Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hagenauer, Arnold: Muspilli. Linz u. a., 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich: "Ernst!"

Er: "Diese Angst an Dir ist mir neu."

Ich: "Übrigens würde ich - nicht - so sagen, so würde Büchner sprechen, dieser akademische Ritter von der traurigen Gestalt."

Er (mit dem Finger drohend): "Wieder eins Deiner apodiktischen Urtheile."

Ich: "Hör mal', jetzt laß uns ganz vom Philisterstandpunkt aus reden. Leben läßt sich ja doch nur als Philister, Du wirst mir doch nicht einreden wollen, daß ich leben könnte, zugegeben das Unmögliche, daß mich die Gesellschaft unter sich duldete, wenn ich die Producte meines Gedachten in Thaten umsetzte. Vielleicht wird dieses einmal geschehen, aber dann ist es Zufall oder Nervenreflex, dann werden sie mich wahrscheinlich hängen, denn dann habe ich nach der jetzt herrschenden Ansicht ein Verbrechen begangen. Die Sünde aber ist nur im Gedanken. Wird der Gedanke zur That, so ist es eben entweder Zufall, oder der Körper hat das nachgespielt, was der Dichter "Gedanke" zuerst schuf.

Also vom Standpunkt des Philisters.

Du hast wohl Pflichten gegen Dich selbst, aber die kümmern nur Dich und gipfeln schließlich im Egoismus, im eigenen Wohlbefinden. Und da kann ja

Ich: „Ernst!“

Er: „Diese Angst an Dir ist mir neu.“

Ich: „Übrigens würde ich – nicht – so sagen, so würde Büchner sprechen, dieser akademische Ritter von der traurigen Gestalt.“

Er (mit dem Finger drohend): „Wieder eins Deiner apodiktischen Urtheile.“

Ich: „Hör mal’, jetzt laß uns ganz vom Philisterstandpunkt aus reden. Leben läßt sich ja doch nur als Philister, Du wirst mir doch nicht einreden wollen, daß ich leben könnte, zugegeben das Unmögliche, daß mich die Gesellschaft unter sich duldete, wenn ich die Producte meines Gedachten in Thaten umsetzte. Vielleicht wird dieses einmal geschehen, aber dann ist es Zufall oder Nervenreflex, dann werden sie mich wahrscheinlich hängen, denn dann habe ich nach der jetzt herrschenden Ansicht ein Verbrechen begangen. Die Sünde aber ist nur im Gedanken. Wird der Gedanke zur That, so ist es eben entweder Zufall, oder der Körper hat das nachgespielt, was der Dichter „Gedanke“ zuerst schuf.

Also vom Standpunkt des Philisters.

Du hast wohl Pflichten gegen Dich selbst, aber die kümmern nur Dich und gipfeln schließlich im Egoismus, im eigenen Wohlbefinden. Und da kann ja

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0061" n="63"/>
Ich: &#x201E;Ernst!&#x201C;</p>
          <p>Er: &#x201E;Diese Angst an Dir ist mir neu.&#x201C;</p>
          <p>Ich: &#x201E;Übrigens würde ich &#x2013; nicht &#x2013; so sagen, so würde Büchner sprechen, dieser akademische Ritter von der traurigen Gestalt.&#x201C;</p>
          <p>Er (mit dem Finger drohend): &#x201E;Wieder eins Deiner apodiktischen Urtheile.&#x201C;</p>
          <p>Ich: &#x201E;Hör mal&#x2019;, jetzt laß uns ganz vom Philisterstandpunkt aus reden. <hi rendition="#g">Leben</hi> läßt sich ja doch nur als Philister, Du wirst mir doch nicht einreden wollen, daß ich leben könnte, zugegeben das Unmögliche, daß mich die Gesellschaft unter sich duldete, wenn ich die Producte meines Gedachten in Thaten umsetzte. Vielleicht wird dieses einmal geschehen, aber dann ist es Zufall oder Nervenreflex, dann werden sie mich wahrscheinlich hängen, denn dann habe ich nach der jetzt herrschenden Ansicht ein Verbrechen begangen. Die Sünde aber ist nur im Gedanken. Wird der Gedanke zur That, so ist es eben entweder Zufall, oder der Körper hat das nachgespielt, was der Dichter &#x201E;Gedanke&#x201C; zuerst schuf.</p>
          <p>Also vom Standpunkt des Philisters.</p>
          <p>Du hast wohl Pflichten gegen Dich selbst, aber die kümmern nur Dich und gipfeln schließlich im Egoismus, im eigenen Wohlbefinden. Und da kann ja
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0061] Ich: „Ernst!“ Er: „Diese Angst an Dir ist mir neu.“ Ich: „Übrigens würde ich – nicht – so sagen, so würde Büchner sprechen, dieser akademische Ritter von der traurigen Gestalt.“ Er (mit dem Finger drohend): „Wieder eins Deiner apodiktischen Urtheile.“ Ich: „Hör mal’, jetzt laß uns ganz vom Philisterstandpunkt aus reden. Leben läßt sich ja doch nur als Philister, Du wirst mir doch nicht einreden wollen, daß ich leben könnte, zugegeben das Unmögliche, daß mich die Gesellschaft unter sich duldete, wenn ich die Producte meines Gedachten in Thaten umsetzte. Vielleicht wird dieses einmal geschehen, aber dann ist es Zufall oder Nervenreflex, dann werden sie mich wahrscheinlich hängen, denn dann habe ich nach der jetzt herrschenden Ansicht ein Verbrechen begangen. Die Sünde aber ist nur im Gedanken. Wird der Gedanke zur That, so ist es eben entweder Zufall, oder der Körper hat das nachgespielt, was der Dichter „Gedanke“ zuerst schuf. Also vom Standpunkt des Philisters. Du hast wohl Pflichten gegen Dich selbst, aber die kümmern nur Dich und gipfeln schließlich im Egoismus, im eigenen Wohlbefinden. Und da kann ja

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900/61
Zitationshilfe: Hagenauer, Arnold: Muspilli. Linz u. a., 1900, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900/61>, abgerufen am 25.11.2024.