in die äussere Haut der Zunge eingeflochten wären, nicht ins Fleischige giengen, die Nerven aber des neunten Paa- res sich in die Muskeln vertheilten.
Hingegen bildete sich unser ehemaliger Lehrer(k) ein, daß blos der neunte Nerve in die Zunge gehe, daß sich der fünfte auch in andre Theile des Körpers erstrekke, folglich scheine es billig zu sein, das besondere Amt der Zunge von einem Nerven zu erwarten, welcher schon selbst der Zunge eigentümlich angehört. Auch andre folgten dem Gedanken dieses vortreflichen Mannes, wie es zu ge- hen pflegt, nach (l).
Doch es scheint, daß man beide Säzze dieses vortref- lichen Mannes bestreiten könne. Denn die Zunge ver- richtet nicht durchgängig den Geschmak allein (m), und es theilt sich der Nerve des neunten Paares, ausser der Zunge, noch vielen andern Nerven mit (n). Es ist aber billig, den Geschmak von demjenigen Nerven zu erwarten, dessen Aeste sich in den Theilen der Zunge ausbreiten, die die meiste Empfindung haben. Nun erstrekkt sich blos der fünfte in die Spizze der Zunge (o), wo der schärfste Geschmak seinen Sizz hat, und der neunte endigt sich viel ehe. Und von diesem Nerven allein, der tief in die Zunge eindringt, habe ich die kleine Aeste bis in die Wärzchen verfolgt.
Doch es scheinen auch die Krankheiten unsrer Meinung zu statten zu kommen. Es hörte der Geschmak im Hunds- krampfe auf, woran ein Fehler des fünften Nerven Schuld zu sein schien (p): wenigstens war der Speichel- fluß und Hundskrampf davon entstanden (q). Dieser ist es und nicht der neunte, welcher den Muskeln des
Kinn-
(k)[Spaltenumbruch]I. R. M. n. 486.
(l)MONROO beim CHE- SELDEN p. 238. SCHLICH- TING ad VERBRUGGE p. 150.
(m) Buch XIII. Abschn. 1. §. 1.
(n) Buch X.
(o)[Spaltenumbruch]BIDLOO tab. 14. f. 1. BERRETTINI tab. 10. 12. 13. f. 2.
(p)Eph. Nat. Cur. Vol. VIII. obs. 86.
(q)MONROO on nerves p. 392.
Der Geſchmak. XIII. Buch.
in die aͤuſſere Haut der Zunge eingeflochten waͤren, nicht ins Fleiſchige giengen, die Nerven aber des neunten Paa- res ſich in die Muſkeln vertheilten.
Hingegen bildete ſich unſer ehemaliger Lehrer(k) ein, daß blos der neunte Nerve in die Zunge gehe, daß ſich der fuͤnfte auch in andre Theile des Koͤrpers erſtrekke, folglich ſcheine es billig zu ſein, das beſondere Amt der Zunge von einem Nerven zu erwarten, welcher ſchon ſelbſt der Zunge eigentuͤmlich angehoͤrt. Auch andre folgten dem Gedanken dieſes vortreflichen Mannes, wie es zu ge- hen pflegt, nach (l).
Doch es ſcheint, daß man beide Saͤzze dieſes vortref- lichen Mannes beſtreiten koͤnne. Denn die Zunge ver- richtet nicht durchgaͤngig den Geſchmak allein (m), und es theilt ſich der Nerve des neunten Paares, auſſer der Zunge, noch vielen andern Nerven mit (n). Es iſt aber billig, den Geſchmak von demjenigen Nerven zu erwarten, deſſen Aeſte ſich in den Theilen der Zunge ausbreiten, die die meiſte Empfindung haben. Nun erſtrekkt ſich blos der fuͤnfte in die Spizze der Zunge (o), wo der ſchaͤrfſte Geſchmak ſeinen Sizz hat, und der neunte endigt ſich viel ehe. Und von dieſem Nerven allein, der tief in die Zunge eindringt, habe ich die kleine Aeſte bis in die Waͤrzchen verfolgt.
Doch es ſcheinen auch die Krankheiten unſrer Meinung zu ſtatten zu kommen. Es hoͤrte der Geſchmak im Hunds- krampfe auf, woran ein Fehler des fuͤnften Nerven Schuld zu ſein ſchien (p): wenigſtens war der Speichel- fluß und Hundskrampf davon entſtanden (q). Dieſer iſt es und nicht der neunte, welcher den Muſkeln des
Kinn-
(k)[Spaltenumbruch]I. R. M. n. 486.
(l)MONROO beim CHE- SELDEN p. 238. SCHLICH- TING ad VERBRUGGE p. 150.
(m) Buch XIII. Abſchn. 1. §. 1.
(n) Buch X.
(o)[Spaltenumbruch]BIDLOO tab. 14. f. 1. BERRETTINI tab. 10. 12. 13. f. 2.
(p)Eph. Nat. Cur. Vol. VIII. obſ. 86.
(q)MONROO on nerves p. 392.
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[408/0426]
Der Geſchmak. XIII. Buch.
in die aͤuſſere Haut der Zunge eingeflochten waͤren, nicht
ins Fleiſchige giengen, die Nerven aber des neunten Paa-
res ſich in die Muſkeln vertheilten.
Hingegen bildete ſich unſer ehemaliger Lehrer (k) ein,
daß blos der neunte Nerve in die Zunge gehe, daß ſich
der fuͤnfte auch in andre Theile des Koͤrpers erſtrekke,
folglich ſcheine es billig zu ſein, das beſondere Amt der
Zunge von einem Nerven zu erwarten, welcher ſchon ſelbſt
der Zunge eigentuͤmlich angehoͤrt. Auch andre folgten
dem Gedanken dieſes vortreflichen Mannes, wie es zu ge-
hen pflegt, nach (l).
Doch es ſcheint, daß man beide Saͤzze dieſes vortref-
lichen Mannes beſtreiten koͤnne. Denn die Zunge ver-
richtet nicht durchgaͤngig den Geſchmak allein (m), und
es theilt ſich der Nerve des neunten Paares, auſſer der
Zunge, noch vielen andern Nerven mit (n). Es iſt aber
billig, den Geſchmak von demjenigen Nerven zu erwarten,
deſſen Aeſte ſich in den Theilen der Zunge ausbreiten, die
die meiſte Empfindung haben. Nun erſtrekkt ſich blos
der fuͤnfte in die Spizze der Zunge (o), wo der ſchaͤrfſte
Geſchmak ſeinen Sizz hat, und der neunte endigt ſich viel
ehe. Und von dieſem Nerven allein, der tief in die Zunge
eindringt, habe ich die kleine Aeſte bis in die Waͤrzchen
verfolgt.
Doch es ſcheinen auch die Krankheiten unſrer Meinung
zu ſtatten zu kommen. Es hoͤrte der Geſchmak im Hunds-
krampfe auf, woran ein Fehler des fuͤnften Nerven
Schuld zu ſein ſchien (p): wenigſtens war der Speichel-
fluß und Hundskrampf davon entſtanden (q). Dieſer
iſt es und nicht der neunte, welcher den Muſkeln des
Kinn-
(k)
I. R. M. n. 486.
(l) MONROO beim CHE-
SELDEN p. 238. SCHLICH-
TING ad VERBRUGGE p. 150.
(m) Buch XIII. Abſchn. 1. §. 1.
(n) Buch X.
(o)
BIDLOO tab. 14. f. 1.
BERRETTINI tab. 10. 12. 13. f. 2.
(p) Eph. Nat. Cur. Vol. VIII.
obſ. 86.
(q) MONROO on nerves p.
392.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/426>, abgerufen am 22.11.2024.
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