Dominicus Mistichellius(i) glaubte, daß sich die harte Gehirnhaut, nach der Meinung des Pacchionus und Baglivius, bewege, und die Lebensgeister forttrei- be, und leitete also daraus einen Gegenkampf zwischen dem Herzen und dieser harten Gehirnhaut her. Er nahm also an, daß das zusammengezogene Herz das Blut wech- selsweise in das Gehirn triebe, den Widerstand der har- ten Membrane überwältige, und dieselbe ausdehne. So bald aber diese Membrane wieder schlaff würde, so wür- de auch diejenige Kraft hinweggenommen, welche das Herz mit der geistigen Flüßigkeit versorge, und daher müsse also nothwendig das Herz bald hernach wieder schlaff werden, weil es weiter keinen Vorrath von denen Nerven erhielte. Solchemnach ziehe sich die sich selbst überlassene harte Gehirnhaut, vermittelst ihrer eigenen angebornen Kraft, wieder zusammen, und sende dem Her- zen einen neuen Vorrath von geistiger Flüßigkeit zu, wel- che die Fasern dieses Muskels wieder zur Zusammenzie- hung antriebe.
Es hat ferner unser Lehrer Boerhaave(k), die Ver- suche und Lehrarten derer vorigen phisiologischen Schrift- steller, wie er sonst öfters zu thun ist gewohnt gewesen, mit einander zu vereinigen gesucht. Er nimmt nämlich eine doppelte Ursache zum Herzschlage an, die Nerven- kraft, und das Vermögen des Schlagaderblutes. Er zei- get, daß beide Kräfte wechselsweise sich in dem Herzen befinden, und dasselbe wieder verlassen. Man sezze al- so, es ziehe sich in diesem Augenblikke das Herz zusam- men, wie die Muskeln zu thun pflegen. Solchergestalt füllet es die zwo grosse Schlagadern an, die aus dem Her- zen herauskommen, und drükket dieselben so zusammen, daß sie sich mit einander berühren. Nun laufen aber die vornehmsten Herznerven zwischen diesen Schlagadern hin: hieraus folget also, daß sie zwischen diesen beiden
aus-
(i)[Spaltenumbruch]De apoplexia I. c. 16.
(k)[Spaltenumbruch]Instit. rei medic. n. 409.
Viertes Buch. Das Herz.
Dominicus Mistichellius(i) glaubte, daß ſich die harte Gehirnhaut, nach der Meinung des Pacchionus und Baglivius, bewege, und die Lebensgeiſter forttrei- be, und leitete alſo daraus einen Gegenkampf zwiſchen dem Herzen und dieſer harten Gehirnhaut her. Er nahm alſo an, daß das zuſammengezogene Herz das Blut wech- ſelsweiſe in das Gehirn triebe, den Widerſtand der har- ten Membrane uͤberwaͤltige, und dieſelbe ausdehne. So bald aber dieſe Membrane wieder ſchlaff wuͤrde, ſo wuͤr- de auch diejenige Kraft hinweggenommen, welche das Herz mit der geiſtigen Fluͤßigkeit verſorge, und daher muͤſſe alſo nothwendig das Herz bald hernach wieder ſchlaff werden, weil es weiter keinen Vorrath von denen Nerven erhielte. Solchemnach ziehe ſich die ſich ſelbſt uͤberlaſſene harte Gehirnhaut, vermittelſt ihrer eigenen angebornen Kraft, wieder zuſammen, und ſende dem Her- zen einen neuen Vorrath von geiſtiger Fluͤßigkeit zu, wel- che die Faſern dieſes Muskels wieder zur Zuſammenzie- hung antriebe.
Es hat ferner unſer Lehrer Boerhaave(k), die Ver- ſuche und Lehrarten derer vorigen phiſiologiſchen Schrift- ſteller, wie er ſonſt oͤfters zu thun iſt gewohnt geweſen, mit einander zu vereinigen geſucht. Er nimmt naͤmlich eine doppelte Urſache zum Herzſchlage an, die Nerven- kraft, und das Vermoͤgen des Schlagaderblutes. Er zei- get, daß beide Kraͤfte wechſelsweiſe ſich in dem Herzen befinden, und daſſelbe wieder verlaſſen. Man ſezze al- ſo, es ziehe ſich in dieſem Augenblikke das Herz zuſam- men, wie die Muskeln zu thun pflegen. Solchergeſtalt fuͤllet es die zwo groſſe Schlagadern an, die aus dem Her- zen herauskommen, und druͤkket dieſelben ſo zuſammen, daß ſie ſich mit einander beruͤhren. Nun laufen aber die vornehmſten Herznerven zwiſchen dieſen Schlagadern hin: hieraus folget alſo, daß ſie zwiſchen dieſen beiden
aus-
(i)[Spaltenumbruch]De apoplexia I. c. 16.
(k)[Spaltenumbruch]Inſtit. rei medic. n. 409.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f1014"n="958"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Viertes Buch. Das Herz.</hi></fw><lb/><p>Dominicus <hirendition="#fr">Mistichellius</hi><noteplace="foot"n="(i)"><cb/><hirendition="#aq">De apoplexia I. c.</hi> 16.</note> glaubte, daß ſich die<lb/>
harte Gehirnhaut, nach der Meinung des <hirendition="#fr">Pacchionus</hi><lb/>
und <hirendition="#fr">Baglivius,</hi> bewege, und die Lebensgeiſter forttrei-<lb/>
be, und leitete alſo daraus einen Gegenkampf zwiſchen<lb/>
dem Herzen und dieſer harten Gehirnhaut her. Er nahm<lb/>
alſo an, daß das zuſammengezogene Herz das Blut wech-<lb/>ſelsweiſe in das Gehirn triebe, den Widerſtand der har-<lb/>
ten Membrane uͤberwaͤltige, und dieſelbe ausdehne. So<lb/>
bald aber dieſe Membrane wieder ſchlaff wuͤrde, ſo wuͤr-<lb/>
de auch diejenige Kraft hinweggenommen, welche das<lb/>
Herz mit der geiſtigen Fluͤßigkeit verſorge, und daher<lb/>
muͤſſe alſo nothwendig das Herz bald hernach wieder<lb/>ſchlaff werden, weil es weiter keinen Vorrath von denen<lb/>
Nerven erhielte. Solchemnach ziehe ſich die ſich ſelbſt<lb/>
uͤberlaſſene harte Gehirnhaut, vermittelſt ihrer eigenen<lb/>
angebornen Kraft, wieder zuſammen, und ſende dem Her-<lb/>
zen einen neuen Vorrath von geiſtiger Fluͤßigkeit zu, wel-<lb/>
che die Faſern dieſes Muskels wieder zur Zuſammenzie-<lb/>
hung antriebe.</p><lb/><p>Es hat ferner unſer Lehrer <hirendition="#fr">Boerhaave</hi><noteplace="foot"n="(k)"><cb/><hirendition="#aq">Inſtit. rei medic. n.</hi> 409.</note>, die Ver-<lb/>ſuche und Lehrarten derer vorigen phiſiologiſchen Schrift-<lb/>ſteller, wie er ſonſt oͤfters zu thun iſt gewohnt geweſen,<lb/>
mit einander zu vereinigen geſucht. Er nimmt naͤmlich<lb/>
eine doppelte Urſache zum Herzſchlage an, die Nerven-<lb/>
kraft, und das Vermoͤgen des Schlagaderblutes. Er zei-<lb/>
get, daß beide Kraͤfte wechſelsweiſe ſich in dem Herzen<lb/>
befinden, und daſſelbe wieder verlaſſen. Man ſezze al-<lb/>ſo, es ziehe ſich in dieſem Augenblikke das Herz zuſam-<lb/>
men, wie die Muskeln zu thun pflegen. Solchergeſtalt<lb/>
fuͤllet es die zwo groſſe Schlagadern an, die aus dem Her-<lb/>
zen herauskommen, und druͤkket dieſelben ſo zuſammen,<lb/>
daß ſie ſich mit einander beruͤhren. Nun laufen aber die<lb/>
vornehmſten Herznerven zwiſchen dieſen Schlagadern<lb/>
hin: hieraus folget alſo, daß ſie zwiſchen dieſen beiden<lb/><fwplace="bottom"type="catch">aus-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[958/1014]
Viertes Buch. Das Herz.
Dominicus Mistichellius (i) glaubte, daß ſich die
harte Gehirnhaut, nach der Meinung des Pacchionus
und Baglivius, bewege, und die Lebensgeiſter forttrei-
be, und leitete alſo daraus einen Gegenkampf zwiſchen
dem Herzen und dieſer harten Gehirnhaut her. Er nahm
alſo an, daß das zuſammengezogene Herz das Blut wech-
ſelsweiſe in das Gehirn triebe, den Widerſtand der har-
ten Membrane uͤberwaͤltige, und dieſelbe ausdehne. So
bald aber dieſe Membrane wieder ſchlaff wuͤrde, ſo wuͤr-
de auch diejenige Kraft hinweggenommen, welche das
Herz mit der geiſtigen Fluͤßigkeit verſorge, und daher
muͤſſe alſo nothwendig das Herz bald hernach wieder
ſchlaff werden, weil es weiter keinen Vorrath von denen
Nerven erhielte. Solchemnach ziehe ſich die ſich ſelbſt
uͤberlaſſene harte Gehirnhaut, vermittelſt ihrer eigenen
angebornen Kraft, wieder zuſammen, und ſende dem Her-
zen einen neuen Vorrath von geiſtiger Fluͤßigkeit zu, wel-
che die Faſern dieſes Muskels wieder zur Zuſammenzie-
hung antriebe.
Es hat ferner unſer Lehrer Boerhaave (k), die Ver-
ſuche und Lehrarten derer vorigen phiſiologiſchen Schrift-
ſteller, wie er ſonſt oͤfters zu thun iſt gewohnt geweſen,
mit einander zu vereinigen geſucht. Er nimmt naͤmlich
eine doppelte Urſache zum Herzſchlage an, die Nerven-
kraft, und das Vermoͤgen des Schlagaderblutes. Er zei-
get, daß beide Kraͤfte wechſelsweiſe ſich in dem Herzen
befinden, und daſſelbe wieder verlaſſen. Man ſezze al-
ſo, es ziehe ſich in dieſem Augenblikke das Herz zuſam-
men, wie die Muskeln zu thun pflegen. Solchergeſtalt
fuͤllet es die zwo groſſe Schlagadern an, die aus dem Her-
zen herauskommen, und druͤkket dieſelben ſo zuſammen,
daß ſie ſich mit einander beruͤhren. Nun laufen aber die
vornehmſten Herznerven zwiſchen dieſen Schlagadern
hin: hieraus folget alſo, daß ſie zwiſchen dieſen beiden
aus-
(i)
De apoplexia I. c. 16.
(k)
Inſtit. rei medic. n. 409.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. 958. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/1014>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.