Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Abschnitt. Erscheinungen.
sich ihrentwegen die Glieder geschwinder (p*). Wenn
man nämlich die Verkürzung auf beiden Seiten gleich
gros sezzt, so ziehet ein Muskel, der einen Fus lang ist,
ein Glied durch eine Länge von vier Zoll nach sich, indes-
sen daß solches von einem Muskel, der einen Zoll lang ist,
durch vier Linien geschicht. Uebrigens ist eine jede lange
Faser schwächer (p**), und sie läst sich von einer gerin-
gen Gewalt, von ihrer geraden Richtung, verschieben,
und entzweireissen (q).

§. 35.
Warum die Muskelkraft dergleichen Abgänge
auszustehen habe.

Man könnte hierbei fragen, warum der weiseste
Schöpfer dergleichen Bau in Thieren verhängt habe, wo-
bei notwendig ein grosser Theil von den aufgewandten
Kräften zunichte gehen mus.

Hierauf läst sich leicht antworten. Es kommen alle
menschliche Ersparungen der Kräfte darauf an, daß die
bewegende Macht einen grossen Weg beschreiben, indessen
daß das Gewicht eine kleine Linie zu durchlaufen hat.
Folglich wirkt dieselbe in einer grössern Zeit, indessen daß
das Gewichte, welches überwältigt werden mus, seinen
Weg geschwinder zurükke legt. Nun konnte aber diese
Regel in menschlichen Dingen nicht statt finden, und
es muste überhaupt der Widerstand einen grossen Zir-
kelbogen, und die Gewalt einen kleinen beschreiben.
Es mus die Hand, wenn sie was umspannt, und der
Fus im Gehen, mit den äussersten Fingern oder Zeen
über dem Gelenke des Ellbogens, oder des Kniees,
einen grossen Bogen beschreiben, damit im Schritte

eine
(p*) [Spaltenumbruch] Daß sie stärker ziehen,
sagt mit Unrecht, CHARLO-
TON
on motion p.
537.
(p**) [Spaltenumbruch] SAUVAGES physiol.
pag.
138.
(q) MUSSCHENBROECK
de cohaes. corporum p.
474.

II. Abſchnitt. Erſcheinungen.
ſich ihrentwegen die Glieder geſchwinder (p*). Wenn
man naͤmlich die Verkuͤrzung auf beiden Seiten gleich
gros ſezzt, ſo ziehet ein Muſkel, der einen Fus lang iſt,
ein Glied durch eine Laͤnge von vier Zoll nach ſich, indeſ-
ſen daß ſolches von einem Muſkel, der einen Zoll lang iſt,
durch vier Linien geſchicht. Uebrigens iſt eine jede lange
Faſer ſchwaͤcher (p**), und ſie laͤſt ſich von einer gerin-
gen Gewalt, von ihrer geraden Richtung, verſchieben,
und entzweireiſſen (q).

§. 35.
Warum die Muſkelkraft dergleichen Abgaͤnge
auszuſtehen habe.

Man koͤnnte hierbei fragen, warum der weiſeſte
Schoͤpfer dergleichen Bau in Thieren verhaͤngt habe, wo-
bei notwendig ein groſſer Theil von den aufgewandten
Kraͤften zunichte gehen mus.

Hierauf laͤſt ſich leicht antworten. Es kommen alle
menſchliche Erſparungen der Kraͤfte darauf an, daß die
bewegende Macht einen groſſen Weg beſchreiben, indeſſen
daß das Gewicht eine kleine Linie zu durchlaufen hat.
Folglich wirkt dieſelbe in einer groͤſſern Zeit, indeſſen daß
das Gewichte, welches uͤberwaͤltigt werden mus, ſeinen
Weg geſchwinder zuruͤkke legt. Nun konnte aber dieſe
Regel in menſchlichen Dingen nicht ſtatt finden, und
es muſte uͤberhaupt der Widerſtand einen groſſen Zir-
kelbogen, und die Gewalt einen kleinen beſchreiben.
Es mus die Hand, wenn ſie was umſpannt, und der
Fus im Gehen, mit den aͤuſſerſten Fingern oder Zeen
uͤber dem Gelenke des Ellbogens, oder des Kniees,
einen groſſen Bogen beſchreiben, damit im Schritte

eine
(p*) [Spaltenumbruch] Daß ſie ſtaͤrker ziehen,
ſagt mit Unrecht, CHARLO-
TON
on motion p.
537.
(p**) [Spaltenumbruch] SAUVAGES phyſiol.
pag.
138.
(q) MUSSCHENBROECK
de cohaeſ. corporum p.
474.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0111" n="93"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Ab&#x017F;chnitt. Er&#x017F;cheinungen.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ich ihrentwegen die Glieder ge&#x017F;chwinder <note place="foot" n="(p*)"><cb/>
Daß &#x017F;ie &#x017F;ta&#x0364;rker ziehen,<lb/>
&#x017F;agt mit Unrecht, <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">CHARLO-<lb/>
TON</hi> on motion p.</hi> 537.</note>. Wenn<lb/>
man na&#x0364;mlich die Verku&#x0364;rzung auf beiden Seiten gleich<lb/>
gros &#x017F;ezzt, &#x017F;o ziehet ein Mu&#x017F;kel, der einen Fus lang i&#x017F;t,<lb/>
ein Glied durch eine La&#x0364;nge von vier Zoll nach &#x017F;ich, inde&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en daß &#x017F;olches von einem Mu&#x017F;kel, der einen Zoll lang i&#x017F;t,<lb/>
durch vier Linien ge&#x017F;chicht. Uebrigens i&#x017F;t eine jede lange<lb/>
Fa&#x017F;er &#x017F;chwa&#x0364;cher <note place="foot" n="(p**)"><cb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SAUVAGES</hi> phy&#x017F;iol.<lb/>
pag.</hi> 138.</note>, und &#x017F;ie la&#x0364;&#x017F;t &#x017F;ich von einer gerin-<lb/>
gen Gewalt, von ihrer geraden Richtung, ver&#x017F;chieben,<lb/>
und entzweirei&#x017F;&#x017F;en <note place="foot" n="(q)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">MUSSCHENBROECK</hi><lb/>
de cohae&#x017F;. corporum p.</hi> 474.</note>.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 35.<lb/>
Warum die Mu&#x017F;kelkraft dergleichen Abga&#x0364;nge<lb/>
auszu&#x017F;tehen habe.</head><lb/>
          <p>Man ko&#x0364;nnte hierbei fragen, warum der wei&#x017F;e&#x017F;te<lb/>
Scho&#x0364;pfer dergleichen Bau in Thieren verha&#x0364;ngt habe, wo-<lb/>
bei notwendig ein gro&#x017F;&#x017F;er Theil von den aufgewandten<lb/>
Kra&#x0364;ften zunichte gehen mus.</p><lb/>
          <p>Hierauf la&#x0364;&#x017F;t &#x017F;ich leicht antworten. Es kommen alle<lb/>
men&#x017F;chliche Er&#x017F;parungen der Kra&#x0364;fte darauf an, daß die<lb/>
bewegende Macht einen gro&#x017F;&#x017F;en Weg be&#x017F;chreiben, inde&#x017F;&#x017F;en<lb/>
daß das Gewicht eine kleine Linie zu durchlaufen hat.<lb/>
Folglich wirkt die&#x017F;elbe in einer gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern Zeit, inde&#x017F;&#x017F;en daß<lb/>
das Gewichte, welches u&#x0364;berwa&#x0364;ltigt werden mus, &#x017F;einen<lb/>
Weg ge&#x017F;chwinder zuru&#x0364;kke legt. Nun konnte aber die&#x017F;e<lb/>
Regel in men&#x017F;chlichen Dingen nicht &#x017F;tatt finden, und<lb/>
es mu&#x017F;te u&#x0364;berhaupt der Wider&#x017F;tand einen gro&#x017F;&#x017F;en Zir-<lb/>
kelbogen, und die Gewalt einen kleinen be&#x017F;chreiben.<lb/>
Es mus die Hand, wenn &#x017F;ie was um&#x017F;pannt, und der<lb/>
Fus im Gehen, mit den a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ten Fingern oder Zeen<lb/>
u&#x0364;ber dem Gelenke des Ellbogens, oder des Kniees,<lb/>
einen gro&#x017F;&#x017F;en Bogen be&#x017F;chreiben, damit im Schritte<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">eine</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0111] II. Abſchnitt. Erſcheinungen. ſich ihrentwegen die Glieder geſchwinder (p*). Wenn man naͤmlich die Verkuͤrzung auf beiden Seiten gleich gros ſezzt, ſo ziehet ein Muſkel, der einen Fus lang iſt, ein Glied durch eine Laͤnge von vier Zoll nach ſich, indeſ- ſen daß ſolches von einem Muſkel, der einen Zoll lang iſt, durch vier Linien geſchicht. Uebrigens iſt eine jede lange Faſer ſchwaͤcher (p**), und ſie laͤſt ſich von einer gerin- gen Gewalt, von ihrer geraden Richtung, verſchieben, und entzweireiſſen (q). §. 35. Warum die Muſkelkraft dergleichen Abgaͤnge auszuſtehen habe. Man koͤnnte hierbei fragen, warum der weiſeſte Schoͤpfer dergleichen Bau in Thieren verhaͤngt habe, wo- bei notwendig ein groſſer Theil von den aufgewandten Kraͤften zunichte gehen mus. Hierauf laͤſt ſich leicht antworten. Es kommen alle menſchliche Erſparungen der Kraͤfte darauf an, daß die bewegende Macht einen groſſen Weg beſchreiben, indeſſen daß das Gewicht eine kleine Linie zu durchlaufen hat. Folglich wirkt dieſelbe in einer groͤſſern Zeit, indeſſen daß das Gewichte, welches uͤberwaͤltigt werden mus, ſeinen Weg geſchwinder zuruͤkke legt. Nun konnte aber dieſe Regel in menſchlichen Dingen nicht ſtatt finden, und es muſte uͤberhaupt der Widerſtand einen groſſen Zir- kelbogen, und die Gewalt einen kleinen beſchreiben. Es mus die Hand, wenn ſie was umſpannt, und der Fus im Gehen, mit den aͤuſſerſten Fingern oder Zeen uͤber dem Gelenke des Ellbogens, oder des Kniees, einen groſſen Bogen beſchreiben, damit im Schritte eine (p*) Daß ſie ſtaͤrker ziehen, ſagt mit Unrecht, CHARLO- TON on motion p. 537. (p**) SAUVAGES phyſiol. pag. 138. (q) MUSSCHENBROECK de cohaeſ. corporum p. 474.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/111
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/111>, abgerufen am 23.11.2024.