Jndessen möchte ich doch auch nicht von einem, der die Phisiologie entwirft, eine der mathematischen ähn- liche Lehrart, gebieterisch verlangen, oder darauf bestehen, daß er nicht das mindeste annehmen solle, wenn es nicht vorher erkläret, und erwiesen worden. Jn dieser Art von Bemühung ist noch kein Lehrer glüklich genung ge- wesen, und er hat seinen methodischen Vortrag niemals ununterbrochen zu Ende bringen können. Man mus in dieser Wissenschaft in der That sehr viele Dinge aus phisischen, chimischen, anatomischen und andern Lehr- säzzen zum Grunde legen: man darf sich auch nicht bei den einfachen Körpern, die an sich sonst leicht zu erklären sind, ganz allein aufhalten, und man unterscheidet sich demnach auf diese zwiefache Art von dem Meskünstler, als der die Gründe seiner Kunst, aus der Kunst selbst hernimt, und folglich Linien, Punkte, und andre höchst einfache Dinge abzuhandeln vor sich sieht. Uns hinge- gen legen die verwikkelten Gemälde thierischer Werkzeuge, die von so mannigfaltiger Art sind, so vielerlei Hinderungen in den Weg, und man kann es auf keinerlei Weise ver- meiden, daß man nicht vor der Hand etwas als wahr anzunehmen genötigt ist, welches erst kurz darauf erklä- ret, und bestätigt werden kann. Folglich lege ich es denenjenigen nicht zur Last, die einen bessern Vortrag, als der meinige ist, belieben; ich lasse aber auch eben so wenig die Hofnung sinken, daß man mir die Fehler gü- tigst übersehen werde, denen ich ohnmöglich ausweichen können, ob ich denselben gleich alle meine Bemühungen entgegen gesezzet habe.
Jch habe indessen geglaubt, daß die Ordnung, die ich meinem Vortrage zum Besten gewählet, in allen Stükken zusammenhängend ist, und daß dadurch dasje- nige nicht von einander gerissen wird, was die Finger der Natur selbst unter sich verbunden, noch daß dadurch fremde Dinge zusammengebracht werden, welche eigent-
lich
Erſtes Buch. Elementartheile
Jndeſſen moͤchte ich doch auch nicht von einem, der die Phiſiologie entwirft, eine der mathematiſchen aͤhn- liche Lehrart, gebieteriſch verlangen, oder darauf beſtehen, daß er nicht das mindeſte annehmen ſolle, wenn es nicht vorher erklaͤret, und erwieſen worden. Jn dieſer Art von Bemuͤhung iſt noch kein Lehrer gluͤklich genung ge- weſen, und er hat ſeinen methodiſchen Vortrag niemals ununterbrochen zu Ende bringen koͤnnen. Man mus in dieſer Wiſſenſchaft in der That ſehr viele Dinge aus phiſiſchen, chimiſchen, anatomiſchen und andern Lehr- ſaͤzzen zum Grunde legen: man darf ſich auch nicht bei den einfachen Koͤrpern, die an ſich ſonſt leicht zu erklaͤren ſind, ganz allein aufhalten, und man unterſcheidet ſich demnach auf dieſe zwiefache Art von dem Meskuͤnſtler, als der die Gruͤnde ſeiner Kunſt, aus der Kunſt ſelbſt hernimt, und folglich Linien, Punkte, und andre hoͤchſt einfache Dinge abzuhandeln vor ſich ſieht. Uns hinge- gen legen die verwikkelten Gemaͤlde thieriſcher Werkzeuge, die von ſo mannigfaltiger Art ſind, ſo vielerlei Hinderungen in den Weg, und man kann es auf keinerlei Weiſe ver- meiden, daß man nicht vor der Hand etwas als wahr anzunehmen genoͤtigt iſt, welches erſt kurz darauf erklaͤ- ret, und beſtaͤtigt werden kann. Folglich lege ich es denenjenigen nicht zur Laſt, die einen beſſern Vortrag, als der meinige iſt, belieben; ich laſſe aber auch eben ſo wenig die Hofnung ſinken, daß man mir die Fehler guͤ- tigſt uͤberſehen werde, denen ich ohnmoͤglich ausweichen koͤnnen, ob ich denſelben gleich alle meine Bemuͤhungen entgegen geſezzet habe.
Jch habe indeſſen geglaubt, daß die Ordnung, die ich meinem Vortrage zum Beſten gewaͤhlet, in allen Stuͤkken zuſammenhaͤngend iſt, und daß dadurch dasje- nige nicht von einander geriſſen wird, was die Finger der Natur ſelbſt unter ſich verbunden, noch daß dadurch fremde Dinge zuſammengebracht werden, welche eigent-
lich
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Erſtes Buch. Elementartheile
Jndeſſen moͤchte ich doch auch nicht von einem, der
die Phiſiologie entwirft, eine der mathematiſchen aͤhn-
liche Lehrart, gebieteriſch verlangen, oder darauf beſtehen,
daß er nicht das mindeſte annehmen ſolle, wenn es nicht
vorher erklaͤret, und erwieſen worden. Jn dieſer Art
von Bemuͤhung iſt noch kein Lehrer gluͤklich genung ge-
weſen, und er hat ſeinen methodiſchen Vortrag niemals
ununterbrochen zu Ende bringen koͤnnen. Man mus
in dieſer Wiſſenſchaft in der That ſehr viele Dinge aus
phiſiſchen, chimiſchen, anatomiſchen und andern Lehr-
ſaͤzzen zum Grunde legen: man darf ſich auch nicht bei
den einfachen Koͤrpern, die an ſich ſonſt leicht zu erklaͤren
ſind, ganz allein aufhalten, und man unterſcheidet ſich
demnach auf dieſe zwiefache Art von dem Meskuͤnſtler,
als der die Gruͤnde ſeiner Kunſt, aus der Kunſt ſelbſt
hernimt, und folglich Linien, Punkte, und andre hoͤchſt
einfache Dinge abzuhandeln vor ſich ſieht. Uns hinge-
gen legen die verwikkelten Gemaͤlde thieriſcher Werkzeuge,
die von ſo mannigfaltiger Art ſind, ſo vielerlei Hinderungen
in den Weg, und man kann es auf keinerlei Weiſe ver-
meiden, daß man nicht vor der Hand etwas als wahr
anzunehmen genoͤtigt iſt, welches erſt kurz darauf erklaͤ-
ret, und beſtaͤtigt werden kann. Folglich lege ich es
denenjenigen nicht zur Laſt, die einen beſſern Vortrag,
als der meinige iſt, belieben; ich laſſe aber auch eben ſo
wenig die Hofnung ſinken, daß man mir die Fehler guͤ-
tigſt uͤberſehen werde, denen ich ohnmoͤglich ausweichen
koͤnnen, ob ich denſelben gleich alle meine Bemuͤhungen
entgegen geſezzet habe.
Jch habe indeſſen geglaubt, daß die Ordnung, die
ich meinem Vortrage zum Beſten gewaͤhlet, in allen
Stuͤkken zuſammenhaͤngend iſt, und daß dadurch dasje-
nige nicht von einander geriſſen wird, was die Finger der
Natur ſelbſt unter ſich verbunden, noch daß dadurch
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/58>, abgerufen am 25.11.2024.
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