Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

Thierische Bewegung. XI. Buch.
das Gewichte zu erheben, so wie an einer Wage das ge-
sammte Gewichte einer Schale dazu dient, daß das Ge-
wichte der andern Schale aufgehoben werde. Allein die
ganze Sache verhält sich in dem menschlichen Körper an-
ders; und es hat der Schöpfer (l) so wenig eine Erspa-
rung der Kräfte bei der Anlage der Muskeln zur Absicht
gehabt, daß er vielmehr alle Muskeln dergestalt an den
Knochen gelagert, daß der größte Theil von der Mus-
kelkraft verloren geht. Wir müssen dieses stükkweise er-
weislich machen.

Es verhalten sich in dieser ganzen Betrachtung die
Knochen, wie Hebel, welche von den Muskeln, wie von
Strckken in Bewegung gesezt werden, und da die einge-
pflanzte Kraft diese Muskeln dergestalt anzieht, daß man
sie wirklich berechnen kann, so schäzzt man diese Kraft so
gros, als das Gewichte, welches an einem Hebel hinge,
und eben die Wirkung thäte, die ein von der eingepflan-
ten Kraft angezogner Muskel verrichtet.

Ruhepunkt ist derjenige unbeweglich feste Theil des
Hebels, um den sich der Hebel herum bewegt. Es durch-
schneidet die Achse des Knochen, der sich am Gliede be-
findet, die Länge desselben, und sie stimmet mit der Mitte
des Gelenkes zusammen, ob dieses gleich nicht so ganz
genau wahr ist; und um dieses Ende der Achse drehet sich
der ganze Knochencilinder herum; folglich stekkt der
Ruhepunkt mitten im Gelenke (m).

Wenn man nun dem Hebel eine Gewalt mittheilt, so
wirkt diese um desto stärker, je weiter diese vom Ruhe-
punkte abliegt, und den Hebel belebt; und dieses ist eine

mehr
(l) [Spaltenumbruch] Die Natur hat sich der
Maschinen bedienet, GALENUS,
um dadurch Kräfte zu ersparen,
BORELL. p. 17.
(m) [Spaltenumbruch] BORELL. L. I. prop. 9.
etwas anders sagt der berümte
PARENT. Memoir. de l'Acad.
1702. p.
100. doch scheint er auf
eben diese Erklärung zu verfallen.

Thieriſche Bewegung. XI. Buch.
das Gewichte zu erheben, ſo wie an einer Wage das ge-
ſammte Gewichte einer Schale dazu dient, daß das Ge-
wichte der andern Schale aufgehoben werde. Allein die
ganze Sache verhaͤlt ſich in dem menſchlichen Koͤrper an-
ders; und es hat der Schoͤpfer (l) ſo wenig eine Erſpa-
rung der Kraͤfte bei der Anlage der Muſkeln zur Abſicht
gehabt, daß er vielmehr alle Muſkeln dergeſtalt an den
Knochen gelagert, daß der groͤßte Theil von der Muſ-
kelkraft verloren geht. Wir muͤſſen dieſes ſtuͤkkweiſe er-
weislich machen.

Es verhalten ſich in dieſer ganzen Betrachtung die
Knochen, wie Hebel, welche von den Muſkeln, wie von
Strckken in Bewegung geſezt werden, und da die einge-
pflanzte Kraft dieſe Muſkeln dergeſtalt anzieht, daß man
ſie wirklich berechnen kann, ſo ſchaͤzzt man dieſe Kraft ſo
gros, als das Gewichte, welches an einem Hebel hinge,
und eben die Wirkung thaͤte, die ein von der eingepflan-
ten Kraft angezogner Muſkel verrichtet.

Ruhepunkt iſt derjenige unbeweglich feſte Theil des
Hebels, um den ſich der Hebel herum bewegt. Es durch-
ſchneidet die Achſe des Knochen, der ſich am Gliede be-
findet, die Laͤnge deſſelben, und ſie ſtimmet mit der Mitte
des Gelenkes zuſammen, ob dieſes gleich nicht ſo ganz
genau wahr iſt; und um dieſes Ende der Achſe drehet ſich
der ganze Knochencilinder herum; folglich ſtekkt der
Ruhepunkt mitten im Gelenke (m).

Wenn man nun dem Hebel eine Gewalt mittheilt, ſo
wirkt dieſe um deſto ſtaͤrker, je weiter dieſe vom Ruhe-
punkte abliegt, und den Hebel belebt; und dieſes iſt eine

mehr
(l) [Spaltenumbruch] Die Natur hat ſich der
Maſchinen bedienet, GALENUS,
um dadurch Kraͤfte zu erſparen,
BORELL. p. 17.
(m) [Spaltenumbruch] BORELL. L. I. prop. 9.
etwas anders ſagt der beruͤmte
PARENT. Memoir. de l’Acad.
1702. p.
100. doch ſcheint er auf
eben dieſe Erklaͤrung zu verfallen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0098" n="80"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Thieri&#x017F;che Bewegung. <hi rendition="#aq">XI.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>
das Gewichte zu erheben, &#x017F;o wie an einer Wage das ge-<lb/>
&#x017F;ammte Gewichte einer Schale dazu dient, daß das Ge-<lb/>
wichte der andern Schale aufgehoben werde. Allein die<lb/>
ganze Sache verha&#x0364;lt &#x017F;ich in dem men&#x017F;chlichen Ko&#x0364;rper an-<lb/>
ders; und es hat der Scho&#x0364;pfer <note place="foot" n="(l)"><cb/>
Die Natur hat &#x017F;ich der<lb/>
Ma&#x017F;chinen bedienet, <hi rendition="#aq">GALENUS,</hi><lb/>
um dadurch Kra&#x0364;fte zu er&#x017F;paren,<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">BORELL.</hi> p.</hi> 17.</note> &#x017F;o wenig eine Er&#x017F;pa-<lb/>
rung der Kra&#x0364;fte bei der Anlage der Mu&#x017F;keln zur Ab&#x017F;icht<lb/>
gehabt, daß er vielmehr alle Mu&#x017F;keln derge&#x017F;talt an den<lb/>
Knochen gelagert, daß der gro&#x0364;ßte Theil von der Mu&#x017F;-<lb/>
kelkraft verloren geht. Wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en die&#x017F;es &#x017F;tu&#x0364;kkwei&#x017F;e er-<lb/>
weislich machen.</p><lb/>
            <p>Es verhalten &#x017F;ich in die&#x017F;er ganzen Betrachtung die<lb/>
Knochen, wie Hebel, welche von den Mu&#x017F;keln, wie von<lb/>
Strckken in Bewegung ge&#x017F;ezt werden, und da die einge-<lb/>
pflanzte Kraft die&#x017F;e Mu&#x017F;keln derge&#x017F;talt anzieht, daß man<lb/>
&#x017F;ie wirklich berechnen kann, &#x017F;o &#x017F;cha&#x0364;zzt man die&#x017F;e Kraft &#x017F;o<lb/>
gros, als das Gewichte, welches an einem Hebel hinge,<lb/>
und eben die Wirkung tha&#x0364;te, die ein von der eingepflan-<lb/>
ten Kraft angezogner Mu&#x017F;kel verrichtet.</p><lb/>
            <p>Ruhepunkt i&#x017F;t derjenige unbeweglich fe&#x017F;te Theil des<lb/>
Hebels, um den &#x017F;ich der Hebel herum bewegt. Es durch-<lb/>
&#x017F;chneidet die Ach&#x017F;e des Knochen, der &#x017F;ich am Gliede be-<lb/>
findet, die La&#x0364;nge de&#x017F;&#x017F;elben, und &#x017F;ie &#x017F;timmet mit der Mitte<lb/>
des Gelenkes zu&#x017F;ammen, ob die&#x017F;es gleich nicht &#x017F;o ganz<lb/>
genau wahr i&#x017F;t; und um die&#x017F;es Ende der Ach&#x017F;e drehet &#x017F;ich<lb/>
der ganze Knochencilinder herum; folglich &#x017F;tekkt der<lb/>
Ruhepunkt mitten im Gelenke <note place="foot" n="(m)"><cb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">BORELL.</hi> L. I. prop.</hi> 9.<lb/>
etwas anders &#x017F;agt der beru&#x0364;mte<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">PARENT.</hi> Memoir. de l&#x2019;Acad.<lb/>
1702. p.</hi> 100. doch &#x017F;cheint er auf<lb/>
eben die&#x017F;e Erkla&#x0364;rung zu verfallen.</note>.</p><lb/>
            <p>Wenn man nun dem Hebel eine Gewalt mittheilt, &#x017F;o<lb/>
wirkt die&#x017F;e um de&#x017F;to &#x017F;ta&#x0364;rker, je weiter die&#x017F;e vom Ruhe-<lb/>
punkte abliegt, und den Hebel belebt; und die&#x017F;es i&#x017F;t eine<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mehr</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0098] Thieriſche Bewegung. XI. Buch. das Gewichte zu erheben, ſo wie an einer Wage das ge- ſammte Gewichte einer Schale dazu dient, daß das Ge- wichte der andern Schale aufgehoben werde. Allein die ganze Sache verhaͤlt ſich in dem menſchlichen Koͤrper an- ders; und es hat der Schoͤpfer (l) ſo wenig eine Erſpa- rung der Kraͤfte bei der Anlage der Muſkeln zur Abſicht gehabt, daß er vielmehr alle Muſkeln dergeſtalt an den Knochen gelagert, daß der groͤßte Theil von der Muſ- kelkraft verloren geht. Wir muͤſſen dieſes ſtuͤkkweiſe er- weislich machen. Es verhalten ſich in dieſer ganzen Betrachtung die Knochen, wie Hebel, welche von den Muſkeln, wie von Strckken in Bewegung geſezt werden, und da die einge- pflanzte Kraft dieſe Muſkeln dergeſtalt anzieht, daß man ſie wirklich berechnen kann, ſo ſchaͤzzt man dieſe Kraft ſo gros, als das Gewichte, welches an einem Hebel hinge, und eben die Wirkung thaͤte, die ein von der eingepflan- ten Kraft angezogner Muſkel verrichtet. Ruhepunkt iſt derjenige unbeweglich feſte Theil des Hebels, um den ſich der Hebel herum bewegt. Es durch- ſchneidet die Achſe des Knochen, der ſich am Gliede be- findet, die Laͤnge deſſelben, und ſie ſtimmet mit der Mitte des Gelenkes zuſammen, ob dieſes gleich nicht ſo ganz genau wahr iſt; und um dieſes Ende der Achſe drehet ſich der ganze Knochencilinder herum; folglich ſtekkt der Ruhepunkt mitten im Gelenke (m). Wenn man nun dem Hebel eine Gewalt mittheilt, ſo wirkt dieſe um deſto ſtaͤrker, je weiter dieſe vom Ruhe- punkte abliegt, und den Hebel belebt; und dieſes iſt eine mehr (l) Die Natur hat ſich der Maſchinen bedienet, GALENUS, um dadurch Kraͤfte zu erſparen, BORELL. p. 17. (m) BORELL. L. I. prop. 9. etwas anders ſagt der beruͤmte PARENT. Memoir. de l’Acad. 1702. p. 100. doch ſcheint er auf eben dieſe Erklaͤrung zu verfallen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/98
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/98>, abgerufen am 24.11.2024.