Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653.

Bild:
<< vorherige Seite

Hertz.
Herbst bringt uns deß Jahres lustreiche Beu-
ten. Laub.

194. Hertz.

Das erst im Menschen lebt und letzlich stirbt
dahin. Der Gedanken Quell' und Sitz. Die
Werkstat deß Geblüts/ das seinen Trauerstand
in trüben Augen weiset/ und vollen Freudenstand
mit dem Gelächter preiset/ sich ändert und ver-
stellt. Die Zunge ist deß Hertzens Pfeil die Hand
ist selbes Donnerkeul. Das Hertz ist hartes Aertz/
das selten sich erweichet/ wann es wird Felsen-
schwer/ kan man es nicht bewegen; entbrannt es/
kan die Flamm kein Threnenwasser legen/ ver-
bürgt es seine Tücke/ kan es niemand ergründen/
entweicht und fliehet es/ so ist es nicht zufinden.
Quecksilber ist das Hertz das niemand kan be-
greiffen/ es pfleget sonder Ruh' in schnellen Nu
zu schweiffen. Es fasset alles und kan sich nicht
erfüllen/ es dichtet alles und will sich nicht ent-
hüllen: ist tieffer als das Meer/ und höher als der
Himmel/ ist dicker als der Walt den keine Sonn
durchscheinet; ist verwirrter als der Jrrgarten
den Dädalus gebauet/ unbeständiger als der
Mond/ schlanker als die Flüsse/ die Drückerey
der Natur in welcher sich allerhand Künste und
Wissenschafften auff gelegt werden. Ein Spiegel
der allerhand Bilder fähig ist. Das Hertz gleich
dem Ufer an dem Meer/ hat so viel Gedanken be-

griffen/
R

Hertz.
Herbſt bringt uns deß Jahres luſtreiche Beu-
ten. ☞ Laub.

194. Hertz.

Das erſt im Menſchen lebt und letzlich ſtirbt
dahin. Der Gedanken Quell’ und Sitz. Die
Werkſtat deß Gebluͤts/ das ſeinen Trauerſtand
in truͤben Augen weiſet/ und vollen Freudenſtand
mit dem Gelaͤchter preiſet/ ſich aͤndert und ver-
ſtellt. Die Zunge iſt deß Hertzens Pfeil die Hand
iſt ſelbes Donnerkeul. Das Hertz iſt hartes Aertz/
das ſelten ſich erweichet/ wann es wird Felſen-
ſchwer/ kan man es nicht bewegen; entbrannt es/
kan die Flamm kein Threnenwaſſer legen/ ver-
buͤrgt es ſeine Tuͤcke/ kan es niemand ergruͤnden/
entweicht und fliehet es/ ſo iſt es nicht zufinden.
Queckſilber iſt das Hertz das niemand kan be-
greiffen/ es pfleget ſonder Ruh’ in ſchnellen Nu
zu ſchweiffen. Es faſſet alles und kan ſich nicht
erfuͤllen/ es dichtet alles und will ſich nicht ent-
huͤllen: iſt tieffer als das Meer/ und hoͤher als der
Himmel/ iſt dicker als der Walt den keine Sonn
durchſcheinet; iſt verwirrter als der Jrrgarten
den Daͤdalus gebauet/ unbeſtaͤndiger als der
Mond/ ſchlanker als die Fluͤſſe/ die Druͤckerey
der Natur in welcher ſich allerhand Kuͤnſte und
Wiſſenſchafften auff gelegt werden. Ein Spiegel
der allerhand Bilder faͤhig iſt. Das Hertz gleich
dem Ufer an dem Meer/ hat ſo viel Gedanken be-

griffen/
R
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0289" n="259[257]"/><fw place="top" type="header">Hertz.</fw><lb/>
Herb&#x017F;t bringt uns deß Jahres lu&#x017F;treiche Beu-<lb/>
ten. &#x261E; <hi rendition="#fr">Laub.</hi></p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">194. Hertz.</hi> </hi> </head><lb/>
            <p>Das er&#x017F;t im Men&#x017F;chen lebt und letzlich &#x017F;tirbt<lb/>
dahin. Der Gedanken Quell&#x2019; und Sitz. Die<lb/>
Werk&#x017F;tat deß Geblu&#x0364;ts/ das &#x017F;einen Trauer&#x017F;tand<lb/>
in tru&#x0364;ben Augen wei&#x017F;et/ und vollen Freuden&#x017F;tand<lb/>
mit dem Gela&#x0364;chter prei&#x017F;et/ &#x017F;ich a&#x0364;ndert und ver-<lb/>
&#x017F;tellt. Die Zunge i&#x017F;t deß Hertzens Pfeil die Hand<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;elbes Donnerkeul. Das Hertz i&#x017F;t hartes Aertz/<lb/>
das &#x017F;elten &#x017F;ich erweichet/ wann es wird Fel&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chwer/ kan man es nicht bewegen; entbrannt es/<lb/>
kan die Flamm kein Threnenwa&#x017F;&#x017F;er legen/ ver-<lb/>
bu&#x0364;rgt es &#x017F;eine Tu&#x0364;cke/ kan es niemand ergru&#x0364;nden/<lb/>
entweicht und fliehet es/ &#x017F;o i&#x017F;t es nicht zufinden.<lb/>
Queck&#x017F;ilber i&#x017F;t das Hertz das niemand kan be-<lb/>
greiffen/ es pfleget &#x017F;onder Ruh&#x2019; in &#x017F;chnellen Nu<lb/>
zu &#x017F;chweiffen. Es fa&#x017F;&#x017F;et alles und kan &#x017F;ich nicht<lb/>
erfu&#x0364;llen/ es dichtet alles und will &#x017F;ich nicht ent-<lb/>
hu&#x0364;llen: i&#x017F;t tieffer als das Meer/ und ho&#x0364;her als der<lb/>
Himmel/ i&#x017F;t dicker als der Walt den keine Sonn<lb/>
durch&#x017F;cheinet; i&#x017F;t verwirrter als der Jrrgarten<lb/>
den Da&#x0364;dalus gebauet/ unbe&#x017F;ta&#x0364;ndiger als der<lb/>
Mond/ &#x017F;chlanker als die Flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e/ die Dru&#x0364;ckerey<lb/>
der Natur in welcher &#x017F;ich allerhand Ku&#x0364;n&#x017F;te und<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafften auff gelegt werden. Ein Spiegel<lb/>
der allerhand Bilder fa&#x0364;hig i&#x017F;t. Das Hertz gleich<lb/>
dem <hi rendition="#aq">U</hi>fer an dem Meer/ hat &#x017F;o viel Gedanken be-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R</fw><fw place="bottom" type="catch">griffen/</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[259[257]/0289] Hertz. Herbſt bringt uns deß Jahres luſtreiche Beu- ten. ☞ Laub. 194. Hertz. Das erſt im Menſchen lebt und letzlich ſtirbt dahin. Der Gedanken Quell’ und Sitz. Die Werkſtat deß Gebluͤts/ das ſeinen Trauerſtand in truͤben Augen weiſet/ und vollen Freudenſtand mit dem Gelaͤchter preiſet/ ſich aͤndert und ver- ſtellt. Die Zunge iſt deß Hertzens Pfeil die Hand iſt ſelbes Donnerkeul. Das Hertz iſt hartes Aertz/ das ſelten ſich erweichet/ wann es wird Felſen- ſchwer/ kan man es nicht bewegen; entbrannt es/ kan die Flamm kein Threnenwaſſer legen/ ver- buͤrgt es ſeine Tuͤcke/ kan es niemand ergruͤnden/ entweicht und fliehet es/ ſo iſt es nicht zufinden. Queckſilber iſt das Hertz das niemand kan be- greiffen/ es pfleget ſonder Ruh’ in ſchnellen Nu zu ſchweiffen. Es faſſet alles und kan ſich nicht erfuͤllen/ es dichtet alles und will ſich nicht ent- huͤllen: iſt tieffer als das Meer/ und hoͤher als der Himmel/ iſt dicker als der Walt den keine Sonn durchſcheinet; iſt verwirrter als der Jrrgarten den Daͤdalus gebauet/ unbeſtaͤndiger als der Mond/ ſchlanker als die Fluͤſſe/ die Druͤckerey der Natur in welcher ſich allerhand Kuͤnſte und Wiſſenſchafften auff gelegt werden. Ein Spiegel der allerhand Bilder faͤhig iſt. Das Hertz gleich dem Ufer an dem Meer/ hat ſo viel Gedanken be- griffen/ R

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/289
Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653, S. 259[257]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/289>, abgerufen am 28.11.2024.