stellen: so empfindet sie aber diese nicht, sondern die Far- be, welche sich dennoch nicht im Gehirne abdrükkt.
Es scheinet, daß sich die Seele nicht alle Jdeen vor- stellet (z), sondern nur diejenigen, welche etwas lebhafter, und uns nicht gar zu gewöhnlich oder bekannt sind. Wir scheinen nicht bei den gewöhnlichen Fällen des menschlichen Lebens, die Bewegungen im Athemholen, ob sie gleich nach Belieben geschehen, und leicht zu empfinden sind, sobald wir sie empfinden wollen, zu empfinden. Wir empfinden nicht diejenige schwache Unbequemlichkeiten, die von einem stärkern Lichte, oder anderswoher entstehen, und die uns, die Augenlieder zu verschliessen nöthigen, nicht die Töne, nicht das Reiben der Kleider an unsrer Haut, und die- ses alles empfinden wir doch, so bald wir wollen: folglich stellet sich dieses der Seele dergestalt dar, daß dadurch ihr Zustand nicht bis auf den Grad geändert wird, als er geändert werden mus, wenn wir uns dieser Verände- rung bewust sein sollen.
Bishieher scheine ich den Stahlianern zu viel ein- zuräumen, welche die Unwissenheit unsrer Seele über den Bau unsrer Werkzeuge des Lebens, dem Mangel oder der Schwäche dieser Vorstellung zuschreiben, und sie nen- nen sensus vitalis(b), die Empfindung des eignen Kör- pers, dessen Zustand die Seele durch die nach allen Sei- ten vertheilte Nervchen dergestalt empfindet, daß sie sich derselben nicht bewust ist. Allein ich weiche doch von die- sen berühmten Männern darinnen ab, daß unsre Seele unsre dunkle Vorstellungen empfinden kann, so oft es ihr beliebt; da sie doch im Gegentheil den Zustand der Leber, oder der Gedärme, wenn alles gesund ist, und sie gleich noch so sehr will, sich nicht vorstellen kann. Jn diesem Falle scheint die Vorstellung schwach, und ohne Spuren, hingegen im Fall der Stahlianer gar keine zu sein.
§. 5.
(z)[Spaltenumbruch]
Nur Erwachsene haben voll- ständige Empfindungen NOLLET l. c. T. l. p. 173.
(b)[Spaltenumbruch]GOHL von dem an Vorur- theilen kranken Verstande p. 31. GODART de l'ame p. 62. &c.
I. Abſchnitt. Der Verſtand.
ſtellen: ſo empfindet ſie aber dieſe nicht, ſondern die Far- be, welche ſich dennoch nicht im Gehirne abdruͤkkt.
Es ſcheinet, daß ſich die Seele nicht alle Jdeen vor- ſtellet (z), ſondern nur diejenigen, welche etwas lebhafter, und uns nicht gar zu gewoͤhnlich oder bekannt ſind. Wir ſcheinen nicht bei den gewoͤhnlichen Faͤllen des menſchlichen Lebens, die Bewegungen im Athemholen, ob ſie gleich nach Belieben geſchehen, und leicht zu empfinden ſind, ſobald wir ſie empfinden wollen, zu empfinden. Wir empfinden nicht diejenige ſchwache Unbequemlichkeiten, die von einem ſtaͤrkern Lichte, oder anderswoher entſtehen, und die uns, die Augenlieder zu verſchlieſſen noͤthigen, nicht die Toͤne, nicht das Reiben der Kleider an unſrer Haut, und die- ſes alles empfinden wir doch, ſo bald wir wollen: folglich ſtellet ſich dieſes der Seele dergeſtalt dar, daß dadurch ihr Zuſtand nicht bis auf den Grad geaͤndert wird, als er geaͤndert werden mus, wenn wir uns dieſer Veraͤnde- rung bewuſt ſein ſollen.
Bishieher ſcheine ich den Stahlianern zu viel ein- zuraͤumen, welche die Unwiſſenheit unſrer Seele uͤber den Bau unſrer Werkzeuge des Lebens, dem Mangel oder der Schwaͤche dieſer Vorſtellung zuſchreiben, und ſie nen- nen ſenſus vitalis(b), die Empfindung des eignen Koͤr- pers, deſſen Zuſtand die Seele durch die nach allen Sei- ten vertheilte Nervchen dergeſtalt empfindet, daß ſie ſich derſelben nicht bewuſt iſt. Allein ich weiche doch von die- ſen beruͤhmten Maͤnnern darinnen ab, daß unſre Seele unſre dunkle Vorſtellungen empfinden kann, ſo oft es ihr beliebt; da ſie doch im Gegentheil den Zuſtand der Leber, oder der Gedaͤrme, wenn alles geſund iſt, und ſie gleich noch ſo ſehr will, ſich nicht vorſtellen kann. Jn dieſem Falle ſcheint die Vorſtellung ſchwach, und ohne Spuren, hingegen im Fall der Stahlianer gar keine zu ſein.
§. 5.
(z)[Spaltenumbruch]
Nur Erwachſene haben voll- ſtaͤndige Empfindungen NOLLET l. c. T. l. p. 173.
(b)[Spaltenumbruch]GOHL von dem an Vorur- theilen kranken Verſtande p. 31. GODART de l’ame p. 62. &c.
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I. Abſchnitt. Der Verſtand.
ſtellen: ſo empfindet ſie aber dieſe nicht, ſondern die Far-
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Es ſcheinet, daß ſich die Seele nicht alle Jdeen vor-
ſtellet (z), ſondern nur diejenigen, welche etwas lebhafter,
und uns nicht gar zu gewoͤhnlich oder bekannt ſind. Wir
ſcheinen nicht bei den gewoͤhnlichen Faͤllen des menſchlichen
Lebens, die Bewegungen im Athemholen, ob ſie gleich nach
Belieben geſchehen, und leicht zu empfinden ſind, ſobald
wir ſie empfinden wollen, zu empfinden. Wir empfinden
nicht diejenige ſchwache Unbequemlichkeiten, die von einem
ſtaͤrkern Lichte, oder anderswoher entſtehen, und die uns,
die Augenlieder zu verſchlieſſen noͤthigen, nicht die Toͤne,
nicht das Reiben der Kleider an unſrer Haut, und die-
ſes alles empfinden wir doch, ſo bald wir wollen: folglich
ſtellet ſich dieſes der Seele dergeſtalt dar, daß dadurch
ihr Zuſtand nicht bis auf den Grad geaͤndert wird, als
er geaͤndert werden mus, wenn wir uns dieſer Veraͤnde-
rung bewuſt ſein ſollen.
Bishieher ſcheine ich den Stahlianern zu viel ein-
zuraͤumen, welche die Unwiſſenheit unſrer Seele uͤber den
Bau unſrer Werkzeuge des Lebens, dem Mangel oder
der Schwaͤche dieſer Vorſtellung zuſchreiben, und ſie nen-
nen ſenſus vitalis (b), die Empfindung des eignen Koͤr-
pers, deſſen Zuſtand die Seele durch die nach allen Sei-
ten vertheilte Nervchen dergeſtalt empfindet, daß ſie ſich
derſelben nicht bewuſt iſt. Allein ich weiche doch von die-
ſen beruͤhmten Maͤnnern darinnen ab, daß unſre Seele
unſre dunkle Vorſtellungen empfinden kann, ſo oft es ihr
beliebt; da ſie doch im Gegentheil den Zuſtand der Leber,
oder der Gedaͤrme, wenn alles geſund iſt, und ſie gleich
noch ſo ſehr will, ſich nicht vorſtellen kann. Jn dieſem
Falle ſcheint die Vorſtellung ſchwach, und ohne Spuren,
hingegen im Fall der Stahlianer gar keine zu ſein.
§. 5.
(z)
Nur Erwachſene haben voll-
ſtaͤndige Empfindungen NOLLET
l. c. T. l. p. 173.
(b)
GOHL von dem an Vorur-
theilen kranken Verſtande p. 31.
GODART de l’ame p. 62. &c.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1053. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1071>, abgerufen am 23.11.2024.
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