Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zu zwingen, und dieses Eine Mittel -- er zögerte es auszusprechen; endlich sprach er es doch aus -- dies Eine Mittel sei -- Flucht aus dem Vaterhause! Czenczi, schon in der Wiege der Mutter beraubt, hatte sich während der häufigen und langwierigen Reisen des Vaters und bei dem geringen Ansehen, das die alte Margit dem feurigen, lebhaften Sinne des jungen Mädchens gegenüber zu behaupten vermochte, frühzeitig mit großer Entschiedenheit des Willens und seltener Selbstständigkeit des Geistes entwickelt. Zwang und Willkür waren ihr verhaßt, aber so heilig berechtigt sie sich fühlte, ihr Glück auf eigenem Wege zu suchen und zu finden, ebenso innig überzeugt war sie auch, daß dies nicht auf Kosten Anderer, am wenigsten auf die ihres raschen und heftigen, aber sie so zärtlich liebenden Vaters geschehen dürfe. Es war ein harter Kampf, den Ferencz zu kämpfen hatte, bis das Pflichtgefühl des Kindes dem Drange der Leidenschaft erlag; endlich aber siegte er doch. Die Flucht wurde beschlossen und als der geeignetste Zeitpunkt sie anzutreten die erste Nacht festgesetzt, die auf Horvath's Abreise nach Ofen folgen wurde, weil sie dann hofften durften, wenigstens die ersten Tage unverfolgt zu bleiben. Schwieriger war die Lösung der weiteren Frage, wo Ferencz bis zu jenem Zeitpunkt sich aufhalten solle. Sich in der Nähe zu verbergen, erschien bei dem einmal erweckten Mißtrauen Horvath's gefährlich; die Wahl eines entfernteren Verstecks aber stellte einesteils bei der Schwierigkeit, sich gegenseitig in Kennt- zu zwingen, und dieses Eine Mittel — er zögerte es auszusprechen; endlich sprach er es doch aus — dies Eine Mittel sei — Flucht aus dem Vaterhause! Czenczi, schon in der Wiege der Mutter beraubt, hatte sich während der häufigen und langwierigen Reisen des Vaters und bei dem geringen Ansehen, das die alte Margit dem feurigen, lebhaften Sinne des jungen Mädchens gegenüber zu behaupten vermochte, frühzeitig mit großer Entschiedenheit des Willens und seltener Selbstständigkeit des Geistes entwickelt. Zwang und Willkür waren ihr verhaßt, aber so heilig berechtigt sie sich fühlte, ihr Glück auf eigenem Wege zu suchen und zu finden, ebenso innig überzeugt war sie auch, daß dies nicht auf Kosten Anderer, am wenigsten auf die ihres raschen und heftigen, aber sie so zärtlich liebenden Vaters geschehen dürfe. Es war ein harter Kampf, den Ferencz zu kämpfen hatte, bis das Pflichtgefühl des Kindes dem Drange der Leidenschaft erlag; endlich aber siegte er doch. Die Flucht wurde beschlossen und als der geeignetste Zeitpunkt sie anzutreten die erste Nacht festgesetzt, die auf Horváth's Abreise nach Ofen folgen wurde, weil sie dann hofften durften, wenigstens die ersten Tage unverfolgt zu bleiben. Schwieriger war die Lösung der weiteren Frage, wo Ferencz bis zu jenem Zeitpunkt sich aufhalten solle. Sich in der Nähe zu verbergen, erschien bei dem einmal erweckten Mißtrauen Horváth's gefährlich; die Wahl eines entfernteren Verstecks aber stellte einesteils bei der Schwierigkeit, sich gegenseitig in Kennt- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0053"/> zu zwingen, und dieses Eine Mittel — er zögerte es auszusprechen; endlich sprach er es doch aus — dies Eine Mittel sei — Flucht aus dem Vaterhause!</p><lb/> <p>Czenczi, schon in der Wiege der Mutter beraubt, hatte sich während der häufigen und langwierigen Reisen des Vaters und bei dem geringen Ansehen, das die alte Margit dem feurigen, lebhaften Sinne des jungen Mädchens gegenüber zu behaupten vermochte, frühzeitig mit großer Entschiedenheit des Willens und seltener Selbstständigkeit des Geistes entwickelt. Zwang und Willkür waren ihr verhaßt, aber so heilig berechtigt sie sich fühlte, ihr Glück auf eigenem Wege zu suchen und zu finden, ebenso innig überzeugt war sie auch, daß dies nicht auf Kosten Anderer, am wenigsten auf die ihres raschen und heftigen, aber sie so zärtlich liebenden Vaters geschehen dürfe. Es war ein harter Kampf, den Ferencz zu kämpfen hatte, bis das Pflichtgefühl des Kindes dem Drange der Leidenschaft erlag; endlich aber siegte er doch. Die Flucht wurde beschlossen und als der geeignetste Zeitpunkt sie anzutreten die erste Nacht festgesetzt, die auf Horváth's Abreise nach Ofen folgen wurde, weil sie dann hofften durften, wenigstens die ersten Tage unverfolgt zu bleiben. Schwieriger war die Lösung der weiteren Frage, wo Ferencz bis zu jenem Zeitpunkt sich aufhalten solle. Sich in der Nähe zu verbergen, erschien bei dem einmal erweckten Mißtrauen Horváth's gefährlich; die Wahl eines entfernteren Verstecks aber stellte einesteils bei der Schwierigkeit, sich gegenseitig in Kennt-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0053]
zu zwingen, und dieses Eine Mittel — er zögerte es auszusprechen; endlich sprach er es doch aus — dies Eine Mittel sei — Flucht aus dem Vaterhause!
Czenczi, schon in der Wiege der Mutter beraubt, hatte sich während der häufigen und langwierigen Reisen des Vaters und bei dem geringen Ansehen, das die alte Margit dem feurigen, lebhaften Sinne des jungen Mädchens gegenüber zu behaupten vermochte, frühzeitig mit großer Entschiedenheit des Willens und seltener Selbstständigkeit des Geistes entwickelt. Zwang und Willkür waren ihr verhaßt, aber so heilig berechtigt sie sich fühlte, ihr Glück auf eigenem Wege zu suchen und zu finden, ebenso innig überzeugt war sie auch, daß dies nicht auf Kosten Anderer, am wenigsten auf die ihres raschen und heftigen, aber sie so zärtlich liebenden Vaters geschehen dürfe. Es war ein harter Kampf, den Ferencz zu kämpfen hatte, bis das Pflichtgefühl des Kindes dem Drange der Leidenschaft erlag; endlich aber siegte er doch. Die Flucht wurde beschlossen und als der geeignetste Zeitpunkt sie anzutreten die erste Nacht festgesetzt, die auf Horváth's Abreise nach Ofen folgen wurde, weil sie dann hofften durften, wenigstens die ersten Tage unverfolgt zu bleiben. Schwieriger war die Lösung der weiteren Frage, wo Ferencz bis zu jenem Zeitpunkt sich aufhalten solle. Sich in der Nähe zu verbergen, erschien bei dem einmal erweckten Mißtrauen Horváth's gefährlich; die Wahl eines entfernteren Verstecks aber stellte einesteils bei der Schwierigkeit, sich gegenseitig in Kennt-
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