Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.nicht, von Zeit zu Zeit in der Gegend herumzustreifen, um zu erkunden, ob Ferencz sich denn auch wirklich ganz und gar entfernt habe. Dem Kellerstübchen aber nahte den ganzen Tag hindurch weder er noch einer der Küfer, die, von allen Seiten in Anspruch genommen, nur auf Förderung ihrer Arbeit bedacht waren. Dagegen mußte Ferencz, als Czenczi ihrem Gefangenen gegen Mitternacht wieder Speise und Trank zutrug, von ihr in Erfahrung bringen, daß der Vater, sei es der Küfer wegen, oder weil das plötzliche, spurlose Verschwinden des Schreibers ihn mehr beunruhigte als zufriedenstellte, seine Abreise wieder um einen Tag hinausgeschoben hätte. Ferencz nahm die Nachricht von dieser neuen Verzögerung bei weitem weniger gefaßt und gleichmüthig auf, als er sich am vorigen Tage der Nothwendigkeit des engeren Verschlusses in seinen Käfich gefügt hatte. Während Czenczi durch die wechselnden Gemüthsbewegungen des vorigen Tages in solche Aufregung und in so fieberhafte Spannung gerathen war, daß eben diese Steigerung ihres gesammten Seelenlebens ihr jetzt wieder, trotz aller innern Erschöpfung, den Anschein von Kraft, ja selbst von Ruhe gab, war bei Ferencz das Gegentheil eingetreten; seine Seelenstärke war in Folge der einsam dunklen Haft erlahmt und haltlos in sich zusammengebrochen. Selbst die Aussicht, in naher Zukunft das Ziel langjährigen, unermüdeten Bestrebens zu erreichen und in Fülle des Reichthums die langentbehrten Mittel zur Fülle des Lebensgenusses zu besitzen, schien ihren nicht, von Zeit zu Zeit in der Gegend herumzustreifen, um zu erkunden, ob Ferencz sich denn auch wirklich ganz und gar entfernt habe. Dem Kellerstübchen aber nahte den ganzen Tag hindurch weder er noch einer der Küfer, die, von allen Seiten in Anspruch genommen, nur auf Förderung ihrer Arbeit bedacht waren. Dagegen mußte Ferencz, als Czenczi ihrem Gefangenen gegen Mitternacht wieder Speise und Trank zutrug, von ihr in Erfahrung bringen, daß der Vater, sei es der Küfer wegen, oder weil das plötzliche, spurlose Verschwinden des Schreibers ihn mehr beunruhigte als zufriedenstellte, seine Abreise wieder um einen Tag hinausgeschoben hätte. Ferencz nahm die Nachricht von dieser neuen Verzögerung bei weitem weniger gefaßt und gleichmüthig auf, als er sich am vorigen Tage der Nothwendigkeit des engeren Verschlusses in seinen Käfich gefügt hatte. Während Czenczi durch die wechselnden Gemüthsbewegungen des vorigen Tages in solche Aufregung und in so fieberhafte Spannung gerathen war, daß eben diese Steigerung ihres gesammten Seelenlebens ihr jetzt wieder, trotz aller innern Erschöpfung, den Anschein von Kraft, ja selbst von Ruhe gab, war bei Ferencz das Gegentheil eingetreten; seine Seelenstärke war in Folge der einsam dunklen Haft erlahmt und haltlos in sich zusammengebrochen. Selbst die Aussicht, in naher Zukunft das Ziel langjährigen, unermüdeten Bestrebens zu erreichen und in Fülle des Reichthums die langentbehrten Mittel zur Fülle des Lebensgenusses zu besitzen, schien ihren <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0059"/> nicht, von Zeit zu Zeit in der Gegend herumzustreifen, um zu erkunden, ob Ferencz sich denn auch wirklich ganz und gar entfernt habe. Dem Kellerstübchen aber nahte den ganzen Tag hindurch weder er noch einer der Küfer, die, von allen Seiten in Anspruch genommen, nur auf Förderung ihrer Arbeit bedacht waren. Dagegen mußte Ferencz, als Czenczi ihrem Gefangenen gegen Mitternacht wieder Speise und Trank zutrug, von ihr in Erfahrung bringen, daß der Vater, sei es der Küfer wegen, oder weil das plötzliche, spurlose Verschwinden des Schreibers ihn mehr beunruhigte als zufriedenstellte, seine Abreise wieder um einen Tag hinausgeschoben hätte. Ferencz nahm die Nachricht von dieser neuen Verzögerung bei weitem weniger gefaßt und gleichmüthig auf, als er sich am vorigen Tage der Nothwendigkeit des engeren Verschlusses in seinen Käfich gefügt hatte.</p><lb/> <p>Während Czenczi durch die wechselnden Gemüthsbewegungen des vorigen Tages in solche Aufregung und in so fieberhafte Spannung gerathen war, daß eben diese Steigerung ihres gesammten Seelenlebens ihr jetzt wieder, trotz aller innern Erschöpfung, den Anschein von Kraft, ja selbst von Ruhe gab, war bei Ferencz das Gegentheil eingetreten; seine Seelenstärke war in Folge der einsam dunklen Haft erlahmt und haltlos in sich zusammengebrochen. Selbst die Aussicht, in naher Zukunft das Ziel langjährigen, unermüdeten Bestrebens zu erreichen und in Fülle des Reichthums die langentbehrten Mittel zur Fülle des Lebensgenusses zu besitzen, schien ihren<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0059]
nicht, von Zeit zu Zeit in der Gegend herumzustreifen, um zu erkunden, ob Ferencz sich denn auch wirklich ganz und gar entfernt habe. Dem Kellerstübchen aber nahte den ganzen Tag hindurch weder er noch einer der Küfer, die, von allen Seiten in Anspruch genommen, nur auf Förderung ihrer Arbeit bedacht waren. Dagegen mußte Ferencz, als Czenczi ihrem Gefangenen gegen Mitternacht wieder Speise und Trank zutrug, von ihr in Erfahrung bringen, daß der Vater, sei es der Küfer wegen, oder weil das plötzliche, spurlose Verschwinden des Schreibers ihn mehr beunruhigte als zufriedenstellte, seine Abreise wieder um einen Tag hinausgeschoben hätte. Ferencz nahm die Nachricht von dieser neuen Verzögerung bei weitem weniger gefaßt und gleichmüthig auf, als er sich am vorigen Tage der Nothwendigkeit des engeren Verschlusses in seinen Käfich gefügt hatte.
Während Czenczi durch die wechselnden Gemüthsbewegungen des vorigen Tages in solche Aufregung und in so fieberhafte Spannung gerathen war, daß eben diese Steigerung ihres gesammten Seelenlebens ihr jetzt wieder, trotz aller innern Erschöpfung, den Anschein von Kraft, ja selbst von Ruhe gab, war bei Ferencz das Gegentheil eingetreten; seine Seelenstärke war in Folge der einsam dunklen Haft erlahmt und haltlos in sich zusammengebrochen. Selbst die Aussicht, in naher Zukunft das Ziel langjährigen, unermüdeten Bestrebens zu erreichen und in Fülle des Reichthums die langentbehrten Mittel zur Fülle des Lebensgenusses zu besitzen, schien ihren
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/halm_lise_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/halm_lise_1910/59 |
Zitationshilfe: | Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/halm_lise_1910/59>, abgerufen am 16.07.2024. |