Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hagenauer, Arnold: Muspilli. Linz u. a., 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

mein Gesicht hübscher als das seine. Aber ich war schwach gebaut, stets krankhaft blaß, mit glanzlosen, matten Augen, meine Stimme immer trüb und müde. Er kräftig und muskelschön, wie ein Athlet, mit frischem, rothem, gesundem Antlitz, vollem und doch weichem Bart, blauen, blitzenden Augen. Und seine sonore, klangvolle Stimme schmeichelte sich so leicht ein, nahm den Hörer so willenlos gefangen. Ich kam mir neben ihm vor, wie einer, der auf Mensur treten muß, wohl wissend, daß ihn sein Gegner jämmerlich verhauen wird. Ein Solcher haßt dann instinctiv, wider seinen Willen.

Es war kurz vor Ostern. Wir waren zusammen allein und langweilten uns beide. Ernst schlug vor, den Abend auswärts zu verbringen. Ich fühlte mich immer ihm gegenüber verpflichtet, und so sagte ich zu. Wir soupierten zusammen und giengen dann ins Chantant. Er war heiter, ungezwungen, liebenswürdig. Plötzlich kam ihm die Idee, wir sollten mitsammen eine recht verrückte Orgie der Erotik ausführen. Also mit ihm hinab in den Koth! Brrr!

Ich hatte nie Schiller'sche Ideen gehabt. Mir war nichts ein Götterfunke. Und die Freude hatte sich mir als Pariser-Grisette, nicht als Tochter aus dem Elysium, vorgestellt. Aber wenn ich ihn gern

mein Gesicht hübscher als das seine. Aber ich war schwach gebaut, stets krankhaft blaß, mit glanzlosen, matten Augen, meine Stimme immer trüb und müde. Er kräftig und muskelschön, wie ein Athlet, mit frischem, rothem, gesundem Antlitz, vollem und doch weichem Bart, blauen, blitzenden Augen. Und seine sonore, klangvolle Stimme schmeichelte sich so leicht ein, nahm den Hörer so willenlos gefangen. Ich kam mir neben ihm vor, wie einer, der auf Mensur treten muß, wohl wissend, daß ihn sein Gegner jämmerlich verhauen wird. Ein Solcher haßt dann instinctiv, wider seinen Willen.

Es war kurz vor Ostern. Wir waren zusammen allein und langweilten uns beide. Ernst schlug vor, den Abend auswärts zu verbringen. Ich fühlte mich immer ihm gegenüber verpflichtet, und so sagte ich zu. Wir soupierten zusammen und giengen dann ins Chantant. Er war heiter, ungezwungen, liebenswürdig. Plötzlich kam ihm die Idee, wir sollten mitsammen eine recht verrückte Orgie der Erotik ausführen. Also mit ihm hinab in den Koth! Brrr!

Ich hatte nie Schiller’sche Ideen gehabt. Mir war nichts ein Götterfunke. Und die Freude hatte sich mir als Pariser-Grisette, nicht als Tochter aus dem Elysium, vorgestellt. Aber wenn ich ihn gern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0021" n="23"/>
mein Gesicht hübscher als das seine. Aber ich war schwach gebaut, stets krankhaft blaß, mit glanzlosen, matten Augen, meine Stimme immer trüb und müde. Er kräftig und muskelschön, wie ein Athlet, mit frischem, rothem, gesundem Antlitz, vollem und doch weichem Bart, blauen, blitzenden Augen. Und seine sonore, klangvolle Stimme schmeichelte sich so leicht ein, nahm den Hörer so willenlos gefangen. Ich kam mir neben ihm vor, wie einer, der auf Mensur treten muß, wohl wissend, daß ihn sein Gegner jämmerlich verhauen wird. Ein Solcher haßt dann instinctiv, wider seinen Willen.</p>
          <p>Es war kurz vor Ostern. Wir waren zusammen allein und langweilten uns beide. Ernst schlug vor, den Abend auswärts zu verbringen. Ich fühlte mich immer ihm gegenüber verpflichtet, und so sagte ich zu. Wir soupierten zusammen und giengen dann ins Chantant. Er war heiter, ungezwungen, liebenswürdig. Plötzlich kam ihm die Idee, wir sollten mitsammen eine recht verrückte Orgie der Erotik ausführen. Also mit ihm hinab in den Koth! Brrr!</p>
          <p>Ich hatte nie Schiller&#x2019;sche Ideen gehabt. Mir war nichts ein Götterfunke. Und die Freude hatte sich mir als Pariser-Grisette, nicht als Tochter aus dem Elysium, vorgestellt. Aber wenn ich ihn gern
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0021] mein Gesicht hübscher als das seine. Aber ich war schwach gebaut, stets krankhaft blaß, mit glanzlosen, matten Augen, meine Stimme immer trüb und müde. Er kräftig und muskelschön, wie ein Athlet, mit frischem, rothem, gesundem Antlitz, vollem und doch weichem Bart, blauen, blitzenden Augen. Und seine sonore, klangvolle Stimme schmeichelte sich so leicht ein, nahm den Hörer so willenlos gefangen. Ich kam mir neben ihm vor, wie einer, der auf Mensur treten muß, wohl wissend, daß ihn sein Gegner jämmerlich verhauen wird. Ein Solcher haßt dann instinctiv, wider seinen Willen. Es war kurz vor Ostern. Wir waren zusammen allein und langweilten uns beide. Ernst schlug vor, den Abend auswärts zu verbringen. Ich fühlte mich immer ihm gegenüber verpflichtet, und so sagte ich zu. Wir soupierten zusammen und giengen dann ins Chantant. Er war heiter, ungezwungen, liebenswürdig. Plötzlich kam ihm die Idee, wir sollten mitsammen eine recht verrückte Orgie der Erotik ausführen. Also mit ihm hinab in den Koth! Brrr! Ich hatte nie Schiller’sche Ideen gehabt. Mir war nichts ein Götterfunke. Und die Freude hatte sich mir als Pariser-Grisette, nicht als Tochter aus dem Elysium, vorgestellt. Aber wenn ich ihn gern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900/21
Zitationshilfe: Hagenauer, Arnold: Muspilli. Linz u. a., 1900, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900/21>, abgerufen am 22.11.2024.