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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650.

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Die erste Stund.
werden solche in den Trauer- und Freudenspielen/
gleichsam durch ein lebendiges Gemähl/ gebildet/
indem die erdichten Personen nicht nur gehöret/
sondern auch gesehen werden. Weil aber solche
vorzustellen den Meistern gebühret/ wollen wir/
davon zu reden/ auf folgenden Theil versparen.

8. Das dritte ist die Beschreibung einer Ge-
schichte/ welcher der Poet den glücklichen/ oder
unglücklichen Ausgang nicht verändern kan/ aber
wol die Vmstände/ die Reden/ welche dieser oder
jener geführet/ und kan er bey ieder Begebenheit
die natürlichen Farben/ ich will sagen die poetischen
Wörter/ zierlich und wolschicklich anbringen. Die-
se Beschreibung ist/ ob besagten Beysatz/ ein Ge-
dicht zu nennen/ und geziemet solche dem Poeten/
und keinem Geschichtschreiber/ der die Sache bloß/
wie sie ergangen/ der Warheit gemeß erzehlet.
Solchergestalt kan man auch in den Gedichten
die Laster beschreiben/ und zuzeiten solche poetische
Stücklein anbringen/ daß/ der sich selber schuldig
weiß/ darob erröhten/ und doch darzu lachen muß:
dann der Poet erzehlet alles mit bunten vnd glat-
ten Worten/ und machet das Schöne schöner/
das Abscheuliche abscheulicher/ als es an ihm selb-
sten ist; Welche aber dieses nicht leisten können/
(darunter sich auch der Verfasser dieses Werk-
leins verstanden haben wil/) sind Liebhaber der

Poete-

Die erſte Stund.
werden ſolche in den Trauer- und Freudenſpielen/
gleichſam durch ein lebendiges Gemaͤhl/ gebildet/
indem die erdichten Perſonen nicht nur gehoͤret/
ſondern auch geſehen werden. Weil aber ſolche
vorzuſtellen den Meiſtern gebuͤhret/ wollen wir/
davon zu reden/ auf folgenden Theil verſparen.

8. Das dritte iſt die Beſchreibung einer Ge-
ſchichte/ welcher der Poet den gluͤcklichen/ oder
ungluͤcklichen Ausgang nicht veraͤndern kan/ aber
wol die Vmſtaͤnde/ die Reden/ welche dieſer oder
jener gefuͤhret/ und kan er bey ieder Begebenheit
die natuͤrlichen Farben/ ich will ſagen die poetiſchẽ
Woͤrter/ zierlich uñ wolſchicklich anbringen. Die-
ſe Beſchreibung iſt/ ob beſagten Beyſatz/ ein Ge-
dicht zu nennen/ und geziemet ſolche dem Poeten/
und keinem Geſchichtſchreiber/ der die Sache bloß/
wie ſie ergangen/ der Warheit gemeß erzehlet.
Solchergeſtalt kan man auch in den Gedichten
die Laſter beſchreiben/ und zuzeiten ſolche poetiſche
Stuͤcklein anbringen/ daß/ der ſich ſelber ſchuldig
weiß/ darob erroͤhten/ und doch darzu lachen muß:
dann der Poet erzehlet alles mit bunten vnd glat-
ten Worten/ und machet das Schoͤne ſchoͤner/
das Abſcheuliche abſcheulicher/ als es an ihm ſelb-
ſten iſt; Welche aber dieſes nicht leiſten koͤnnen/
(darunter ſich auch der Verfaſſer dieſes Werk-
leins verſtanden haben wil/) ſind Liebhaber der

Poete-
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[6/0024] Die erſte Stund. werden ſolche in den Trauer- und Freudenſpielen/ gleichſam durch ein lebendiges Gemaͤhl/ gebildet/ indem die erdichten Perſonen nicht nur gehoͤret/ ſondern auch geſehen werden. Weil aber ſolche vorzuſtellen den Meiſtern gebuͤhret/ wollen wir/ davon zu reden/ auf folgenden Theil verſparen. 8. Das dritte iſt die Beſchreibung einer Ge- ſchichte/ welcher der Poet den gluͤcklichen/ oder ungluͤcklichen Ausgang nicht veraͤndern kan/ aber wol die Vmſtaͤnde/ die Reden/ welche dieſer oder jener gefuͤhret/ und kan er bey ieder Begebenheit die natuͤrlichen Farben/ ich will ſagen die poetiſchẽ Woͤrter/ zierlich uñ wolſchicklich anbringen. Die- ſe Beſchreibung iſt/ ob beſagten Beyſatz/ ein Ge- dicht zu nennen/ und geziemet ſolche dem Poeten/ und keinem Geſchichtſchreiber/ der die Sache bloß/ wie ſie ergangen/ der Warheit gemeß erzehlet. Solchergeſtalt kan man auch in den Gedichten die Laſter beſchreiben/ und zuzeiten ſolche poetiſche Stuͤcklein anbringen/ daß/ der ſich ſelber ſchuldig weiß/ darob erroͤhten/ und doch darzu lachen muß: dann der Poet erzehlet alles mit bunten vnd glat- ten Worten/ und machet das Schoͤne ſchoͤner/ das Abſcheuliche abſcheulicher/ als es an ihm ſelb- ſten iſt; Welche aber dieſes nicht leiſten koͤnnen/ (darunter ſich auch der Verfaſſer dieſes Werk- leins verſtanden haben wil/) ſind Liebhaber der Poete-

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter01_1650/24>, abgerufen am 23.11.2024.