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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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II. Die Zeit der Staufer.
Geistesrichtung wäre es für ihn ein Gebot der Selbsterhaltung ge-
wesen, als rechtgläubiger Christ zu erscheinen, selbst wenn er sich
innerlich schon völliger der mittelalterlichen Kirche entfremdet hätte,
als es tatsächlich der Fall sein konnte. Noch 1246 hat er sich
einer förmlichen Glaubensprüfung unterzogen, um seine Überein-
stimmung mit den christlichen Lehren vor der Welt kundzutun.

Aber inzwischen hatte er den Spieß umgedreht und gegen
Papsttum und Hierarchie die schwersten Vorwürfe geschleudert, die
er auf einem allgemeinen Konzil zu erweisen sich erbot: Gregor
sei ein unwürdiger, durch manche Unregelmäßigkeiten der Amts-
führung schwerbelasteter Vertreter des Papsttums, die Prälaten ins-
gesamt in Hochmut und Üppigkeit verkommen, der alten apostolischen
Einfachheit völlig entfremdet. Ähnliche Gedanken hatte einst schon
mit äußerstem Nachdruck Arnold von Brescia ausgesprochen, und
wenigstens in ihren positiven Forderungen waren sie auch in den
Anfängen des Franziskanerordens hervorgetreten, mit dessen abge-
setztem General Elias von Cortona der Kaiser nahe Beziehungen
unterhielt. Er hätte vielleicht keinen geschickteren Stoß führen
können, um die Wirkungskraft der päpstlichen Anklagen zu brechen.
Die Zeitstimmung kam seinen Vorwürfen bis zu einem gewissen
Grade entgegen. In Frankreich und England fielen sie auf frucht-
baren Boden und wurden genutzt, um gegen die Übergriffe der
Kirche die nationale Selbständigkeit zu verteidigen. Auch in
Deutschland wagten gegen Ende der vierziger Jahre einzelne kühne
Agitatoren, den Papst als Antichrist zu verdammen, Friedrich aber
als gerechten Reformkaiser zu preisen1), und in Italien wurde hier
und da durch langjährige Interdikte eine kirchenlose Gesinnung in
der heranwachsenden Generation geradezu großgezogen. An eine
Massenbewegung gegen das Papsttum war gleichwohl auch jetzt
nicht im entferntesten zu denken, und Friedrich hat diese Möglich-
keit schwerlich erwogen. Die Reformforderung war für ihn nicht
Selbstzweck, sondern eine Waffe neben andern. Bei politischem
Entgegenkommen wäre er jederzeit bereit gewesen, das als entartet
gescholtene Papsttum kirchlich in vollem Umfange anzuerkennen.
Immerhin gab es diesem gewaltigen Ringen erhöhte Bedeutung,

wertet. Eine Schrift darüber, die man fälschlich auf Friedrich bezog, ist ein Mach-
werk des 16. Jahrh. Der Zweifel an der jungfräulichen Geburt Christi wäre
Friedrich eher zuzutrauen. Innozenz IV. nahm diese Anklage seines Vorgängers
bezeichnenderweise nicht wieder auf.
1) Vgl. das Sendschreiben eines Dominikaners Arnold (hrsg. v. Winkel-
mann 1865) und ähnliche kurze Schriften, auch das von den Stader Annalen
zu 1248 berichtete Auftreten von waldensisch gefärbten Predigern in Schwä-
bisch Hall.

II. Die Zeit der Staufer.
Geistesrichtung wäre es für ihn ein Gebot der Selbsterhaltung ge-
wesen, als rechtgläubiger Christ zu erscheinen, selbst wenn er sich
innerlich schon völliger der mittelalterlichen Kirche entfremdet hätte,
als es tatsächlich der Fall sein konnte. Noch 1246 hat er sich
einer förmlichen Glaubensprüfung unterzogen, um seine Überein-
stimmung mit den christlichen Lehren vor der Welt kundzutun.

Aber inzwischen hatte er den Spieß umgedreht und gegen
Papsttum und Hierarchie die schwersten Vorwürfe geschleudert, die
er auf einem allgemeinen Konzil zu erweisen sich erbot: Gregor
sei ein unwürdiger, durch manche Unregelmäßigkeiten der Amts-
führung schwerbelasteter Vertreter des Papsttums, die Prälaten ins-
gesamt in Hochmut und Üppigkeit verkommen, der alten apostolischen
Einfachheit völlig entfremdet. Ähnliche Gedanken hatte einst schon
mit äußerstem Nachdruck Arnold von Brescia ausgesprochen, und
wenigstens in ihren positiven Forderungen waren sie auch in den
Anfängen des Franziskanerordens hervorgetreten, mit dessen abge-
setztem General Elias von Cortona der Kaiser nahe Beziehungen
unterhielt. Er hätte vielleicht keinen geschickteren Stoß führen
können, um die Wirkungskraft der päpstlichen Anklagen zu brechen.
Die Zeitstimmung kam seinen Vorwürfen bis zu einem gewissen
Grade entgegen. In Frankreich und England fielen sie auf frucht-
baren Boden und wurden genutzt, um gegen die Übergriffe der
Kirche die nationale Selbständigkeit zu verteidigen. Auch in
Deutschland wagten gegen Ende der vierziger Jahre einzelne kühne
Agitatoren, den Papst als Antichrist zu verdammen, Friedrich aber
als gerechten Reformkaiser zu preisen1), und in Italien wurde hier
und da durch langjährige Interdikte eine kirchenlose Gesinnung in
der heranwachsenden Generation geradezu großgezogen. An eine
Massenbewegung gegen das Papsttum war gleichwohl auch jetzt
nicht im entferntesten zu denken, und Friedrich hat diese Möglich-
keit schwerlich erwogen. Die Reformforderung war für ihn nicht
Selbstzweck, sondern eine Waffe neben andern. Bei politischem
Entgegenkommen wäre er jederzeit bereit gewesen, das als entartet
gescholtene Papsttum kirchlich in vollem Umfange anzuerkennen.
Immerhin gab es diesem gewaltigen Ringen erhöhte Bedeutung,

wertet. Eine Schrift darüber, die man fälschlich auf Friedrich bezog, ist ein Mach-
werk des 16. Jahrh. Der Zweifel an der jungfräulichen Geburt Christi wäre
Friedrich eher zuzutrauen. Innozenz IV. nahm diese Anklage seines Vorgängers
bezeichnenderweise nicht wieder auf.
1) Vgl. das Sendschreiben eines Dominikaners Arnold (hrsg. v. Winkel-
mann 1865) und ähnliche kurze Schriften, auch das von den Stader Annalen
zu 1248 berichtete Auftreten von waldensisch gefärbten Predigern in Schwä-
bisch Hall.
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[242/0250] II. Die Zeit der Staufer. Geistesrichtung wäre es für ihn ein Gebot der Selbsterhaltung ge- wesen, als rechtgläubiger Christ zu erscheinen, selbst wenn er sich innerlich schon völliger der mittelalterlichen Kirche entfremdet hätte, als es tatsächlich der Fall sein konnte. Noch 1246 hat er sich einer förmlichen Glaubensprüfung unterzogen, um seine Überein- stimmung mit den christlichen Lehren vor der Welt kundzutun. Aber inzwischen hatte er den Spieß umgedreht und gegen Papsttum und Hierarchie die schwersten Vorwürfe geschleudert, die er auf einem allgemeinen Konzil zu erweisen sich erbot: Gregor sei ein unwürdiger, durch manche Unregelmäßigkeiten der Amts- führung schwerbelasteter Vertreter des Papsttums, die Prälaten ins- gesamt in Hochmut und Üppigkeit verkommen, der alten apostolischen Einfachheit völlig entfremdet. Ähnliche Gedanken hatte einst schon mit äußerstem Nachdruck Arnold von Brescia ausgesprochen, und wenigstens in ihren positiven Forderungen waren sie auch in den Anfängen des Franziskanerordens hervorgetreten, mit dessen abge- setztem General Elias von Cortona der Kaiser nahe Beziehungen unterhielt. Er hätte vielleicht keinen geschickteren Stoß führen können, um die Wirkungskraft der päpstlichen Anklagen zu brechen. Die Zeitstimmung kam seinen Vorwürfen bis zu einem gewissen Grade entgegen. In Frankreich und England fielen sie auf frucht- baren Boden und wurden genutzt, um gegen die Übergriffe der Kirche die nationale Selbständigkeit zu verteidigen. Auch in Deutschland wagten gegen Ende der vierziger Jahre einzelne kühne Agitatoren, den Papst als Antichrist zu verdammen, Friedrich aber als gerechten Reformkaiser zu preisen 1), und in Italien wurde hier und da durch langjährige Interdikte eine kirchenlose Gesinnung in der heranwachsenden Generation geradezu großgezogen. An eine Massenbewegung gegen das Papsttum war gleichwohl auch jetzt nicht im entferntesten zu denken, und Friedrich hat diese Möglich- keit schwerlich erwogen. Die Reformforderung war für ihn nicht Selbstzweck, sondern eine Waffe neben andern. Bei politischem Entgegenkommen wäre er jederzeit bereit gewesen, das als entartet gescholtene Papsttum kirchlich in vollem Umfange anzuerkennen. Immerhin gab es diesem gewaltigen Ringen erhöhte Bedeutung, 2) 1) Vgl. das Sendschreiben eines Dominikaners Arnold (hrsg. v. Winkel- mann 1865) und ähnliche kurze Schriften, auch das von den Stader Annalen zu 1248 berichtete Auftreten von waldensisch gefärbten Predigern in Schwä- bisch Hall. 2) wertet. Eine Schrift darüber, die man fälschlich auf Friedrich bezog, ist ein Mach- werk des 16. Jahrh. Der Zweifel an der jungfräulichen Geburt Christi wäre Friedrich eher zuzutrauen. Innozenz IV. nahm diese Anklage seines Vorgängers bezeichnenderweise nicht wieder auf.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/250>, abgerufen am 30.04.2024.