de gehabt zu haben, daß diesen die Zunge nach der Er- weiterung der Wunde wieder nachgewachsen sey, so wie es überhaupt die Art der Wunden an der Zunge ist, daß sie sich leicht heilen lassen. Anton von Jußieu vermu- thet (u), daß an einem Mädchen die Kinnmuskeln der Zunge, und die Kinnmuskeln des Zungenbeins, wie auch die breiten Muskeln des Zungenbeins, an statt der ver- lornen Zunge den Luftröhrenkopf vollkommen in die Höhe haben heben können. Daß aber der Gebrauch der Stim- me, und auch einigermaßen die Sprache, ohne Zunge statt finden könne, will ich nicht in Abrede seyn, da bloß aus der Luftröhrenspalte die Stimme ihren Ursprung nimmt. Daher können doch diejenigen, welche nach Krankheiten stammeln (x), oder überhaupt sprachlos sind (y), singen.
Ferner, wenn die Zunge an vielen Orten unbeweglich ist, so kann dieser Fehler schwerlich von der Kunst ver- bessert werden. Eine gar zu große Zunge macht ein Lis- peln (z), und ich habe einen berühmten Mann in der Republik gesehen, welcher fast überhaupt alle Wörter mit einer Unannehmlichkeit, oder nur undeutlich aussprechen konnte. Ammann sagt noch (a), daß man deswegen das f. vor k. ausspreche, und daß man das r. über- haupt nicht angeben könne, weil die Muskeln nicht hin- länglich wären, die Zunge geschwinde zu erheben, und mit selbiger die gehörigen Zitterungen hervor zu bringen. Der- gleichen Personen sind von den Alten, der zween fehlerhaf- ten Buchstaben wegen, trauloi genannt worden (b).
Eine
(u)[Spaltenumbruch]Mem. de l'Acad. 1712. S. 11. 12.
(x)Swenska Acad. Handl. 1745. S. 115. Ephem. Nat. Cur. Dec. II. ann. 10. obs. 197.
(y)Satyr. siles. mantissa ad II. [Spaltenumbruch]
n. 2.
(z)ARANTIVS obs. 24.
(a)AMMANN. S. 110.
(b)GALEN aphorisin, 32. Sect. VI. u. f.
Die Stimme. IX. Buch.
de gehabt zu haben, daß dieſen die Zunge nach der Er- weiterung der Wunde wieder nachgewachſen ſey, ſo wie es uͤberhaupt die Art der Wunden an der Zunge iſt, daß ſie ſich leicht heilen laſſen. Anton von Jußieu vermu- thet (u), daß an einem Maͤdchen die Kinnmuskeln der Zunge, und die Kinnmuskeln des Zungenbeins, wie auch die breiten Muskeln des Zungenbeins, an ſtatt der ver- lornen Zunge den Luftroͤhrenkopf vollkommen in die Hoͤhe haben heben koͤnnen. Daß aber der Gebrauch der Stim- me, und auch einigermaßen die Sprache, ohne Zunge ſtatt finden koͤnne, will ich nicht in Abrede ſeyn, da bloß aus der Luftroͤhrenſpalte die Stimme ihren Urſprung nimmt. Daher koͤnnen doch diejenigen, welche nach Krankheiten ſtammeln (x), oder uͤberhaupt ſprachlos ſind (y), ſingen.
Ferner, wenn die Zunge an vielen Orten unbeweglich iſt, ſo kann dieſer Fehler ſchwerlich von der Kunſt ver- beſſert werden. Eine gar zu große Zunge macht ein Lis- peln (z), und ich habe einen beruͤhmten Mann in der Republik geſehen, welcher faſt uͤberhaupt alle Woͤrter mit einer Unannehmlichkeit, oder nur undeutlich ausſprechen konnte. Ammann ſagt noch (a), daß man deswegen das f. vor k. ausſpreche, und daß man das r. uͤber- haupt nicht angeben koͤnne, weil die Muskeln nicht hin- laͤnglich waͤren, die Zunge geſchwinde zu erheben, und mit ſelbiger die gehoͤrigen Zitterungen hervor zu bringen. Der- gleichen Perſonen ſind von den Alten, der zween fehlerhaf- ten Buchſtaben wegen, τραυλοί genannt worden (b).
Eine
(u)[Spaltenumbruch]Mem. de l’Acad. 1712. S. 11. 12.
(x)Swenska Acad. Handl. 1745. S. 115. Ephem. Nat. Cur. Dec. II. ann. 10. obſ. 197.
(y)Satyr. ſileſ. mantiſſa ad II. [Spaltenumbruch]
n. 2.
(z)ARANTIVS obſ. 24.
(a)AMMANN. S. 110.
(b)GALEN aphoriſin, 32. Sect. VI. u. f.
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[738[740]/0746]
Die Stimme. IX. Buch.
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weiterung der Wunde wieder nachgewachſen ſey, ſo wie
es uͤberhaupt die Art der Wunden an der Zunge iſt, daß
ſie ſich leicht heilen laſſen. Anton von Jußieu vermu-
thet (u), daß an einem Maͤdchen die Kinnmuskeln der
Zunge, und die Kinnmuskeln des Zungenbeins, wie auch
die breiten Muskeln des Zungenbeins, an ſtatt der ver-
lornen Zunge den Luftroͤhrenkopf vollkommen in die Hoͤhe
haben heben koͤnnen. Daß aber der Gebrauch der Stim-
me, und auch einigermaßen die Sprache, ohne Zunge ſtatt
finden koͤnne, will ich nicht in Abrede ſeyn, da bloß aus
der Luftroͤhrenſpalte die Stimme ihren Urſprung nimmt.
Daher koͤnnen doch diejenigen, welche nach Krankheiten
ſtammeln (x), oder uͤberhaupt ſprachlos ſind (y), ſingen.
Ferner, wenn die Zunge an vielen Orten unbeweglich
iſt, ſo kann dieſer Fehler ſchwerlich von der Kunſt ver-
beſſert werden. Eine gar zu große Zunge macht ein Lis-
peln (z), und ich habe einen beruͤhmten Mann in der
Republik geſehen, welcher faſt uͤberhaupt alle Woͤrter mit
einer Unannehmlichkeit, oder nur undeutlich ausſprechen
konnte. Ammann ſagt noch (a), daß man deswegen
das f. vor k. ausſpreche, und daß man das r. uͤber-
haupt nicht angeben koͤnne, weil die Muskeln nicht hin-
laͤnglich waͤren, die Zunge geſchwinde zu erheben, und mit
ſelbiger die gehoͤrigen Zitterungen hervor zu bringen. Der-
gleichen Perſonen ſind von den Alten, der zween fehlerhaf-
ten Buchſtaben wegen, τραυλοί genannt worden (b).
Eine
(u)
Mem. de l’Acad. 1712. S.
11. 12.
(x) Swenska Acad. Handl. 1745.
S. 115. Ephem. Nat. Cur. Dec. II.
ann. 10. obſ. 197.
(y) Satyr. ſileſ. mantiſſa ad II.
n. 2.
(z) ARANTIVS obſ. 24.
(a) AMMANN. S. 110.
(b) GALEN aphoriſin, 32.
Sect. VI. u. f.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 3. Berlin, 1766, S. 738[740]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende03_1766/746>, abgerufen am 22.11.2024.
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