wenig geübten Menschen selten, von solchen, die ausser der Gesellschaft leben, vielleicht niemals, so wenig als von Kindern, oder Thieren abstrahirt werden, und welches ein Vorzug der ausgebildeten Menschenseele ist.
Man nennt Jdeen, die aus Abstraktion entstehen, notiones(m). Alle entstehen einigermassen aus Empfin- dungen, und bilden sich selbst durch Zeichen in unsrer Seele ab; doch sind sie ein Werk der Seele; und die Thiere kennen diese Begriffe nicht (n). Ausserdem zeiget sich in der Seele noch, eine aus den Abstraktionen, und Begriffen, entstandne gewisse Macht der Ordnung, wo- von die Thiere ebenfalls nichts wissen (o).
§. 15. Die Wahrheit. Der Jrrthum.
Man erlaube mir hier, dasjenige mit kurzen Worten zu berühren, was zum Theil die Aerzte, zum Theil alle Menschen angeht.
Wahrheiten wissen, nennt man, wenn unsre Jdeen mit den Sachen selbst übereinstimmen, aus deren Vorstel- lung sie entstanden sind. Wir irren, wenn unsre Jdeen von den Sachen selbst verschieden sind.
Wir berühren hier nicht die Jrrthümer der Sinnen, die wir bei dem Sehen weitläuftig erzählt haben. Wir geben auch leicht zu, daß uns das Gefühl betrügen könne (p), und wenigstens von der willkürlichen Dikke der un- empfindlichen Bekleidungen abhänge.
Wir
(m)[Spaltenumbruch]BONNET. pag. 165. Jch lese, daß ein Hund, der Befehl bekam, den Hut zu bringen, als er solchen nicht fand, an dessen Stelle eine andre Kopfhülle ge- bracht, daß man also glauben soll- te, er habe eine Art mit seiner Gattung verglichen. SCHELHAM- [Spaltenumbruch]
MER phisiol. p. CXLV. doch dies ist nur die einzige Historie.
(n)pag 180.
(o)BONNET p. 197.
(p) Daß wir eine Kugel für zwei halten STURM Sensus unius geminus p. 8 Daß nicht das Füh- len sichrer sei, als Sehen PORTER- FIELD II. p. 501.
Z z z 3
I. Abſchnitt. Der Verſtand.
wenig geuͤbten Menſchen ſelten, von ſolchen, die auſſer der Geſellſchaft leben, vielleicht niemals, ſo wenig als von Kindern, oder Thieren abſtrahirt werden, und welches ein Vorzug der ausgebildeten Menſchenſeele iſt.
Man nennt Jdeen, die aus Abſtraktion entſtehen, notiones(m). Alle entſtehen einigermaſſen aus Empfin- dungen, und bilden ſich ſelbſt durch Zeichen in unſrer Seele ab; doch ſind ſie ein Werk der Seele; und die Thiere kennen dieſe Begriffe nicht (n). Auſſerdem zeiget ſich in der Seele noch, eine aus den Abſtraktionen, und Begriffen, entſtandne gewiſſe Macht der Ordnung, wo- von die Thiere ebenfalls nichts wiſſen (o).
§. 15. Die Wahrheit. Der Jrrthum.
Man erlaube mir hier, dasjenige mit kurzen Worten zu beruͤhren, was zum Theil die Aerzte, zum Theil alle Menſchen angeht.
Wahrheiten wiſſen, nennt man, wenn unſre Jdeen mit den Sachen ſelbſt uͤbereinſtimmen, aus deren Vorſtel- lung ſie entſtanden ſind. Wir irren, wenn unſre Jdeen von den Sachen ſelbſt verſchieden ſind.
Wir beruͤhren hier nicht die Jrrthuͤmer der Sinnen, die wir bei dem Sehen weitlaͤuftig erzaͤhlt haben. Wir geben auch leicht zu, daß uns das Gefuͤhl betruͤgen koͤnne (p), und wenigſtens von der willkuͤrlichen Dikke der un- empfindlichen Bekleidungen abhaͤnge.
Wir
(m)[Spaltenumbruch]BONNET. pag. 165. Jch leſe, daß ein Hund, der Befehl bekam, den Hut zu bringen, als er ſolchen nicht fand, an deſſen Stelle eine andre Kopfhuͤlle ge- bracht, daß man alſo glauben ſoll- te, er habe eine Art mit ſeiner Gattung verglichen. SCHELHAM- [Spaltenumbruch]
MER phiſiol. p. CXLV. doch dies iſt nur die einzige Hiſtorie.
(n)pag 180.
(o)BONNET p. 197.
(p) Daß wir eine Kugel fuͤr zwei halten STURM Senſus unius geminus p. 8 Daß nicht das Fuͤh- len ſichrer ſei, als Sehen PORTER- FIELD II. p. 501.
Z z z 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f1111"n="1093"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">I.</hi> Abſchnitt. Der Verſtand.</hi></fw><lb/>
wenig geuͤbten Menſchen ſelten, von ſolchen, die auſſer<lb/>
der Geſellſchaft leben, vielleicht niemals, ſo wenig als von<lb/>
Kindern, oder Thieren abſtrahirt werden, und welches<lb/>
ein Vorzug der ausgebildeten Menſchenſeele iſt.</p><lb/><p>Man nennt Jdeen, die aus Abſtraktion entſtehen,<lb/><hirendition="#aq">notiones</hi><noteplace="foot"n="(m)"><cb/><hirendition="#aq">BONNET. pag.</hi> 165. Jch<lb/>
leſe, daß ein Hund, der Befehl<lb/>
bekam, den Hut zu bringen, als<lb/>
er ſolchen nicht fand, an deſſen<lb/>
Stelle eine andre Kopfhuͤlle ge-<lb/>
bracht, daß man alſo glauben ſoll-<lb/>
te, er habe eine Art mit ſeiner<lb/>
Gattung verglichen. <hirendition="#aq">SCHELHAM-<lb/><cb/>
MER phiſiol. p. CXLV.</hi> doch dies<lb/>
iſt nur die einzige Hiſtorie.</note>. Alle entſtehen einigermaſſen aus Empfin-<lb/>
dungen, und bilden ſich ſelbſt durch Zeichen in unſrer<lb/>
Seele ab; doch ſind ſie ein Werk der Seele; und die<lb/>
Thiere kennen dieſe Begriffe nicht <noteplace="foot"n="(n)"><hirendition="#aq">pag</hi> 180.</note>. Auſſerdem zeiget<lb/>ſich in der Seele noch, eine aus den Abſtraktionen, und<lb/>
Begriffen, entſtandne gewiſſe Macht der Ordnung, wo-<lb/>
von die Thiere ebenfalls nichts wiſſen <noteplace="foot"n="(o)"><hirendition="#aq">BONNET p.</hi> 197.</note>.</p></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">§. 15.<lb/>
Die Wahrheit. Der Jrrthum.</hi></head><lb/><p>Man erlaube mir hier, dasjenige mit kurzen Worten<lb/>
zu beruͤhren, was zum Theil die Aerzte, zum Theil alle<lb/>
Menſchen angeht.</p><lb/><p>Wahrheiten wiſſen, nennt man, wenn unſre Jdeen<lb/>
mit den Sachen ſelbſt uͤbereinſtimmen, aus deren Vorſtel-<lb/>
lung ſie entſtanden ſind. Wir irren, wenn unſre Jdeen<lb/>
von den Sachen ſelbſt verſchieden ſind.</p><lb/><p>Wir beruͤhren hier nicht die Jrrthuͤmer der Sinnen,<lb/>
die wir bei dem Sehen weitlaͤuftig erzaͤhlt haben. Wir<lb/>
geben auch leicht zu, daß uns das Gefuͤhl betruͤgen koͤnne<lb/><noteplace="foot"n="(p)">Daß wir eine Kugel fuͤr<lb/>
zwei halten <hirendition="#aq">STURM Senſus unius<lb/>
geminus p.</hi> 8 Daß nicht das Fuͤh-<lb/>
len ſichrer ſei, als Sehen <hirendition="#aq">PORTER-<lb/>
FIELD II. p.</hi> 501.</note>, und wenigſtens von der willkuͤrlichen Dikke der un-<lb/>
empfindlichen Bekleidungen abhaͤnge.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">Z z z 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">Wir</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[1093/1111]
I. Abſchnitt. Der Verſtand.
wenig geuͤbten Menſchen ſelten, von ſolchen, die auſſer
der Geſellſchaft leben, vielleicht niemals, ſo wenig als von
Kindern, oder Thieren abſtrahirt werden, und welches
ein Vorzug der ausgebildeten Menſchenſeele iſt.
Man nennt Jdeen, die aus Abſtraktion entſtehen,
notiones (m). Alle entſtehen einigermaſſen aus Empfin-
dungen, und bilden ſich ſelbſt durch Zeichen in unſrer
Seele ab; doch ſind ſie ein Werk der Seele; und die
Thiere kennen dieſe Begriffe nicht (n). Auſſerdem zeiget
ſich in der Seele noch, eine aus den Abſtraktionen, und
Begriffen, entſtandne gewiſſe Macht der Ordnung, wo-
von die Thiere ebenfalls nichts wiſſen (o).
§. 15.
Die Wahrheit. Der Jrrthum.
Man erlaube mir hier, dasjenige mit kurzen Worten
zu beruͤhren, was zum Theil die Aerzte, zum Theil alle
Menſchen angeht.
Wahrheiten wiſſen, nennt man, wenn unſre Jdeen
mit den Sachen ſelbſt uͤbereinſtimmen, aus deren Vorſtel-
lung ſie entſtanden ſind. Wir irren, wenn unſre Jdeen
von den Sachen ſelbſt verſchieden ſind.
Wir beruͤhren hier nicht die Jrrthuͤmer der Sinnen,
die wir bei dem Sehen weitlaͤuftig erzaͤhlt haben. Wir
geben auch leicht zu, daß uns das Gefuͤhl betruͤgen koͤnne
(p), und wenigſtens von der willkuͤrlichen Dikke der un-
empfindlichen Bekleidungen abhaͤnge.
Wir
(m)
BONNET. pag. 165. Jch
leſe, daß ein Hund, der Befehl
bekam, den Hut zu bringen, als
er ſolchen nicht fand, an deſſen
Stelle eine andre Kopfhuͤlle ge-
bracht, daß man alſo glauben ſoll-
te, er habe eine Art mit ſeiner
Gattung verglichen. SCHELHAM-
MER phiſiol. p. CXLV. doch dies
iſt nur die einzige Hiſtorie.
(n) pag 180.
(o) BONNET p. 197.
(p) Daß wir eine Kugel fuͤr
zwei halten STURM Senſus unius
geminus p. 8 Daß nicht das Fuͤh-
len ſichrer ſei, als Sehen PORTER-
FIELD II. p. 501.
Z z z 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1093. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1111>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.