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Happel, Eberhard Werner: Der Academische Roman. Ulm, 1690.

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Romans I. Buch.
da dem einen ein bessers Judicium, dem andern aber ein bessers
Gedächtnüß verliehen wäre; Alsdann wolte ich darfür halten/
daß das gute Gedächtnüß den einen viel angenehmer in der
Conversation machen wird/ als den andern ein fürtreffliches
Judicium. Dann die Exempel/ die wir auß den Historien neh-
men/ deren Werckzeug das Gedächtnüß ist/ geben die angenehm-
ste Gespräche/ und schicken sich am besten/ einen zu persuadiren.
Durch die Erzehlung der Helden-Thaten werden genereuse
Gemüther erwecket/ und aufgemuntert/ hoch-berühmter Leute
Exempel nachzuahmen; Und die Sieges-Zeichen deß Miltiadis
lassen manchen nicht schlaffen/ biß er dergleichen erlanget. Durch
die Erzehlung der Liebes-Geschichten/ werden die allerhärteften
Hertzen erweichet. Die Erinnerung guter und löblich dem
Vatterland geleisteter Dienste/ die sonst etwan in Vergessenheit
gestellet würden/ kan die Gemüther dermassen verändern/ und
transportiren/ daß sie auß Feinden Freunde werden deß Jeni-
gen der sich darmit wol verdienet gehabt/ wie dergleichen zu deß
Scipionis Africani Zeiten zu Rom geschabe/ da auf die von ihm
erzehlete Africanische Expedition, seine verordnete Richter auf-
stunden/ und ihn nach dem Capitolio begleiteten/ die Gedächt-
nüß einer berrlichen Victorie, die er den Tag wider die Cartha-
ginenser erhalten/ mit Freuden und Dancksagung zu begehen.
Man mag auch ein so gutes Judicium haben/ als man wil wann
man sich der Namen/ der Tage/ und anderer Umstände eines
Dinges nicht erinnern kan/ ist nichts Unangenehmers. Welches
man an vielen alten Leuten stehet/ bey denen das Judicium zuge-
nommen/ das Gedächtnüß aber durch das Alter geschwächet
worden/ und deßwegen sie lange nicht so angenehm in der Con-
versation
seynd/ als sie in ihren jungen Jahren gewesen darin-
nen sie keine Experientz und consequenter auch weniger Judicii;
Aber an Statt dessen ein bessers Gedächtnüß gehabt/ weil ihr
Gebirn noch nicht zu sehr genetzet/ da sonst der Uberfluß der
Feuchtigkeiten/ den alten Leuten so wol/ als den Kindern/ hinder-
lich ist/ daß sie die Species Rerum, oder Gestalt der Dinge/ die
ihnen durch die äusserliche Sinne eingedruckt werden/ nicht be-
halten können. Meine Intention und Mehnung ist gleichwol
nicht/ die grossen Schwätzer zu loben/ die zwar fertig im Reden
seynd/ geben aber nicht viel besonders hervor/ sondern ihre
Discurs gleichen sich den Schwämmen/ so die Erde gar geschwinde
hervor bringet/ die aber nicht viel werth seynd. Gleicher Gestalt/
wann wir uns zwar eines Dinges erinnern/ aber es nicht eigent-

lich
M m

Romans I. Buch.
da dem einen ein beſſers Judicium, dem andern aber ein beſſers
Gedaͤchtnuͤß verliehen waͤre; Alsdann wolte ich darfuͤr halten/
daß das gute Gedaͤchtnuͤß den einen viel angenehmer in der
Converſation machen wird/ als den andern ein fuͤrtreffliches
Judicium. Dann die Exempel/ die wir auß den Hiſtorien neh-
men/ deren Werckzeug das Gedaͤchtnuͤß iſt/ geben die angenehm-
ſte Geſpraͤche/ und ſchicken ſich am beſten/ einen zu perſuadiren.
Durch die Erzehlung der Helden-Thaten werden genereuſe
Gemuͤther erwecket/ und aufgemuntert/ hoch-beruͤhmter Leute
Exempel nachzuahmen; Und die Sieges-Zeichen deß Miltiadis
laſſen manchen nicht ſchlaffen/ biß er dergleichen erlanget. Durch
die Erzehlung der Liebes-Geſchichten/ werden die allerhaͤrteften
Hertzen erweichet. Die Erinnerung guter und loͤblich dem
Vatterland geleiſteter Dienſte/ die ſonſt etwan in Vergeſſenheit
geſtellet wuͤrden/ kan die Gemuͤther dermaſſen veraͤndern/ und
tranſportiren/ daß ſie auß Feinden Freunde werden deß Jeni-
gen der ſich darmit wol verdienet gehabt/ wie dergleichen zu deß
Scipionis Africani Zeiten zu Rom geſchabe/ da auf die von ihm
erzehlete Africaniſche Expedition, ſeine verordnete Richter auf-
ſtunden/ und ihn nach dem Capitolio begleiteten/ die Gedaͤcht-
nuͤß einer berꝛlichen Victorie, die er den Tag wider die Cartha-
ginenſer erhalten/ mit Freuden und Danckſagung zu begehen.
Man mag auch ein ſo gutes Judicium haben/ als man wil wann
man ſich der Namen/ der Tage/ und anderer Umſtaͤnde eines
Dinges nicht erinnern kan/ iſt nichts Unangenehmers. Welches
man an vielen alten Leuten ſtehet/ bey denen das Judicium zuge-
nommen/ das Gedaͤchtnuͤß aber durch das Alter geſchwaͤchet
worden/ und deßwegen ſie lange nicht ſo angenehm in der Con-
verſation
ſeynd/ als ſie in ihren jungen Jahren geweſen darin-
nen ſie keine Experientz und conſequenter auch weniger Judicii;
Aber an Statt deſſen ein beſſers Gedaͤchtnuͤß gehabt/ weil ihr
Gebirn noch nicht zu ſehr genetzet/ da ſonſt der Uberfluß der
Feuchtigkeiten/ den alten Leuten ſo wol/ als den Kindern/ hinder-
lich iſt/ daß ſie die Species Rerum, oder Geſtalt der Dinge/ die
ihnen durch die aͤuſſerliche Sinne eingedruckt werden/ nicht be-
halten koͤnnen. Meine Intention und Mehnung iſt gleichwol
nicht/ die groſſen Schwaͤtzer zu loben/ die zwar fertig im Reden
ſeynd/ geben aber nicht viel beſonders hervor/ ſondern ihre
Diſcurs gleichen ſich den Schwaͤm̃en/ ſo die Erde gar geſchwinde
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lich
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[545/0561] Romans I. Buch. da dem einen ein beſſers Judicium, dem andern aber ein beſſers Gedaͤchtnuͤß verliehen waͤre; Alsdann wolte ich darfuͤr halten/ daß das gute Gedaͤchtnuͤß den einen viel angenehmer in der Converſation machen wird/ als den andern ein fuͤrtreffliches Judicium. Dann die Exempel/ die wir auß den Hiſtorien neh- men/ deren Werckzeug das Gedaͤchtnuͤß iſt/ geben die angenehm- ſte Geſpraͤche/ und ſchicken ſich am beſten/ einen zu perſuadiren. Durch die Erzehlung der Helden-Thaten werden genereuſe Gemuͤther erwecket/ und aufgemuntert/ hoch-beruͤhmter Leute Exempel nachzuahmen; Und die Sieges-Zeichen deß Miltiadis laſſen manchen nicht ſchlaffen/ biß er dergleichen erlanget. Durch die Erzehlung der Liebes-Geſchichten/ werden die allerhaͤrteften Hertzen erweichet. Die Erinnerung guter und loͤblich dem Vatterland geleiſteter Dienſte/ die ſonſt etwan in Vergeſſenheit geſtellet wuͤrden/ kan die Gemuͤther dermaſſen veraͤndern/ und tranſportiren/ daß ſie auß Feinden Freunde werden deß Jeni- gen der ſich darmit wol verdienet gehabt/ wie dergleichen zu deß Scipionis Africani Zeiten zu Rom geſchabe/ da auf die von ihm erzehlete Africaniſche Expedition, ſeine verordnete Richter auf- ſtunden/ und ihn nach dem Capitolio begleiteten/ die Gedaͤcht- nuͤß einer berꝛlichen Victorie, die er den Tag wider die Cartha- ginenſer erhalten/ mit Freuden und Danckſagung zu begehen. Man mag auch ein ſo gutes Judicium haben/ als man wil wann man ſich der Namen/ der Tage/ und anderer Umſtaͤnde eines Dinges nicht erinnern kan/ iſt nichts Unangenehmers. Welches man an vielen alten Leuten ſtehet/ bey denen das Judicium zuge- nommen/ das Gedaͤchtnuͤß aber durch das Alter geſchwaͤchet worden/ und deßwegen ſie lange nicht ſo angenehm in der Con- verſation ſeynd/ als ſie in ihren jungen Jahren geweſen darin- nen ſie keine Experientz und conſequenter auch weniger Judicii; Aber an Statt deſſen ein beſſers Gedaͤchtnuͤß gehabt/ weil ihr Gebirn noch nicht zu ſehr genetzet/ da ſonſt der Uberfluß der Feuchtigkeiten/ den alten Leuten ſo wol/ als den Kindern/ hinder- lich iſt/ daß ſie die Species Rerum, oder Geſtalt der Dinge/ die ihnen durch die aͤuſſerliche Sinne eingedruckt werden/ nicht be- halten koͤnnen. Meine Intention und Mehnung iſt gleichwol nicht/ die groſſen Schwaͤtzer zu loben/ die zwar fertig im Reden ſeynd/ geben aber nicht viel beſonders hervor/ ſondern ihre Diſcurs gleichen ſich den Schwaͤm̃en/ ſo die Erde gar geſchwinde hervor bringet/ die aber nicht viel werth ſeynd. Gleicher Geſtalt/ wann wir uns zwar eines Dinges erinnern/ aber es nicht eigent- lich M m

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Zitationshilfe: Happel, Eberhard Werner: Der Academische Roman. Ulm, 1690, S. 545. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/happel_roman_1690/561>, abgerufen am 22.11.2024.