der Zergliederungskunst trennen wollen, in der That eben so vor, wie gewisse Meßkünst- ler, welche sich unterstehen, die Kräfte und die Verrichtungen einer Maschine auszurechnen, daran ihnen weder das ganze Räderwerk, noch die Triebräder, ingleichen die Masse und die Materie bekannt sind. Jch bin von der Mei- nung dieser chimärischen und windigen Bau- meister so weit entfernet, daß ich vielmehr glaube, man könne in der Phisiologie fast gar nichts wissen, als was man aus der Zerglie- derungskunst erlernt hat. Man wird sich von der Warheit dessen, was ich hier erinnere, leicht überzeugen können, wenn man sich nur die Mühe nehmen will, die heut zu Tage be- kannte Einrichtung des menschlichen Körpers, mit der Phisiologie des Fernelius, oder des Caspar Hoffmanns, zu vergleichen. Es be- sassen diese Männer Verstand, sie waren in den Arbeiten unermüdet, sie wußten etwas von der Anatomie, so viel sie entweder von den Griechen, oder aus einigen, aber unge- mein sparsamen Zergliederungen menschlicher Körper, gelernt hatten. Und dennoch blieb diesen grossen Männern der wahre Lauf des Blutes, die Art, wie durch das im Auge ge- brochne Licht das Sehen zuwege gebracht wird, ferner der Weg, oder die künstliche Weise, wie der Milchsaft aus den Speisen ins Blut kömt, und endlich, wenn man es frei heraus sagen darf, beinahe die ganze Phisiologie noch ein Räthsel.
Es
Vorrede des Verfaſſers.
der Zergliederungskunſt trennen wollen, in der That eben ſo vor, wie gewiſſe Meßkuͤnſt- ler, welche ſich unterſtehen, die Kraͤfte und die Verrichtungen einer Maſchine auszurechnen, daran ihnen weder das ganze Raͤderwerk, noch die Triebraͤder, ingleichen die Maſſe und die Materie bekannt ſind. Jch bin von der Mei- nung dieſer chimaͤriſchen und windigen Bau- meiſter ſo weit entfernet, daß ich vielmehr glaube, man koͤnne in der Phiſiologie faſt gar nichts wiſſen, als was man aus der Zerglie- derungskunſt erlernt hat. Man wird ſich von der Warheit deſſen, was ich hier erinnere, leicht uͤberzeugen koͤnnen, wenn man ſich nur die Muͤhe nehmen will, die heut zu Tage be- kannte Einrichtung des menſchlichen Koͤrpers, mit der Phiſiologie des Fernelius, oder des Caſpar Hoffmanns, zu vergleichen. Es be- ſaſſen dieſe Maͤnner Verſtand, ſie waren in den Arbeiten unermuͤdet, ſie wußten etwas von der Anatomie, ſo viel ſie entweder von den Griechen, oder aus einigen, aber unge- mein ſparſamen Zergliederungen menſchlicher Koͤrper, gelernt hatten. Und dennoch blieb dieſen groſſen Maͤnnern der wahre Lauf des Blutes, die Art, wie durch das im Auge ge- brochne Licht das Sehen zuwege gebracht wird, ferner der Weg, oder die kuͤnſtliche Weiſe, wie der Milchſaft aus den Speiſen ins Blut koͤmt, und endlich, wenn man es frei heraus ſagen darf, beinahe die ganze Phiſiologie noch ein Raͤthſel.
Es
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[0016]
Vorrede des Verfaſſers.
der Zergliederungskunſt trennen wollen, in
der That eben ſo vor, wie gewiſſe Meßkuͤnſt-
ler, welche ſich unterſtehen, die Kraͤfte und
die Verrichtungen einer Maſchine auszurechnen,
daran ihnen weder das ganze Raͤderwerk, noch
die Triebraͤder, ingleichen die Maſſe und die
Materie bekannt ſind. Jch bin von der Mei-
nung dieſer chimaͤriſchen und windigen Bau-
meiſter ſo weit entfernet, daß ich vielmehr
glaube, man koͤnne in der Phiſiologie faſt gar
nichts wiſſen, als was man aus der Zerglie-
derungskunſt erlernt hat. Man wird ſich von
der Warheit deſſen, was ich hier erinnere,
leicht uͤberzeugen koͤnnen, wenn man ſich nur
die Muͤhe nehmen will, die heut zu Tage be-
kannte Einrichtung des menſchlichen Koͤrpers,
mit der Phiſiologie des Fernelius, oder des
Caſpar Hoffmanns, zu vergleichen. Es be-
ſaſſen dieſe Maͤnner Verſtand, ſie waren in
den Arbeiten unermuͤdet, ſie wußten etwas
von der Anatomie, ſo viel ſie entweder von
den Griechen, oder aus einigen, aber unge-
mein ſparſamen Zergliederungen menſchlicher
Koͤrper, gelernt hatten. Und dennoch blieb
dieſen groſſen Maͤnnern der wahre Lauf des
Blutes, die Art, wie durch das im Auge ge-
brochne Licht das Sehen zuwege gebracht wird,
ferner der Weg, oder die kuͤnſtliche Weiſe,
wie der Milchſaft aus den Speiſen ins Blut
koͤmt, und endlich, wenn man es frei heraus ſagen
darf, beinahe die ganze Phiſiologie noch ein
Raͤthſel.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/16>, abgerufen am 24.11.2024.
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