§ 7. Heinrich V. und das Ende des Investiturstreits (1106-1125).
So erlosch das salische Haus nach fast genau einem Jahr- hundert, nachdem es Deutschland vier bedeutende Herrscherindi- vidualitäten geschenkt hatte. War auch im Kampfe gegen Kirche und Fürstentum die Königsmacht unter ihnen empfindlich geschwächt worden, so war dies Ergebnis doch mehr durch die Notwendigkeit der Gesamtentwicklung und die Einwirkung besonderer, verhäng- nisvoller Momente bedingt, als -- abgesehen von Heinrichs III. Kirchenpolitik und Heinrichs IV. Jugend -- durch Untüchtigkeit oder Mißgriffe. Vielmehr darf man wohl behaupten, daß kaum eine andere Dynastie des gesamten Mittelalters an echter Herrsch- begabung mit den Saliern zu wetteifern vermag. Auch war das Reich trotz der jahrzehntelangen, zerrüttenden Kämpfe und des Rückgangs der Zentralgewalt von einem Verfall seiner Kräfte weit entfernt. Politisch war es trotz allem noch immer die ausschlag- gebende Macht Europas, seine kriegerische Kraft war ungebrochen, in wirtschaftlicher Hinsicht hatte es geradezu einen ungeheuren Aufschwung genommen. Auf geistigem Gebiete endlich wird man zwar nicht von einer "salischen" Kultur in demselben Sinne reden können, wie man von einer ottonischen und staufischen spricht, hervorragende Leistungen wurden fast nur auf dem Gebiete der Geschichtschreibung und dem der Baukunst erzielt, und bald genug fehlte es für große Kulturtaten an der nötigen Sammlung. Aber für das geistige Reifwerden der Nation wird man die Bedeutung der salischen Epoche gleichwohl sehr hoch einschätzen; die Laien- kultur der Stauferzeit wäre ohne diese vorbereitende Entwicklung undenkbar. --
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§ 7. Heinrich V. und das Ende des Investiturstreits (1106‒1125).
So erlosch das salische Haus nach fast genau einem Jahr- hundert, nachdem es Deutschland vier bedeutende Herrscherindi- vidualitäten geschenkt hatte. War auch im Kampfe gegen Kirche und Fürstentum die Königsmacht unter ihnen empfindlich geschwächt worden, so war dies Ergebnis doch mehr durch die Notwendigkeit der Gesamtentwicklung und die Einwirkung besonderer, verhäng- nisvoller Momente bedingt, als — abgesehen von Heinrichs III. Kirchenpolitik und Heinrichs IV. Jugend — durch Untüchtigkeit oder Mißgriffe. Vielmehr darf man wohl behaupten, daß kaum eine andere Dynastie des gesamten Mittelalters an echter Herrsch- begabung mit den Saliern zu wetteifern vermag. Auch war das Reich trotz der jahrzehntelangen, zerrüttenden Kämpfe und des Rückgangs der Zentralgewalt von einem Verfall seiner Kräfte weit entfernt. Politisch war es trotz allem noch immer die ausschlag- gebende Macht Europas, seine kriegerische Kraft war ungebrochen, in wirtschaftlicher Hinsicht hatte es geradezu einen ungeheuren Aufschwung genommen. Auf geistigem Gebiete endlich wird man zwar nicht von einer „salischen“ Kultur in demselben Sinne reden können, wie man von einer ottonischen und staufischen spricht, hervorragende Leistungen wurden fast nur auf dem Gebiete der Geschichtschreibung und dem der Baukunst erzielt, und bald genug fehlte es für große Kulturtaten an der nötigen Sammlung. Aber für das geistige Reifwerden der Nation wird man die Bedeutung der salischen Epoche gleichwohl sehr hoch einschätzen; die Laien- kultur der Stauferzeit wäre ohne diese vorbereitende Entwicklung undenkbar. —
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§ 7. Heinrich V. und das Ende des Investiturstreits (1106‒1125).
So erlosch das salische Haus nach fast genau einem Jahr-
hundert, nachdem es Deutschland vier bedeutende Herrscherindi-
vidualitäten geschenkt hatte. War auch im Kampfe gegen Kirche
und Fürstentum die Königsmacht unter ihnen empfindlich geschwächt
worden, so war dies Ergebnis doch mehr durch die Notwendigkeit
der Gesamtentwicklung und die Einwirkung besonderer, verhäng-
nisvoller Momente bedingt, als — abgesehen von Heinrichs III.
Kirchenpolitik und Heinrichs IV. Jugend — durch Untüchtigkeit
oder Mißgriffe. Vielmehr darf man wohl behaupten, daß kaum
eine andere Dynastie des gesamten Mittelalters an echter Herrsch-
begabung mit den Saliern zu wetteifern vermag. Auch war das
Reich trotz der jahrzehntelangen, zerrüttenden Kämpfe und des
Rückgangs der Zentralgewalt von einem Verfall seiner Kräfte weit
entfernt. Politisch war es trotz allem noch immer die ausschlag-
gebende Macht Europas, seine kriegerische Kraft war ungebrochen,
in wirtschaftlicher Hinsicht hatte es geradezu einen ungeheuren
Aufschwung genommen. Auf geistigem Gebiete endlich wird man
zwar nicht von einer „salischen“ Kultur in demselben Sinne reden
können, wie man von einer ottonischen und staufischen spricht,
hervorragende Leistungen wurden fast nur auf dem Gebiete der
Geschichtschreibung und dem der Baukunst erzielt, und bald genug
fehlte es für große Kulturtaten an der nötigen Sammlung. Aber
für das geistige Reifwerden der Nation wird man die Bedeutung
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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/91>, abgerufen am 01.05.2024.
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