Hagenauer, Arnold: Muspilli. Linz u. a., 1900.Eine zugeschlagene Thür wirft deine ganze, gottähnliche Nichtbeachtung alles dessen, was die Welt gegen dich ausspielen könnte, über den Haufen. So geh denn zugrunde! Dir werde dein Recht! 22. Und nun gab es zwischen mir und Ernst nur noch einen versteckten Kampf, der lediglich darauf ausgieng, die nun unnütze, noch nicht ganz überwundene Leidenschaft vollends zu tödten. Er begann mich zu hassen, und ich wurde in einem Ocean von unendlicher, idealer, mystischer, transcendentaler, geschlechtsloser Liebe und blutigem Haß herumgetrieben. Bald stürzten die blaßlilafarbenen Wogen dieser süßen, ekstatischen Leidenschaft über mich fort, auf deren Silberkämmen wie bleiche, stumme Seerosen Erinnerungen schwammen, dann stiegen Blutströme bis zu den breiten Hüften, aus denen die Mannbarkeit entschwunden war, seit eine Liebe, eine Eucharistie über mein Ich herrschte, welche dieselbe Kraft besaß, wie jene grenzenlose Hingabe an den gekreuzigten Heiland, der nur Cherubim lieben darf. O, diese Farben, diese Töne, diese Gesichte, die ich sah, hörte und empfand! Eine zugeschlagene Thür wirft deine ganze, gottähnliche Nichtbeachtung alles dessen, was die Welt gegen dich ausspielen könnte, über den Haufen. So geh denn zugrunde! Dir werde dein Recht! 22. Und nun gab es zwischen mir und Ernst nur noch einen versteckten Kampf, der lediglich darauf ausgieng, die nun unnütze, noch nicht ganz überwundene Leidenschaft vollends zu tödten. Er begann mich zu hassen, und ich wurde in einem Ocean von unendlicher, idealer, mystischer, transcendentaler, geschlechtsloser Liebe und blutigem Haß herumgetrieben. Bald stürzten die blaßlilafarbenen Wogen dieser süßen, ekstatischen Leidenschaft über mich fort, auf deren Silberkämmen wie bleiche, stumme Seerosen Erinnerungen schwammen, dann stiegen Blutströme bis zu den breiten Hüften, aus denen die Mannbarkeit entschwunden war, seit eine Liebe, eine Eucharistie über mein Ich herrschte, welche dieselbe Kraft besaß, wie jene grenzenlose Hingabe an den gekreuzigten Heiland, der nur Cherubim lieben darf. O, diese Farben, diese Töne, diese Gesichte, die ich sah, hörte und empfand! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0092" n="94"/> <p>Eine zugeschlagene Thür wirft deine ganze, gottähnliche Nichtbeachtung alles dessen, was die Welt gegen dich ausspielen könnte, über den Haufen.</p> <p>So geh denn zugrunde!</p> <p>Dir werde dein Recht!</p> </div> <div n="2"> <head>22.</head><lb/> <p>Und nun gab es zwischen mir und Ernst nur noch einen versteckten Kampf, der lediglich darauf ausgieng, die nun unnütze, noch nicht ganz überwundene Leidenschaft vollends zu tödten.</p> <p>Er begann mich zu hassen, und ich wurde in einem Ocean von unendlicher, idealer, mystischer, transcendentaler, geschlechtsloser Liebe und blutigem Haß herumgetrieben. Bald stürzten die blaßlilafarbenen Wogen dieser süßen, ekstatischen Leidenschaft über mich fort, auf deren Silberkämmen wie bleiche, stumme Seerosen Erinnerungen schwammen, dann stiegen Blutströme bis zu den breiten Hüften, aus denen die Mannbarkeit entschwunden war, seit eine Liebe, eine Eucharistie über mein Ich herrschte, welche dieselbe Kraft besaß, wie jene grenzenlose Hingabe an den gekreuzigten Heiland, der nur Cherubim lieben darf. O, diese Farben, diese Töne, diese Gesichte, die ich sah, hörte und empfand!</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [94/0092]
Eine zugeschlagene Thür wirft deine ganze, gottähnliche Nichtbeachtung alles dessen, was die Welt gegen dich ausspielen könnte, über den Haufen.
So geh denn zugrunde!
Dir werde dein Recht!
22.
Und nun gab es zwischen mir und Ernst nur noch einen versteckten Kampf, der lediglich darauf ausgieng, die nun unnütze, noch nicht ganz überwundene Leidenschaft vollends zu tödten.
Er begann mich zu hassen, und ich wurde in einem Ocean von unendlicher, idealer, mystischer, transcendentaler, geschlechtsloser Liebe und blutigem Haß herumgetrieben. Bald stürzten die blaßlilafarbenen Wogen dieser süßen, ekstatischen Leidenschaft über mich fort, auf deren Silberkämmen wie bleiche, stumme Seerosen Erinnerungen schwammen, dann stiegen Blutströme bis zu den breiten Hüften, aus denen die Mannbarkeit entschwunden war, seit eine Liebe, eine Eucharistie über mein Ich herrschte, welche dieselbe Kraft besaß, wie jene grenzenlose Hingabe an den gekreuzigten Heiland, der nur Cherubim lieben darf. O, diese Farben, diese Töne, diese Gesichte, die ich sah, hörte und empfand!
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Zitationshilfe: | Hagenauer, Arnold: Muspilli. Linz u. a., 1900, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900/92>, abgerufen am 16.02.2025. |