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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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III. Abschnitt. Ursachen.
zu haben, so lange ich eben diese meine phisiologische Ent-
würfe mit Bedachtsamkeit schrieb. Es ist auch gewis,
daß ich, wenn ich gehe, zwar meines Willens bewust bin,
allein ich weis durchaus nicht, was ich in dieser Absicht
vor Bewegungen machen, und mit welchen Muskeln ich
den Körper fortrükken mus. Doch ich leugne deswegen
nicht gänzlich, daß das Herz den Reiz empfinden, oder
empfunden haben könne, ob ihn gleich die lange Gewon-
heit ziemlich vertilget hatte.

Doch es sind noch andre Gründe vorhanden, warum
ich mit diesen berümten Männern nicht einerlei Meinung
hegen kann. Sie sagen, es werden alle Muskeln durch-
gängig von dem Willen beherrscht, wiewohl einige kein
Bewustsein des Wollens andeuten. Doch es haben die
berümte Männer bisher, indem ich die meresten Schriften
über diese Materie gelesen habe, nichts vorgetragen, wo-
durch sie erklärt hätten, wie einerlei Bewegung willkürlich
sein könne, ohne doch dem Willen der Seele zu gehorchen,
oder vom Willen erwekkt, und von selbigem gehemmt zu
werden: Sie scheinen hier, so viel ich einsehe, Redensarten
zu gebrauchen, welche ihnen selbst zuwider laufen, und sie
nennen einen unwillkürlichen Willen.

Es ist das Schlagen des Herzens zur Erhaltung des
Lebens notwendig, und so auch das Atemholen, denn ob
das letztere gleich etwas langsamer geschicht, so kann den-
noch ein Mensch eine Zeitlang und die Thiere noch länger
sowohl das Atemholen als das Schlagen des Herzens ver-
missen.

Nun erfaren wir, was zwischen der willkürlichen und
der notwendigen Bewegung vor ein Unterschied sei. Es
gehorcht das Atemholen, welches zur Erhaltung des Lebens
erfordert wird, dennoch dem Willen (g). Wir können

selbi-
(g) L. VIII. pag. 262.
J 5

III. Abſchnitt. Urſachen.
zu haben, ſo lange ich eben dieſe meine phiſiologiſche Ent-
wuͤrfe mit Bedachtſamkeit ſchrieb. Es iſt auch gewis,
daß ich, wenn ich gehe, zwar meines Willens bewuſt bin,
allein ich weis durchaus nicht, was ich in dieſer Abſicht
vor Bewegungen machen, und mit welchen Muſkeln ich
den Koͤrper fortruͤkken mus. Doch ich leugne deswegen
nicht gaͤnzlich, daß das Herz den Reiz empfinden, oder
empfunden haben koͤnne, ob ihn gleich die lange Gewon-
heit ziemlich vertilget hatte.

Doch es ſind noch andre Gruͤnde vorhanden, warum
ich mit dieſen beruͤmten Maͤnnern nicht einerlei Meinung
hegen kann. Sie ſagen, es werden alle Muſkeln durch-
gaͤngig von dem Willen beherrſcht, wiewohl einige kein
Bewuſtſein des Wollens andeuten. Doch es haben die
beruͤmte Maͤnner bisher, indem ich die mereſten Schriften
uͤber dieſe Materie geleſen habe, nichts vorgetragen, wo-
durch ſie erklaͤrt haͤtten, wie einerlei Bewegung willkuͤrlich
ſein koͤnne, ohne doch dem Willen der Seele zu gehorchen,
oder vom Willen erwekkt, und von ſelbigem gehemmt zu
werden: Sie ſcheinen hier, ſo viel ich einſehe, Redensarten
zu gebrauchen, welche ihnen ſelbſt zuwider laufen, und ſie
nennen einen unwillkuͤrlichen Willen.

Es iſt das Schlagen des Herzens zur Erhaltung des
Lebens notwendig, und ſo auch das Atemholen, denn ob
das letztere gleich etwas langſamer geſchicht, ſo kann den-
noch ein Menſch eine Zeitlang und die Thiere noch laͤnger
ſowohl das Atemholen als das Schlagen des Herzens ver-
miſſen.

Nun erfaren wir, was zwiſchen der willkuͤrlichen und
der notwendigen Bewegung vor ein Unterſchied ſei. Es
gehorcht das Atemholen, welches zur Erhaltung des Lebens
erfordert wird, dennoch dem Willen (g). Wir koͤnnen

ſelbi-
(g) L. VIII. pag. 262.
J 5
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[137/0155] III. Abſchnitt. Urſachen. zu haben, ſo lange ich eben dieſe meine phiſiologiſche Ent- wuͤrfe mit Bedachtſamkeit ſchrieb. Es iſt auch gewis, daß ich, wenn ich gehe, zwar meines Willens bewuſt bin, allein ich weis durchaus nicht, was ich in dieſer Abſicht vor Bewegungen machen, und mit welchen Muſkeln ich den Koͤrper fortruͤkken mus. Doch ich leugne deswegen nicht gaͤnzlich, daß das Herz den Reiz empfinden, oder empfunden haben koͤnne, ob ihn gleich die lange Gewon- heit ziemlich vertilget hatte. Doch es ſind noch andre Gruͤnde vorhanden, warum ich mit dieſen beruͤmten Maͤnnern nicht einerlei Meinung hegen kann. Sie ſagen, es werden alle Muſkeln durch- gaͤngig von dem Willen beherrſcht, wiewohl einige kein Bewuſtſein des Wollens andeuten. Doch es haben die beruͤmte Maͤnner bisher, indem ich die mereſten Schriften uͤber dieſe Materie geleſen habe, nichts vorgetragen, wo- durch ſie erklaͤrt haͤtten, wie einerlei Bewegung willkuͤrlich ſein koͤnne, ohne doch dem Willen der Seele zu gehorchen, oder vom Willen erwekkt, und von ſelbigem gehemmt zu werden: Sie ſcheinen hier, ſo viel ich einſehe, Redensarten zu gebrauchen, welche ihnen ſelbſt zuwider laufen, und ſie nennen einen unwillkuͤrlichen Willen. Es iſt das Schlagen des Herzens zur Erhaltung des Lebens notwendig, und ſo auch das Atemholen, denn ob das letztere gleich etwas langſamer geſchicht, ſo kann den- noch ein Menſch eine Zeitlang und die Thiere noch laͤnger ſowohl das Atemholen als das Schlagen des Herzens ver- miſſen. Nun erfaren wir, was zwiſchen der willkuͤrlichen und der notwendigen Bewegung vor ein Unterſchied ſei. Es gehorcht das Atemholen, welches zur Erhaltung des Lebens erfordert wird, dennoch dem Willen (g). Wir koͤnnen ſelbi- (g) L. VIII. pag. 262. J 5

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/155>, abgerufen am 25.11.2024.