denn wenn eine lose Faser aus zwo Linien besteht, deren Länge 1 ist; und wenn nun diese zwo Linien, von irgend einem flüßigen Wesen ausgedehnt, und zu einer Kugel werden, so sieht man mehr, als zur Gnüge, wenn man die Sache auf einen Kreis sezzt, daß der neue, aus zween Durchmessern entstandne Kreis, zum Durchmesser habe, und daß folglich der eine Durchmesser desselben et- was kürzer, als die zwei Drittheile des vorigen sei, in- dem er so gros, als die Länge der zwo Linien, aus wel- chen er entstanden (b), oder als die eine Linie ist, weil sie beide gleich gros sind. Es ist aber überhaupt weiter nichts, als eine Hipotese, wenn man vorgibt, daß sich in der Muskelbewegung die Fasern in kleine Kugeln ver- wandeln, und es lassen sich also auch diese matematische Eigenschaften einer Faser nicht auf eine lebendige Faser, denn diese zeigt sich niemals kuglig, anwenden. Es hat bereits vorlängst Fr. Bayle(c) mit Grunde erinnert, daß dieses ein Feler in der Theorie der Bläsgen sei, weil sich ein Muskel nicht über zusammenziehen kann. Frie- drich Winter(d) zeigt, daß Bernouilli das Zusam- menziehen viel zu klein gemacht, und der vortrefliche Se- nac, daß sich das Zusammenziehen weiter als auf 1/3 er- strekke (e).
Des Johann Tabor Versuch hat den Feler, daß nicht der obere Schulterblatsmuskel, sondern der Delta- muskel, die Schulter hebt.
Jndem sich die Muskelfaser zusammenzieht, und im Wirken verkürzzt, so geschicht es, daß sie aus einer schie-
fen
[Spaltenumbruch]
einem am Auge gemachten Ver- suche. Alle thun es, doch auf verschiedene Weise. TABORUS und der berühmte LORRY, ver- möge des Versuches Journ. de med. 1757. Jan.
(b) Die Kürze wird noch klei- ner sein, wenn sie von der Zusam- menziehung des Muskels herrührt, [Spaltenumbruch]
weil sich eine Faser niemals gänz- lich in eine Kugel verwandeln kann; wie solches eingestanden wird vom BERNOULLIO n. 15. und KEILIO p. 186.
(c)Oper. p. 78.
(d)de musc. pag. 22.
(e)pag. 302.
Thieriſche Bewegung. XI. Buch.
denn wenn eine loſe Faſer aus zwo Linien beſteht, deren Laͤnge 1 iſt; und wenn nun dieſe zwo Linien, von irgend einem fluͤßigen Weſen ausgedehnt, und zu einer Kugel werden, ſo ſieht man mehr, als zur Gnuͤge, wenn man die Sache auf einen Kreis ſezzt, daß der neue, aus zween Durchmeſſern entſtandne Kreis, zum Durchmeſſer habe, und daß folglich der eine Durchmeſſer deſſelben et- was kuͤrzer, als die zwei Drittheile des vorigen ſei, in- dem er ſo gros, als die Laͤnge der zwo Linien, aus wel- chen er entſtanden (b), oder als die eine Linie iſt, weil ſie beide gleich gros ſind. Es iſt aber uͤberhaupt weiter nichts, als eine Hipoteſe, wenn man vorgibt, daß ſich in der Muſkelbewegung die Faſern in kleine Kugeln ver- wandeln, und es laſſen ſich alſo auch dieſe matematiſche Eigenſchaften einer Faſer nicht auf eine lebendige Faſer, denn dieſe zeigt ſich niemals kuglig, anwenden. Es hat bereits vorlaͤngſt Fr. Bayle(c) mit Grunde erinnert, daß dieſes ein Feler in der Theorie der Blaͤsgen ſei, weil ſich ein Muſkel nicht uͤber zuſammenziehen kann. Frie- drich Winter(d) zeigt, daß Bernouilli das Zuſam- menziehen viel zu klein gemacht, und der vortrefliche Se- nac, daß ſich das Zuſammenziehen weiter als auf ⅓ er- ſtrekke (e).
Des Johann Tabor Verſuch hat den Feler, daß nicht der obere Schulterblatsmuſkel, ſondern der Delta- muſkel, die Schulter hebt.
Jndem ſich die Muſkelfaſer zuſammenzieht, und im Wirken verkuͤrzzt, ſo geſchicht es, daß ſie aus einer ſchie-
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einem am Auge gemachten Ver- ſuche. Alle thun es, doch auf verſchiedene Weiſe. TABORUS und der beruͤhmte LORRY, ver- moͤge des Verſuches Journ. de med. 1757. Jan.
(b) Die Kuͤrze wird noch klei- ner ſein, wenn ſie von der Zuſam- menziehung des Muſkels herruͤhrt, [Spaltenumbruch]
weil ſich eine Faſer niemals gaͤnz- lich in eine Kugel verwandeln kann; wie ſolches eingeſtanden wird vom BERNOULLIO n. 15. und KEILIO p. 186.
(c)Oper. p. 78.
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Thieriſche Bewegung. XI. Buch.
denn wenn eine loſe Faſer aus zwo Linien beſteht, deren
Laͤnge 1 iſt; und wenn nun dieſe zwo Linien, von irgend
einem fluͤßigen Weſen ausgedehnt, und zu einer Kugel
werden, ſo ſieht man mehr, als zur Gnuͤge, wenn man
die Sache auf einen Kreis ſezzt, daß der neue, aus zween
Durchmeſſern entſtandne Kreis, zum Durchmeſſer [FORMEL]
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was kuͤrzer, als die zwei Drittheile des vorigen ſei, in-
dem er ſo gros, als die Laͤnge der zwo Linien, aus wel-
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ſie beide gleich gros ſind. Es iſt aber uͤberhaupt weiter
nichts, als eine Hipoteſe, wenn man vorgibt, daß ſich in
der Muſkelbewegung die Faſern in kleine Kugeln ver-
wandeln, und es laſſen ſich alſo auch dieſe matematiſche
Eigenſchaften einer Faſer nicht auf eine lebendige Faſer,
denn dieſe zeigt ſich niemals kuglig, anwenden. Es hat
bereits vorlaͤngſt Fr. Bayle (c) mit Grunde erinnert,
daß dieſes ein Feler in der Theorie der Blaͤsgen ſei, weil
ſich ein Muſkel nicht uͤber [FORMEL] zuſammenziehen kann. Frie-
drich Winter (d) zeigt, daß Bernouilli das Zuſam-
menziehen viel zu klein gemacht, und der vortrefliche Se-
nac, daß ſich das Zuſammenziehen weiter als auf ⅓ er-
ſtrekke (e).
Des Johann Tabor Verſuch hat den Feler, daß
nicht der obere Schulterblatsmuſkel, ſondern der Delta-
muſkel, die Schulter hebt.
Jndem ſich die Muſkelfaſer zuſammenzieht, und im
Wirken verkuͤrzzt, ſo geſchicht es, daß ſie aus einer ſchie-
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(b) Die Kuͤrze wird noch klei-
ner ſein, wenn ſie von der Zuſam-
menziehung des Muſkels herruͤhrt,
weil ſich eine Faſer niemals gaͤnz-
lich in eine Kugel verwandeln
kann; wie ſolches eingeſtanden
wird vom BERNOULLIO n. 15.
und KEILIO p. 186.
(c) Oper. p. 78.
(d) de muſc. pag. 22.
(e) pag. 302.
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einem am Auge gemachten Ver-
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/72>, abgerufen am 24.11.2024.
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