Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653.

Bild:
<< vorherige Seite

Von der Nachahmung.
ahmen pfleget; welches geschihet/ wann die abge-
sehene Gleichheit nicht kan beobachtet und ver-
mutet werden/ daß es eine eigne Erfindung schei-
net/ als wann ein Mahler/ ohne Beyhülffe an-
drer Kunst-Stücke mahlet/ was kein andrer vor
ihme gemahlet; welche eigne Erfindungen so viel
höher geachtet/ so viel seltner sie zu Werke ge-
bracht werden: jedoch mag er durch eines andern
Meister Prob zu solcher Arte zuschreiben oder zu
mahlen seyn veranlasst worden.

Zum Exempel: Es ist bewust was Gschicht-
reden
sind/ nemlich solche Reden/ wie C. Barlae-
us
unterschiedlichen Personen/ deren in Geistli-
chen und Weltlichen Geschichten gedacht
wird/ angedichtet. Unter andern führet er be-
rühmte Weiber ein/ und machet sie nach einer
sonderlichen Begebenheit reden. Dieser Art zu-
schreiben will ich nachahmen/ wehle mir aber ei-
nen gantz andern Jnhalt/ demselben gemässen
Wortbegriff/ und kan also nachfolgendes Ge-
dicht für meine eigne Ersindung halten/ ob ich
gleich die Art zuschreiben/ besagter massen von
andern abgeschen. Weil ich nun über das meinige
mehr Macht habe/ als über das fremde/ will ich
zu einem Beyspiel setzen/ die Geschichtrede der

Verunehrten Dina.
Ach Gott/ ach treuer Gott/ dir solte Dina dienen/
Die Jacobs Tochter ist! Es ist an mir erschienen
Der
C vj

Von der Nachahmung.
ahmen pfleget; welches geſchihet/ wann die abge-
ſehene Gleichheit nicht kan beobachtet und ver-
mutet werden/ daß es eine eigne Erfindung ſchei-
net/ als wann ein Mahler/ ohne Beyhuͤlffe an-
drer Kunſt-Stuͤcke mahlet/ was kein andrer vor
ihme gemahlet; welche eigne Erfindungen ſo viel
hoͤher geachtet/ ſo viel ſeltner ſie zu Werke ge-
bracht werden: jedoch mag er durch eines andern
Meiſter Prob zu ſolcher Arte zuſchreiben oder zu
mahlen ſeyn veranlaſſt worden.

Zum Exempel: Es iſt bewuſt was Gſchicht-
reden
ſind/ nemlich ſolche Reden/ wie C. Barlæ-
us
unterſchiedlichen Perſonen/ deren in Geiſtli-
chen und Weltlichen Geſchichten gedacht
wird/ angedichtet. Unter andern fuͤhret er be-
ruͤhmte Weiber ein/ und machet ſie nach einer
ſonderlichen Begebenheit reden. Dieſer Art zu-
ſchreiben will ich nachahmen/ wehle mir aber ei-
nen gantz andern Jnhalt/ demſelben gemaͤſſen
Wortbegriff/ und kan alſo nachfolgendes Ge-
dicht fuͤr meine eigne Erſindung halten/ ob ich
gleich die Art zuſchreiben/ beſagter maſſen von
andern abgeſchẽ. Weil ich nun uͤber das meinige
mehr Macht habe/ als uͤber das fremde/ will ich
zu einem Beyſpiel ſetzen/ die Geſchichtrede der

Verunehrten Dina.
Ach Gott/ ach treuer Gott/ dir ſolte Dina dienẽ/
Die Jacobs Tochter iſt! Es iſt an mir erſchienen
Der
C vj
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0075" n="43"/><fw place="top" type="header">Von der Nachahmung.</fw><lb/>
ahmen pfleget; welches ge&#x017F;chihet/ wann die abge-<lb/>
&#x017F;ehene Gleichheit nicht kan beobachtet und ver-<lb/>
mutet werden/ daß es eine eigne Erfindung &#x017F;chei-<lb/>
net/ als wann ein Mahler/ ohne Beyhu&#x0364;lffe an-<lb/>
drer Kun&#x017F;t-Stu&#x0364;cke mahlet/ was kein andrer vor<lb/>
ihme gemahlet; welche eigne Erfindungen &#x017F;o viel<lb/>
ho&#x0364;her geachtet/ &#x017F;o viel &#x017F;eltner &#x017F;ie zu Werke ge-<lb/>
bracht werden: jedoch mag er durch eines andern<lb/>
Mei&#x017F;ter Prob zu &#x017F;olcher Arte zu&#x017F;chreiben oder zu<lb/>
mahlen &#x017F;eyn veranla&#x017F;&#x017F;t worden.</p><lb/>
          <p>Zum Exempel: Es i&#x017F;t bewu&#x017F;t was <hi rendition="#fr">G&#x017F;chicht-<lb/>
reden</hi> &#x017F;ind/ nemlich &#x017F;olche <hi rendition="#fr">Reden/</hi> wie C. <hi rendition="#aq">Barlæ-<lb/>
us</hi> unter&#x017F;chiedlichen Per&#x017F;onen/ deren in Gei&#x017F;tli-<lb/>
chen und Weltlichen <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chichten</hi> gedacht<lb/>
wird/ angedichtet. <hi rendition="#fr">U</hi>nter andern fu&#x0364;hret er be-<lb/>
ru&#x0364;hmte Weiber ein/ und machet &#x017F;ie nach einer<lb/>
&#x017F;onderlichen Begebenheit reden. Die&#x017F;er Art zu-<lb/>
&#x017F;chreiben will ich nachahmen/ wehle mir aber ei-<lb/>
nen gantz andern Jnhalt/ dem&#x017F;elben gema&#x0364;&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Wortbegriff/ und kan al&#x017F;o nachfolgendes Ge-<lb/>
dicht fu&#x0364;r meine eigne Er&#x017F;indung halten/ ob ich<lb/>
gleich die Art zu&#x017F;chreiben/ be&#x017F;agter ma&#x017F;&#x017F;en von<lb/>
andern abge&#x017F;ch&#x1EBD;. Weil ich nun u&#x0364;ber das meinige<lb/>
mehr Macht habe/ als u&#x0364;ber das fremde/ will ich<lb/>
zu einem Bey&#x017F;piel &#x017F;etzen/ die Ge&#x017F;chichtrede der</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Verunehrten Dina.</hi> </hi> </head><lb/>
            <l>Ach Gott/ ach treuer Gott/ dir &#x017F;olte <hi rendition="#fr">Dina</hi> dien&#x1EBD;/</l><lb/>
            <l>Die Jacobs Tochter i&#x017F;t! Es i&#x017F;t an mir er&#x017F;chienen</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">C vj</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0075] Von der Nachahmung. ahmen pfleget; welches geſchihet/ wann die abge- ſehene Gleichheit nicht kan beobachtet und ver- mutet werden/ daß es eine eigne Erfindung ſchei- net/ als wann ein Mahler/ ohne Beyhuͤlffe an- drer Kunſt-Stuͤcke mahlet/ was kein andrer vor ihme gemahlet; welche eigne Erfindungen ſo viel hoͤher geachtet/ ſo viel ſeltner ſie zu Werke ge- bracht werden: jedoch mag er durch eines andern Meiſter Prob zu ſolcher Arte zuſchreiben oder zu mahlen ſeyn veranlaſſt worden. Zum Exempel: Es iſt bewuſt was Gſchicht- reden ſind/ nemlich ſolche Reden/ wie C. Barlæ- us unterſchiedlichen Perſonen/ deren in Geiſtli- chen und Weltlichen Geſchichten gedacht wird/ angedichtet. Unter andern fuͤhret er be- ruͤhmte Weiber ein/ und machet ſie nach einer ſonderlichen Begebenheit reden. Dieſer Art zu- ſchreiben will ich nachahmen/ wehle mir aber ei- nen gantz andern Jnhalt/ demſelben gemaͤſſen Wortbegriff/ und kan alſo nachfolgendes Ge- dicht fuͤr meine eigne Erſindung halten/ ob ich gleich die Art zuſchreiben/ beſagter maſſen von andern abgeſchẽ. Weil ich nun uͤber das meinige mehr Macht habe/ als uͤber das fremde/ will ich zu einem Beyſpiel ſetzen/ die Geſchichtrede der Verunehrten Dina. Ach Gott/ ach treuer Gott/ dir ſolte Dina dienẽ/ Die Jacobs Tochter iſt! Es iſt an mir erſchienen Der C vj

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/75
Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/75>, abgerufen am 02.05.2024.