Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Heilmittel an der Bewußtlosen versuchte, ohne sie jedoch aus ihrer todesähnlichen Betäubung erwecken zu können. Selbst die Kunst des mittlerweile herbeigeholten Arztes zeigte sich lange erfolglos, und erst gegen Morgen gelang es der sorgfältigsten Bemühung, in der Ohnmächtigen ein halbes Bewußtsein zurückzurufen, aber nur, um es sogleich wieder in den wilden Phantasieen eines wüthenden Fieberanfalls untergehen zu sehn. Dem Irrereden und dem ersten entsetzlichen Ausbruche unheimlicher Tobsucht folgte dann gänzliche Erschöpfung und dumpfes, gedankenloses Hinbrüten, aus dem die Kranke nur, wenn das Gehämmer und Gepoche der Küfer vom Keller her ihr Ohr erreichte, in grauenvollen Zuckungen und krampfhaft ängstlichem Stöhnen emporfuhr, so daß Frau Margit alsbald den Küfern ihre Arbeit gänzlich einzustellen und den Keller zu schließen befahl. Als nun aber der Arzt gegen Abend achselzuckend erklärte, es unterliege keinem Zweifel mehr, daß Czenczi von einem in der Umgegend herrschenden, höchst bedenklichen und mörderischen Nervenfieber ergriffen sei, wurde unverzüglich Herrn Horvath ein reitender Bote nachgesandt, um ihn schleunigst an das Krankenlager seines einzigen Kindes zurückzurufen. Als Horvath am vierten Tage nach dem Ausbruche der Krankheit wieder in Weßprim eintraf, fand er die Kranke eher schlimmer als besser, noch immer besinnungslos in dumpfer Betäubung daliegend, aus der sie aber regelmäßig gegen Mitternacht in peinlicher Unruhe erwachte, nach den Kellerschlüsseln verlangte, Miene machte, Heilmittel an der Bewußtlosen versuchte, ohne sie jedoch aus ihrer todesähnlichen Betäubung erwecken zu können. Selbst die Kunst des mittlerweile herbeigeholten Arztes zeigte sich lange erfolglos, und erst gegen Morgen gelang es der sorgfältigsten Bemühung, in der Ohnmächtigen ein halbes Bewußtsein zurückzurufen, aber nur, um es sogleich wieder in den wilden Phantasieen eines wüthenden Fieberanfalls untergehen zu sehn. Dem Irrereden und dem ersten entsetzlichen Ausbruche unheimlicher Tobsucht folgte dann gänzliche Erschöpfung und dumpfes, gedankenloses Hinbrüten, aus dem die Kranke nur, wenn das Gehämmer und Gepoche der Küfer vom Keller her ihr Ohr erreichte, in grauenvollen Zuckungen und krampfhaft ängstlichem Stöhnen emporfuhr, so daß Frau Margit alsbald den Küfern ihre Arbeit gänzlich einzustellen und den Keller zu schließen befahl. Als nun aber der Arzt gegen Abend achselzuckend erklärte, es unterliege keinem Zweifel mehr, daß Czenczi von einem in der Umgegend herrschenden, höchst bedenklichen und mörderischen Nervenfieber ergriffen sei, wurde unverzüglich Herrn Horváth ein reitender Bote nachgesandt, um ihn schleunigst an das Krankenlager seines einzigen Kindes zurückzurufen. Als Horváth am vierten Tage nach dem Ausbruche der Krankheit wieder in Weßprim eintraf, fand er die Kranke eher schlimmer als besser, noch immer besinnungslos in dumpfer Betäubung daliegend, aus der sie aber regelmäßig gegen Mitternacht in peinlicher Unruhe erwachte, nach den Kellerschlüsseln verlangte, Miene machte, <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0066"/> Heilmittel an der Bewußtlosen versuchte, ohne sie jedoch aus ihrer todesähnlichen Betäubung erwecken zu können. Selbst die Kunst des mittlerweile herbeigeholten Arztes zeigte sich lange erfolglos, und erst gegen Morgen gelang es der sorgfältigsten Bemühung, in der Ohnmächtigen ein halbes Bewußtsein zurückzurufen, aber nur, um es sogleich wieder in den wilden Phantasieen eines wüthenden Fieberanfalls untergehen zu sehn. Dem Irrereden und dem ersten entsetzlichen Ausbruche unheimlicher Tobsucht folgte dann gänzliche Erschöpfung und dumpfes, gedankenloses Hinbrüten, aus dem die Kranke nur, wenn das Gehämmer und Gepoche der Küfer vom Keller her ihr Ohr erreichte, in grauenvollen Zuckungen und krampfhaft ängstlichem Stöhnen emporfuhr, so daß Frau Margit alsbald den Küfern ihre Arbeit gänzlich einzustellen und den Keller zu schließen befahl. Als nun aber der Arzt gegen Abend achselzuckend erklärte, es unterliege keinem Zweifel mehr, daß Czenczi von einem in der Umgegend herrschenden, höchst bedenklichen und mörderischen Nervenfieber ergriffen sei, wurde unverzüglich Herrn Horváth ein reitender Bote nachgesandt, um ihn schleunigst an das Krankenlager seines einzigen Kindes zurückzurufen.</p><lb/> <p>Als Horváth am vierten Tage nach dem Ausbruche der Krankheit wieder in Weßprim eintraf, fand er die Kranke eher schlimmer als besser, noch immer besinnungslos in dumpfer Betäubung daliegend, aus der sie aber regelmäßig gegen Mitternacht in peinlicher Unruhe erwachte, nach den Kellerschlüsseln verlangte, Miene machte,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0066]
Heilmittel an der Bewußtlosen versuchte, ohne sie jedoch aus ihrer todesähnlichen Betäubung erwecken zu können. Selbst die Kunst des mittlerweile herbeigeholten Arztes zeigte sich lange erfolglos, und erst gegen Morgen gelang es der sorgfältigsten Bemühung, in der Ohnmächtigen ein halbes Bewußtsein zurückzurufen, aber nur, um es sogleich wieder in den wilden Phantasieen eines wüthenden Fieberanfalls untergehen zu sehn. Dem Irrereden und dem ersten entsetzlichen Ausbruche unheimlicher Tobsucht folgte dann gänzliche Erschöpfung und dumpfes, gedankenloses Hinbrüten, aus dem die Kranke nur, wenn das Gehämmer und Gepoche der Küfer vom Keller her ihr Ohr erreichte, in grauenvollen Zuckungen und krampfhaft ängstlichem Stöhnen emporfuhr, so daß Frau Margit alsbald den Küfern ihre Arbeit gänzlich einzustellen und den Keller zu schließen befahl. Als nun aber der Arzt gegen Abend achselzuckend erklärte, es unterliege keinem Zweifel mehr, daß Czenczi von einem in der Umgegend herrschenden, höchst bedenklichen und mörderischen Nervenfieber ergriffen sei, wurde unverzüglich Herrn Horváth ein reitender Bote nachgesandt, um ihn schleunigst an das Krankenlager seines einzigen Kindes zurückzurufen.
Als Horváth am vierten Tage nach dem Ausbruche der Krankheit wieder in Weßprim eintraf, fand er die Kranke eher schlimmer als besser, noch immer besinnungslos in dumpfer Betäubung daliegend, aus der sie aber regelmäßig gegen Mitternacht in peinlicher Unruhe erwachte, nach den Kellerschlüsseln verlangte, Miene machte,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/halm_lise_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/halm_lise_1910/66 |
Zitationshilfe: | Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/halm_lise_1910/66>, abgerufen am 16.07.2024. |