤugnen, daß das neunzehnte Jahrhundert mit der Epoche des roͤmiſchen Kaiſerthums in mancher Be- ziehung eine entſchiedene Aehnlichkeit beſitzt.
Damals wie jetzt herrſchten Verfeinerung und Verweichlichung vor, und man war nur zu geneigt die wahren Guͤter des Lebens den bloß ſcheinbaren zu opfern. Lebte Juvenal zu unſern Zeiten, er wuͤrde gewiß eben ſo viel Anlaß zum Zorne finden, als da- mals wo Entruͤſtung ihm ſeinen Vers dictirte.
Worin liegt nun die Urſache dieſes allgemeinen Strebens nach aͤußeren Guͤtern mit Hintanſetzung der viel wichtigeren innern? — Nirgends anders als in der Jrreleitung des Triebes nach Gluͤckſeligkeit, der uns allen inwohnt.
Von falſchen Vorſtellungen geblendet, ſuchen wir unſer Glück da wo es nicht liegt und vernachlaͤſſi- gen ſeine Quellen, die uͤberall und reichlich hervor-
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haben, wenn ſie ihre Kinder gluͤcklich ſehen, wenn
ſie ſich ſelbſt ein glückliches Alter verſchaffen wollen?
Auch Horaz predigt keine andere Moral als dieſe,
und die Satyren des Perſius ſind voller Andeutun-
gen zu einer trefflichen Erziehungslehre.
Fuͤr unſere Zeit aber haben die Werke jener
Maͤnner ein ganz beſonderes Jntereſſe, obgleich ſie
rein menſchliche Wahrheiten enthalten, die unter allen
Umſtaͤnden gültig ſind und ſo lange wie das Ge-
ſchlecht ſelbſt dauern werden. Denn es laͤßt ſich nicht
laͤugnen, daß das neunzehnte Jahrhundert mit der
Epoche des roͤmiſchen Kaiſerthums in mancher Be-
ziehung eine entſchiedene Aehnlichkeit beſitzt.
Damals wie jetzt herrſchten Verfeinerung und
Verweichlichung vor, und man war nur zu geneigt
die wahren Guͤter des Lebens den bloß ſcheinbaren
zu opfern. Lebte Juvenal zu unſern Zeiten, er wuͤrde
gewiß eben ſo viel Anlaß zum Zorne finden, als da-
mals wo Entruͤſtung ihm ſeinen Vers dictirte.
Worin liegt nun die Urſache dieſes allgemeinen
Strebens nach aͤußeren Guͤtern mit Hintanſetzung der
viel wichtigeren innern? — Nirgends anders als in
der Jrreleitung des Triebes nach Gluͤckſeligkeit, der
uns allen inwohnt.
Von falſchen Vorſtellungen geblendet, ſuchen wir
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Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/12>, abgerufen am 03.07.2024.
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