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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 2. Nürnberg, 1648.

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Die siebende Stund.
Kommt die Bäche zu beschauen/
die befeuchten unser' Auen.

Dergleichen Exempel sind bey allen guten Poe-
ten zu finden/ und kan mehrmals in der Mitte die
Wortgleichung den Reimen versüssen/ wann es
auch keine richtige Reimung ist/ wie zum Schluß-
wort erfordert wird.

V. Bestehet die Lieblichkeit des Gedichts in kunst-
richtigen Gebrauch/ der Wahl und Abwechslung
der Reimarten/ welche Aristoteles * auch gut
spricht/ und billich sol beobachtet werden. Es wird
aber das Reimmaß verändert I. wann sich der
Jnhalt ändert/ oder daß der Vortrag auf eine ge-
wisse Sache gezogen wird/ wie die Exempel in den
Andachts-Gemählen zu finden. II. Wann in
den Trauer- oder Freudenspielen ein unerwarter
Fall sich begiebet/ und dardurch die Gemüter be-
wogen werden/ in dem die Hoffnung und Furcht
widereinander streiten. Also hat Seneca ** den
Theseum/ als er wegen seines Weibs Tod sehr be-
trübt/ aus der Jambischen Reimart in die Tro-
chaische fallen machen. Dergleichen auch Me-
dea gethan/ als sie die Höllen-Götter zur Rache
angeruffen. III. Werden auch die langen und
kurtzen Verse zierlich vermengt in den Liedern/ ie-

doch
* c. 5. de Poetica
** in Hippolyto.
Die ſiebende Stund.
Kommt die Baͤche zu beſchauen/
die befeuchten unſer’ Auen.

Dergleichen Exempel ſind bey allen guten Poe-
ten zu finden/ und kan mehrmals in der Mitte die
Wortgleichung den Reimen verſuͤſſen/ wann es
auch keine richtige Reimung iſt/ wie zum Schluß-
wort erfordert wird.

V. Beſtehet die Lieblichkeit des Gedichts in kunſt-
richtigen Gebrauch/ der Wahl und Abwechslung
der Reimarten/ welche Ariſtoteles * auch gut
ſpricht/ und billich ſol beobachtet werden. Es wird
aber das Reimmaß veraͤndert I. wann ſich der
Jnhalt aͤndert/ oder daß der Vortrag auf eine ge-
wiſſe Sache gezogen wird/ wie die Exempel in den
Andachts-Gemaͤhlen zu finden. II. Wann in
den Trauer- oder Freudenſpielen ein unerwarter
Fall ſich begiebet/ und dardurch die Gemuͤter be-
wogen werden/ in dem die Hoffnung und Furcht
widereinander ſtreiten. Alſo hat Seneca ** den
Theſeum/ als er wegen ſeines Weibs Tod ſehr be-
truͤbt/ aus der Jambiſchen Reimart in die Tro-
chaiſche fallen machen. Dergleichen auch Me-
dea gethan/ als ſie die Hoͤllen-Goͤtter zur Rache
angeruffen. III. Werden auch die langen und
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[13/0027] Die ſiebende Stund. Kommt die Baͤche zu beſchauen/ die befeuchten unſer’ Auen. Dergleichen Exempel ſind bey allen guten Poe- ten zu finden/ und kan mehrmals in der Mitte die Wortgleichung den Reimen verſuͤſſen/ wann es auch keine richtige Reimung iſt/ wie zum Schluß- wort erfordert wird. V. Beſtehet die Lieblichkeit des Gedichts in kunſt- richtigen Gebrauch/ der Wahl und Abwechslung der Reimarten/ welche Ariſtoteles * auch gut ſpricht/ und billich ſol beobachtet werden. Es wird aber das Reimmaß veraͤndert I. wann ſich der Jnhalt aͤndert/ oder daß der Vortrag auf eine ge- wiſſe Sache gezogen wird/ wie die Exempel in den Andachts-Gemaͤhlen zu finden. II. Wann in den Trauer- oder Freudenſpielen ein unerwarter Fall ſich begiebet/ und dardurch die Gemuͤter be- wogen werden/ in dem die Hoffnung und Furcht widereinander ſtreiten. Alſo hat Seneca ** den Theſeum/ als er wegen ſeines Weibs Tod ſehr be- truͤbt/ aus der Jambiſchen Reimart in die Tro- chaiſche fallen machen. Dergleichen auch Me- dea gethan/ als ſie die Hoͤllen-Goͤtter zur Rache angeruffen. III. Werden auch die langen und kurtzen Verſe zierlich vermengt in den Liedern/ ie- doch * c. 5. de Poetica ** in Hippolyto.

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 2. Nürnberg, 1648, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter02_1648/27>, abgerufen am 25.04.2024.