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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 4. Berlin, 1768.

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VII. Ab. Ersch. d. leb. Geh. Die Empfind.

Folglich, weiß ich nicht mit diesen Geschichten zu
vereinigen, daß man vorgiebt, die Seele leide von den
Krankheiten des kleinen Gehirns ganz und gar nicht;
denn es war derienige unempfindlich, in dessen kleinen
Gehirne die Pariser ein Eitergeschwür fanden; ein an-
derer empfand die Folgen von der Entzündung de Ge-
hirnhäute [Spaltenumbruch] e, viele haben über sehr heftige Kopfschmer-
zen geklagt f. Der letztgedachte Künstler verfiel in
eine Schwäche und Dummheit, und ich habe allezeit an
den Gliedern der Thiere Krämpfe bemerkt, deren klei-
nes Gehirn ich verwundet hatte [Spaltenumbruch] g.

Jn den Versuchen des berümten Lorry verfiel man
nach der Erschütterung des kleinen Gehirns in einen
Schlaf h, und wir glauben dieses leicht, indem solches
von dem grossen Gehirne ebenfalls wahr ist. Wir ha-
ben von den Krämpfen, welche die dem Willen unter
worfene Muskeln leiden, bereits gehandelt.

Wofern ia ein Nerve aus dem kleinen Gehirne
hervorkömmt i, so ist solches der fünfte zur Empfindung
und willkürlichen Bewegung bestimmte Nerve.

Wenn man demnach alles zusammen nimmt, so
scheint das kleine Gehirn von dem grossen in so fern wenig
unterschieden zu sein, und es bringen schwere Wunden
an beiden den Tod, obgleich leichte Wunden von beiden
ertragen werden. Eben so ersiehet man daraus, daß
das grosse Gehirn zu den Werkzeugen des Lebens, sowohl
die empfindende, als bewegende Kräfte versende, und
daß hingegen das kleine Gehirn solche Kräfte unter die,
dem Willen der Seele untergeordnete Theile, nach sei-
ner Art austheile.

§. 37.
e Patinus, Brisseau Acad. de
chir.
f p. 312. 350.
g Mem. des sav. etran. T. III.
p.
358. 359. 360.
h Kaauw n. 328.
i p. 209.
M m 4
VII. Ab. Erſch. d. leb. Geh. Die Empfind.

Folglich, weiß ich nicht mit dieſen Geſchichten zu
vereinigen, daß man vorgiebt, die Seele leide von den
Krankheiten des kleinen Gehirns ganz und gar nicht;
denn es war derienige unempfindlich, in deſſen kleinen
Gehirne die Pariſer ein Eitergeſchwuͤr fanden; ein an-
derer empfand die Folgen von der Entzuͤndung de Ge-
hirnhaͤute [Spaltenumbruch] e, viele haben uͤber ſehr heftige Kopfſchmer-
zen geklagt f. Der letztgedachte Kuͤnſtler verfiel in
eine Schwaͤche und Dummheit, und ich habe allezeit an
den Gliedern der Thiere Kraͤmpfe bemerkt, deren klei-
nes Gehirn ich verwundet hatte [Spaltenumbruch] g.

Jn den Verſuchen des beruͤmten Lorry verfiel man
nach der Erſchuͤtterung des kleinen Gehirns in einen
Schlaf h, und wir glauben dieſes leicht, indem ſolches
von dem groſſen Gehirne ebenfalls wahr iſt. Wir ha-
ben von den Kraͤmpfen, welche die dem Willen unter
worfene Muskeln leiden, bereits gehandelt.

Wofern ia ein Nerve aus dem kleinen Gehirne
hervorkoͤmmt i, ſo iſt ſolches der fuͤnfte zur Empfindung
und willkuͤrlichen Bewegung beſtimmte Nerve.

Wenn man demnach alles zuſammen nimmt, ſo
ſcheint das kleine Gehirn von dem groſſen in ſo fern wenig
unterſchieden zu ſein, und es bringen ſchwere Wunden
an beiden den Tod, obgleich leichte Wunden von beiden
ertragen werden. Eben ſo erſiehet man daraus, daß
das groſſe Gehirn zu den Werkzeugen des Lebens, ſowohl
die empfindende, als bewegende Kraͤfte verſende, und
daß hingegen das kleine Gehirn ſolche Kraͤfte unter die,
dem Willen der Seele untergeordnete Theile, nach ſei-
ner Art austheile.

§. 37.
e Patinus, Briſſeau Acad. de
chir.
f p. 312. 350.
g Mem. des ſav. etran. T. III.
p.
358. 359. 360.
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i p. 209.
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[551/0587] VII. Ab. Erſch. d. leb. Geh. Die Empfind. Folglich, weiß ich nicht mit dieſen Geſchichten zu vereinigen, daß man vorgiebt, die Seele leide von den Krankheiten des kleinen Gehirns ganz und gar nicht; denn es war derienige unempfindlich, in deſſen kleinen Gehirne die Pariſer ein Eitergeſchwuͤr fanden; ein an- derer empfand die Folgen von der Entzuͤndung de Ge- hirnhaͤute e, viele haben uͤber ſehr heftige Kopfſchmer- zen geklagt f. Der letztgedachte Kuͤnſtler verfiel in eine Schwaͤche und Dummheit, und ich habe allezeit an den Gliedern der Thiere Kraͤmpfe bemerkt, deren klei- nes Gehirn ich verwundet hatte g. Jn den Verſuchen des beruͤmten Lorry verfiel man nach der Erſchuͤtterung des kleinen Gehirns in einen Schlaf h, und wir glauben dieſes leicht, indem ſolches von dem groſſen Gehirne ebenfalls wahr iſt. Wir ha- ben von den Kraͤmpfen, welche die dem Willen unter worfene Muskeln leiden, bereits gehandelt. Wofern ia ein Nerve aus dem kleinen Gehirne hervorkoͤmmt i, ſo iſt ſolches der fuͤnfte zur Empfindung und willkuͤrlichen Bewegung beſtimmte Nerve. Wenn man demnach alles zuſammen nimmt, ſo ſcheint das kleine Gehirn von dem groſſen in ſo fern wenig unterſchieden zu ſein, und es bringen ſchwere Wunden an beiden den Tod, obgleich leichte Wunden von beiden ertragen werden. Eben ſo erſiehet man daraus, daß das groſſe Gehirn zu den Werkzeugen des Lebens, ſowohl die empfindende, als bewegende Kraͤfte verſende, und daß hingegen das kleine Gehirn ſolche Kraͤfte unter die, dem Willen der Seele untergeordnete Theile, nach ſei- ner Art austheile. §. 37. e Patinus, Briſſeau Acad. de chir. f p. 312. 350. g Mem. des ſav. etran. T. III. p. 358. 359. 360. h Kaauw n. 328. i p. 209. M m 4

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 4. Berlin, 1768, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende04_1768/587>, abgerufen am 26.11.2024.