Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Verstand. XVII. Buch.
öde in Frankreich antraf, und der Polnische Knabe (m),
konnten, als man sie durch einen glükklichen Zufall wie-
der zu der Gesellschaft brachte, nichts von ihrem Vater-
lande, Eltern oder Wege erzählen. Daher besizzen die-
jenigen Thiere ein schlechteres Gedächtnis, die wenig Zei-
chen wissen.

Doch es vorschwinden, sowol in den Personen von
einem glükklichen Gedächtnisse, als in denen von gewöhn-
lichem Gedächtnisse die Spuren noch geschwinder aus
dem Gehirne (m*); so daß sie anfänglich schwächer wer-
den, und alsdann kann man sich nur durch andre damit
zusammenhängende Spuren, wieder darauf besinnen;
endlich verschwinden sie ganz und gar, so daß sie in Ab-
sicht auf uns so wenig übrig bleiben, als ob sie niemals
uns angehört hätten. Doch wenn noch etwas davon
übrig ist, so kann eine neue Empfindung, oder eine neue
Vorstellung in der Seele, diese erloschene Spuren gleich-
sam wieder auffrischen.

Jndessen können doch auch diese Spuren gleichsam
in uns einschlafen, und dieses begegnet dem Menschen
sonderlich in Krankheiten, doch aber auch wenn derselbe
gesund ist (n), daß bisweilen von ergossnem Blute, Eiter
oder von andern dunklen Ursachen im Gehirne, entweder
alle, oder doch einige Spuren, lange Zeit verborgen bleiben,
daß sich die Seele darauf, wenn sie sich gleich so anstrengt,
ganz und gar nicht besinnen kann; wenn aber eben diese
Ursache in unserm Körper wieder gehoben worden, so
werden diese Jdeen wieder lebendig, und stellen sich der
Seele von selbst dar. Jch lese von einem Menschen, der
das Gedächtnis in wechselweisen, wiewol ungewissen
Paroxismis verlohr, und wieder bekam (n*), und ich

habe
(m) [Spaltenumbruch] CONNOR histor. Polon.
T. I. p.
342.
(m*) Er erklärt es mechanisch,
daß eine Faser von dem vorgegell-
ten Bilde nunmehr kürzer werden
[Spaltenumbruch] soll. UBER. Hamb. Magaz. T. XXV.
p.
196.
(n) BEHRENS consider. anim.
medica p.
55
(n*) Iourn. de Trevoux 1711.
Iuin.

Der Verſtand. XVII. Buch.
oͤde in Frankreich antraf, und der Polniſche Knabe (m),
konnten, als man ſie durch einen gluͤkklichen Zufall wie-
der zu der Geſellſchaft brachte, nichts von ihrem Vater-
lande, Eltern oder Wege erzaͤhlen. Daher beſizzen die-
jenigen Thiere ein ſchlechteres Gedaͤchtnis, die wenig Zei-
chen wiſſen.

Doch es vorſchwinden, ſowol in den Perſonen von
einem gluͤkklichen Gedaͤchtniſſe, als in denen von gewoͤhn-
lichem Gedaͤchtniſſe die Spuren noch geſchwinder aus
dem Gehirne (m*); ſo daß ſie anfaͤnglich ſchwaͤcher wer-
den, und alsdann kann man ſich nur durch andre damit
zuſammenhaͤngende Spuren, wieder darauf beſinnen;
endlich verſchwinden ſie ganz und gar, ſo daß ſie in Ab-
ſicht auf uns ſo wenig uͤbrig bleiben, als ob ſie niemals
uns angehoͤrt haͤtten. Doch wenn noch etwas davon
uͤbrig iſt, ſo kann eine neue Empfindung, oder eine neue
Vorſtellung in der Seele, dieſe erloſchene Spuren gleich-
ſam wieder auffriſchen.

Jndeſſen koͤnnen doch auch dieſe Spuren gleichſam
in uns einſchlafen, und dieſes begegnet dem Menſchen
ſonderlich in Krankheiten, doch aber auch wenn derſelbe
geſund iſt (n), daß bisweilen von ergoſſnem Blute, Eiter
oder von andern dunklen Urſachen im Gehirne, entweder
alle, oder doch einige Spuren, lange Zeit verborgen bleiben,
daß ſich die Seele darauf, wenn ſie ſich gleich ſo anſtrengt,
ganz und gar nicht beſinnen kann; wenn aber eben dieſe
Urſache in unſerm Koͤrper wieder gehoben worden, ſo
werden dieſe Jdeen wieder lebendig, und ſtellen ſich der
Seele von ſelbſt dar. Jch leſe von einem Menſchen, der
das Gedaͤchtnis in wechſelweiſen, wiewol ungewiſſen
Paroxiſmis verlohr, und wieder bekam (n*), und ich

habe
(m) [Spaltenumbruch] CONNOR hiſtor. Polon.
T. I. p.
342.
(m*) Er erklaͤrt es mechaniſch,
daß eine Faſer von dem vorgegell-
ten Bilde nunmehr kuͤrzer werden
[Spaltenumbruch] ſoll. UBER. Hamb. Magaz. T. XXV.
p.
196.
(n) BEHRENS conſider. anim.
medica p.
55
(n*) Iourn. de Trévoux 1711.
Iuin.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f1092" n="1074"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Der Ver&#x017F;tand. <hi rendition="#aq">XVII.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>
o&#x0364;de in Frankreich antraf, und der Polni&#x017F;che Knabe <note place="foot" n="(m)"><cb/><hi rendition="#aq">CONNOR hi&#x017F;tor. Polon.<lb/>
T. I. p.</hi> 342.</note>,<lb/>
konnten, als man &#x017F;ie durch einen glu&#x0364;kklichen Zufall wie-<lb/>
der zu der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft brachte, nichts von ihrem Vater-<lb/>
lande, Eltern oder Wege erza&#x0364;hlen. Daher be&#x017F;izzen die-<lb/>
jenigen Thiere ein &#x017F;chlechteres Geda&#x0364;chtnis, die wenig Zei-<lb/>
chen wi&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>Doch es vor&#x017F;chwinden, &#x017F;owol in den Per&#x017F;onen von<lb/>
einem glu&#x0364;kklichen Geda&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;e, als in denen von gewo&#x0364;hn-<lb/>
lichem Geda&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;e die Spuren noch ge&#x017F;chwinder aus<lb/>
dem Gehirne <note place="foot" n="(m*)">Er erkla&#x0364;rt es mechani&#x017F;ch,<lb/>
daß eine Fa&#x017F;er von dem vorgegell-<lb/>
ten Bilde nunmehr ku&#x0364;rzer werden<lb/><cb/>
&#x017F;oll. <hi rendition="#aq">UBER. Hamb. Magaz. T. XXV.<lb/>
p.</hi> 196.</note>; &#x017F;o daß &#x017F;ie anfa&#x0364;nglich &#x017F;chwa&#x0364;cher wer-<lb/>
den, und alsdann kann man &#x017F;ich nur durch andre damit<lb/>
zu&#x017F;ammenha&#x0364;ngende Spuren, wieder darauf be&#x017F;innen;<lb/>
endlich ver&#x017F;chwinden &#x017F;ie ganz und gar, &#x017F;o daß &#x017F;ie in Ab-<lb/>
&#x017F;icht auf uns &#x017F;o wenig u&#x0364;brig bleiben, als ob &#x017F;ie niemals<lb/>
uns angeho&#x0364;rt ha&#x0364;tten. Doch wenn noch etwas davon<lb/>
u&#x0364;brig i&#x017F;t, &#x017F;o kann eine neue Empfindung, oder eine neue<lb/>
Vor&#x017F;tellung in der Seele, die&#x017F;e erlo&#x017F;chene Spuren gleich-<lb/>
&#x017F;am wieder auffri&#x017F;chen.</p><lb/>
            <p>Jnde&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnen doch auch die&#x017F;e Spuren gleich&#x017F;am<lb/>
in uns ein&#x017F;chlafen, und die&#x017F;es begegnet dem Men&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;onderlich in Krankheiten, doch aber auch wenn der&#x017F;elbe<lb/>
ge&#x017F;und i&#x017F;t <note place="foot" n="(n)"><hi rendition="#aq">BEHRENS con&#x017F;ider. anim.<lb/>
medica p.</hi> 55</note>, daß bisweilen von ergo&#x017F;&#x017F;nem Blute, Eiter<lb/>
oder von andern dunklen Ur&#x017F;achen im Gehirne, entweder<lb/>
alle, oder doch einige Spuren, lange Zeit verborgen bleiben,<lb/>
daß &#x017F;ich die Seele darauf, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich gleich &#x017F;o an&#x017F;trengt,<lb/>
ganz und gar nicht be&#x017F;innen kann; wenn aber eben die&#x017F;e<lb/>
Ur&#x017F;ache in un&#x017F;erm Ko&#x0364;rper wieder gehoben worden, &#x017F;o<lb/>
werden die&#x017F;e Jdeen wieder lebendig, und &#x017F;tellen &#x017F;ich der<lb/>
Seele von &#x017F;elb&#x017F;t dar. Jch le&#x017F;e von einem Men&#x017F;chen, der<lb/>
das Geda&#x0364;chtnis in wech&#x017F;elwei&#x017F;en, wiewol ungewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Paroxi&#x017F;mis verlohr, und wieder bekam <note place="foot" n="(n*)"><hi rendition="#aq">Iourn. de Trévoux 1711.<lb/>
Iuin.</hi></note>, und ich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">habe</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1074/1092] Der Verſtand. XVII. Buch. oͤde in Frankreich antraf, und der Polniſche Knabe (m), konnten, als man ſie durch einen gluͤkklichen Zufall wie- der zu der Geſellſchaft brachte, nichts von ihrem Vater- lande, Eltern oder Wege erzaͤhlen. Daher beſizzen die- jenigen Thiere ein ſchlechteres Gedaͤchtnis, die wenig Zei- chen wiſſen. Doch es vorſchwinden, ſowol in den Perſonen von einem gluͤkklichen Gedaͤchtniſſe, als in denen von gewoͤhn- lichem Gedaͤchtniſſe die Spuren noch geſchwinder aus dem Gehirne (m*); ſo daß ſie anfaͤnglich ſchwaͤcher wer- den, und alsdann kann man ſich nur durch andre damit zuſammenhaͤngende Spuren, wieder darauf beſinnen; endlich verſchwinden ſie ganz und gar, ſo daß ſie in Ab- ſicht auf uns ſo wenig uͤbrig bleiben, als ob ſie niemals uns angehoͤrt haͤtten. Doch wenn noch etwas davon uͤbrig iſt, ſo kann eine neue Empfindung, oder eine neue Vorſtellung in der Seele, dieſe erloſchene Spuren gleich- ſam wieder auffriſchen. Jndeſſen koͤnnen doch auch dieſe Spuren gleichſam in uns einſchlafen, und dieſes begegnet dem Menſchen ſonderlich in Krankheiten, doch aber auch wenn derſelbe geſund iſt (n), daß bisweilen von ergoſſnem Blute, Eiter oder von andern dunklen Urſachen im Gehirne, entweder alle, oder doch einige Spuren, lange Zeit verborgen bleiben, daß ſich die Seele darauf, wenn ſie ſich gleich ſo anſtrengt, ganz und gar nicht beſinnen kann; wenn aber eben dieſe Urſache in unſerm Koͤrper wieder gehoben worden, ſo werden dieſe Jdeen wieder lebendig, und ſtellen ſich der Seele von ſelbſt dar. Jch leſe von einem Menſchen, der das Gedaͤchtnis in wechſelweiſen, wiewol ungewiſſen Paroxiſmis verlohr, und wieder bekam (n*), und ich habe (m) CONNOR hiſtor. Polon. T. I. p. 342. (m*) Er erklaͤrt es mechaniſch, daß eine Faſer von dem vorgegell- ten Bilde nunmehr kuͤrzer werden ſoll. UBER. Hamb. Magaz. T. XXV. p. 196. (n) BEHRENS conſider. anim. medica p. 55 (n*) Iourn. de Trévoux 1711. Iuin.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1092
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1074. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1092>, abgerufen am 23.11.2024.