Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hahn, Alban von: Der Verkehr in der Guten Gesellschaft. 2. Auflage. Leipzig, ca. 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

sein, sich eine eigne Meinung zu bilden; man soll sie aber nicht von vornherein als unumstößlich hinstellen, sondern soll sich zu belehren suchen und sich belehren lassen, wo man nur kann. Schon aus praktischen Gründen müßte man solch absolutes Gebaren vermeiden, denn gerade diejenigen, welche nur ihre Auffassung als die einzig richtige hinstellen, sind gewöhnlich die, welche alle vier Wochen ihre Ansicht ändern; und welche Beschämung ist es dann für sie, wenn sie darauf aufmerksam gemacht werden, wie sie vor kürzester Zeit gerade das Gegenteil von dem, was sie heute aufstellten, behauptet haben. Aber es ist ein Zeichen der Zeit, dieses Fehlen jeglicher Pietät dem Bestehenden, Bewährten gegenüber und dieses unbarmherzige Verurteilen jeder andern Bethätigung, mit der man nicht ganz einverstanden ist, jeder andern Ansicht überhaupt, ohne daß man dazu durch Studien, Kenntnisse und Erfahrungen berechtigt ist. Abgesehen davon, daß sich ein junger Mann, der, anstatt seine Meinung zu äußern, ein Urteil fällt, im Kreis älterer Personen stets lächerlich macht, wird er sich kaum irgendwo durch seine Unbescheidenheit Sympathien erwerben und bald genug aus der Gesellschaft, die sich sein jungenhaftes Benehmen

sein, sich eine eigne Meinung zu bilden; man soll sie aber nicht von vornherein als unumstößlich hinstellen, sondern soll sich zu belehren suchen und sich belehren lassen, wo man nur kann. Schon aus praktischen Gründen müßte man solch absolutes Gebaren vermeiden, denn gerade diejenigen, welche nur ihre Auffassung als die einzig richtige hinstellen, sind gewöhnlich die, welche alle vier Wochen ihre Ansicht ändern; und welche Beschämung ist es dann für sie, wenn sie darauf aufmerksam gemacht werden, wie sie vor kürzester Zeit gerade das Gegenteil von dem, was sie heute aufstellten, behauptet haben. Aber es ist ein Zeichen der Zeit, dieses Fehlen jeglicher Pietät dem Bestehenden, Bewährten gegenüber und dieses unbarmherzige Verurteilen jeder andern Bethätigung, mit der man nicht ganz einverstanden ist, jeder andern Ansicht überhaupt, ohne daß man dazu durch Studien, Kenntnisse und Erfahrungen berechtigt ist. Abgesehen davon, daß sich ein junger Mann, der, anstatt seine Meinung zu äußern, ein Urteil fällt, im Kreis älterer Personen stets lächerlich macht, wird er sich kaum irgendwo durch seine Unbescheidenheit Sympathien erwerben und bald genug aus der Gesellschaft, die sich sein jungenhaftes Benehmen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0196" n="186"/>
sein, sich eine eigne Meinung zu bilden; man soll sie aber nicht von vornherein als unumstößlich hinstellen, sondern soll sich zu belehren suchen und sich belehren lassen, wo man nur kann. Schon aus praktischen Gründen müßte man solch absolutes Gebaren vermeiden, denn gerade diejenigen, welche nur <hi rendition="#g">ihre</hi> Auffassung als die einzig richtige hinstellen, sind gewöhnlich die, welche alle vier Wochen ihre Ansicht ändern; und welche Beschämung ist es dann für sie, wenn sie darauf aufmerksam gemacht werden, wie sie vor kürzester Zeit gerade das Gegenteil von dem, was sie heute aufstellten, behauptet haben. Aber es ist ein Zeichen der Zeit, dieses Fehlen jeglicher Pietät dem Bestehenden, Bewährten gegenüber und dieses unbarmherzige Verurteilen jeder andern Bethätigung, mit der man nicht ganz einverstanden ist, jeder andern Ansicht überhaupt, ohne daß man dazu durch Studien, Kenntnisse und Erfahrungen berechtigt ist. Abgesehen davon, daß sich ein junger Mann, der, anstatt seine Meinung zu äußern, ein Urteil fällt, im Kreis älterer Personen stets lächerlich macht, wird er sich kaum irgendwo durch seine Unbescheidenheit Sympathien erwerben und bald genug aus der Gesellschaft, die sich sein jungenhaftes Benehmen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[186/0196] sein, sich eine eigne Meinung zu bilden; man soll sie aber nicht von vornherein als unumstößlich hinstellen, sondern soll sich zu belehren suchen und sich belehren lassen, wo man nur kann. Schon aus praktischen Gründen müßte man solch absolutes Gebaren vermeiden, denn gerade diejenigen, welche nur ihre Auffassung als die einzig richtige hinstellen, sind gewöhnlich die, welche alle vier Wochen ihre Ansicht ändern; und welche Beschämung ist es dann für sie, wenn sie darauf aufmerksam gemacht werden, wie sie vor kürzester Zeit gerade das Gegenteil von dem, was sie heute aufstellten, behauptet haben. Aber es ist ein Zeichen der Zeit, dieses Fehlen jeglicher Pietät dem Bestehenden, Bewährten gegenüber und dieses unbarmherzige Verurteilen jeder andern Bethätigung, mit der man nicht ganz einverstanden ist, jeder andern Ansicht überhaupt, ohne daß man dazu durch Studien, Kenntnisse und Erfahrungen berechtigt ist. Abgesehen davon, daß sich ein junger Mann, der, anstatt seine Meinung zu äußern, ein Urteil fällt, im Kreis älterer Personen stets lächerlich macht, wird er sich kaum irgendwo durch seine Unbescheidenheit Sympathien erwerben und bald genug aus der Gesellschaft, die sich sein jungenhaftes Benehmen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-03-19T14:09:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-03-19T14:09:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-03-19T14:09:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hahn_verkehr_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hahn_verkehr_1898/196
Zitationshilfe: Hahn, Alban von: Der Verkehr in der Guten Gesellschaft. 2. Auflage. Leipzig, ca. 1898, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hahn_verkehr_1898/196>, abgerufen am 24.11.2024.