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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759.

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Viertes Buch. Das Herz.
gen des Herzens überhaupt auf eben die Art, wie die Be-
wegungen derer übrigen Muskeln, von den Nerven her:
und demnächst errichtete er aus denen Nerven selbst gleich-
sam eine gedoppelte Leibwache. Die erste dererselben sol-
te, seinem Angeben nach, die Befehle der Seele ausrich-
ten, und sie denen Muskeln überbringen, die unter der
Aufsicht des Willens stehen, anbei die Ursache ihrer Be-
wegung abgeben, und der Seele diejenigen Eindrükke
wieder zurükbringen, welche die äussere Werkzeuge derer
Sinnen von den benachbarten Körpern erhalten hätte;
diese Art derer Nerven nähme allein aus dem grossen Ge-
hirne ihren Ursprung, und sey von der besondern Beschaf-
fenheit, daß sie nicht beständig sich wirksam bezeigte.
Ferner zeigte er, was eigentlich das grosse Gehirn vom
kleinen unterscheide, nämlich die Verschiedenheit derer
Falten und des Baues, die bei diesen und jenen Thieren
anders beschaffen wäre: das kleine Gehirn sey dagegen
viel einfacher gebauet, und in allen Thiergeschlechtern
von der Natur immer überein geschaffen. Er fügte noch
weiter hinzu, daß die Nerven des Herzens, und derjeni-
gen Theile, die keiner abwechselnden Ruhe benöthigt wä-
ren, offenbar von dem kleinen Gehirne ihren Ursprung
bekämen: daß die Beschwerungen, welche den Hintertheil
des Hauptes angriffen, grössere Lebensgefahr verursach-
ten, Ohnmachten nach sich zögen, und daß die Ver-
wundungen des kleinen Gehirnes gefährlicher wären, wel-
ches Argument die neuern phisiologischen Schriftsteller
dergestalt erläutert haben, daß sie gemeiniglich Beispie-
le von plözlichen Todesfällen anzuführen pflegen, welche
auf die Wunden dieses Theiles erfolgt wären, von denen
wir daher einige jezt beibringen wollen.

Carl Drelincourt stach mit einer Nadel bis in die
vierte Kammer des Gehirnes, worauf das Thier plözlich
seinen Geist aufgab (o). Claudius Perrault beobachte-

te,
(o) Canicid. III. Es scheint in diesem Beispiele die von ergossenen
Blu-

Viertes Buch. Das Herz.
gen des Herzens uͤberhaupt auf eben die Art, wie die Be-
wegungen derer uͤbrigen Muskeln, von den Nerven her:
und demnaͤchſt errichtete er aus denen Nerven ſelbſt gleich-
ſam eine gedoppelte Leibwache. Die erſte dererſelben ſol-
te, ſeinem Angeben nach, die Befehle der Seele ausrich-
ten, und ſie denen Muskeln uͤberbringen, die unter der
Aufſicht des Willens ſtehen, anbei die Urſache ihrer Be-
wegung abgeben, und der Seele diejenigen Eindruͤkke
wieder zuruͤkbringen, welche die aͤuſſere Werkzeuge derer
Sinnen von den benachbarten Koͤrpern erhalten haͤtte;
dieſe Art derer Nerven naͤhme allein aus dem groſſen Ge-
hirne ihren Urſprung, und ſey von der beſondern Beſchaf-
fenheit, daß ſie nicht beſtaͤndig ſich wirkſam bezeigte.
Ferner zeigte er, was eigentlich das groſſe Gehirn vom
kleinen unterſcheide, naͤmlich die Verſchiedenheit derer
Falten und des Baues, die bei dieſen und jenen Thieren
anders beſchaffen waͤre: das kleine Gehirn ſey dagegen
viel einfacher gebauet, und in allen Thiergeſchlechtern
von der Natur immer uͤberein geſchaffen. Er fuͤgte noch
weiter hinzu, daß die Nerven des Herzens, und derjeni-
gen Theile, die keiner abwechſelnden Ruhe benoͤthigt waͤ-
ren, offenbar von dem kleinen Gehirne ihren Urſprung
bekaͤmen: daß die Beſchwerungen, welche den Hintertheil
des Hauptes angriffen, groͤſſere Lebensgefahr verurſach-
ten, Ohnmachten nach ſich zoͤgen, und daß die Ver-
wundungen des kleinen Gehirnes gefaͤhrlicher waͤren, wel-
ches Argument die neuern phiſiologiſchen Schriftſteller
dergeſtalt erlaͤutert haben, daß ſie gemeiniglich Beiſpie-
le von ploͤzlichen Todesfaͤllen anzufuͤhren pflegen, welche
auf die Wunden dieſes Theiles erfolgt waͤren, von denen
wir daher einige jezt beibringen wollen.

Carl Drelincourt ſtach mit einer Nadel bis in die
vierte Kammer des Gehirnes, worauf das Thier ploͤzlich
ſeinen Geiſt aufgab (o). Claudius Perrault beobachte-

te,
(o) Canicid. III. Es ſcheint in dieſem Beiſpiele die von ergoſſenen
Blu-
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[906/0962] Viertes Buch. Das Herz. gen des Herzens uͤberhaupt auf eben die Art, wie die Be- wegungen derer uͤbrigen Muskeln, von den Nerven her: und demnaͤchſt errichtete er aus denen Nerven ſelbſt gleich- ſam eine gedoppelte Leibwache. Die erſte dererſelben ſol- te, ſeinem Angeben nach, die Befehle der Seele ausrich- ten, und ſie denen Muskeln uͤberbringen, die unter der Aufſicht des Willens ſtehen, anbei die Urſache ihrer Be- wegung abgeben, und der Seele diejenigen Eindruͤkke wieder zuruͤkbringen, welche die aͤuſſere Werkzeuge derer Sinnen von den benachbarten Koͤrpern erhalten haͤtte; dieſe Art derer Nerven naͤhme allein aus dem groſſen Ge- hirne ihren Urſprung, und ſey von der beſondern Beſchaf- fenheit, daß ſie nicht beſtaͤndig ſich wirkſam bezeigte. Ferner zeigte er, was eigentlich das groſſe Gehirn vom kleinen unterſcheide, naͤmlich die Verſchiedenheit derer Falten und des Baues, die bei dieſen und jenen Thieren anders beſchaffen waͤre: das kleine Gehirn ſey dagegen viel einfacher gebauet, und in allen Thiergeſchlechtern von der Natur immer uͤberein geſchaffen. Er fuͤgte noch weiter hinzu, daß die Nerven des Herzens, und derjeni- gen Theile, die keiner abwechſelnden Ruhe benoͤthigt waͤ- ren, offenbar von dem kleinen Gehirne ihren Urſprung bekaͤmen: daß die Beſchwerungen, welche den Hintertheil des Hauptes angriffen, groͤſſere Lebensgefahr verurſach- ten, Ohnmachten nach ſich zoͤgen, und daß die Ver- wundungen des kleinen Gehirnes gefaͤhrlicher waͤren, wel- ches Argument die neuern phiſiologiſchen Schriftſteller dergeſtalt erlaͤutert haben, daß ſie gemeiniglich Beiſpie- le von ploͤzlichen Todesfaͤllen anzufuͤhren pflegen, welche auf die Wunden dieſes Theiles erfolgt waͤren, von denen wir daher einige jezt beibringen wollen. Carl Drelincourt ſtach mit einer Nadel bis in die vierte Kammer des Gehirnes, worauf das Thier ploͤzlich ſeinen Geiſt aufgab (o). Claudius Perrault beobachte- te, (o) Canicid. III. Es ſcheint in dieſem Beiſpiele die von ergoſſenen Blu-

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. 906. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/962>, abgerufen am 23.11.2024.