Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Menschen und Menschenaffen. II.
Gestaltung des Körpers (besonders des Kopfes), sondern auch
durch besondere Merkmale, die an sich unbedeutend, aber wegen
ihrer Beständigkeit wichtig sind. Das Kreuzbein ist bei den
Menschenaffen, wie beim Menschen, aus fünf verschmolzenen
Wirbeln zusammengesetzt, dagegen bei den Hundsaffen nur aus
drei (seltener vier) Kreuzwirbeln. Im Gebiß der Cyno-
pitheken
sind die Lückenzähne (Praemolares) länger als breit,
in demjenigen der Anthropomorphen breiter als lang; und
der erste Mahlzahn (Molaris) zeigt bei den ersteren vier, bei den
letzteren dagegen fünf Höcker. Ferner ist im Unterkiefer jeder-
seits bei den Menschenaffen, wie beim Menschen, der äußere
Schneidezahn breiter als der innere, bei den Hundsaffen um-
gekehrt schmäler. Endlich ist von besonderer Bedeutung die
wichtige, erst 1890 durch Selenka festgestellte Thatsache, daß
die Menschenaffen mit dem Menschen auch die eigenthümlichen
feineren Bildungsverhältnisse seiner scheibenförmigen Placenta,
der Decidua reflexa und des Bauchstiels theilen (vergl.
Kap. 4)*). Uebrigens ergiebt schon die oberflächliche Vergleichung
der Körperform der heute noch lebenden Anthropomorphen, daß
sowohl die asiatischen Vertreter dieser Gruppe (Orang und
Gibbon) als die afrikanischen Vertreter (Gorilla und Schimpanse)
dem Menschen im gesammten Körperbau näher stehen als sämmt-
liche Cynopitheken. Unter diesen letzteren stehen namentlich die
hundsköpfigen Papstaffen (Papiomorpha), die Paviane und
Meerkatzen, auf einer sehr tiefen Bildungsstufe. Der anatomische
Unterschied zwischen diesen rohen Papstaffen und den höchst ent-
wickelten Menschenaffen ist in jeder Beziehung -- welches Organ
man auch vergleichen mag! -- größer als derjenige zwischen
den letzteren und dem Menschen. Diese lehrreiche Thatsache
wurde besonders eingehend (1883) von dem Anatomen Robert

*) E. Haeckel, Anthropogenie 1891, IV. Aufl., S. 599.

Menſchen und Menſchenaffen. II.
Geſtaltung des Körpers (beſonders des Kopfes), ſondern auch
durch beſondere Merkmale, die an ſich unbedeutend, aber wegen
ihrer Beſtändigkeit wichtig ſind. Das Kreuzbein iſt bei den
Menſchenaffen, wie beim Menſchen, aus fünf verſchmolzenen
Wirbeln zuſammengeſetzt, dagegen bei den Hundsaffen nur aus
drei (ſeltener vier) Kreuzwirbeln. Im Gebiß der Cyno-
pitheken
ſind die Lückenzähne (Praemolareſ) länger als breit,
in demjenigen der Anthropomorphen breiter als lang; und
der erſte Mahlzahn (Molariſ) zeigt bei den erſteren vier, bei den
letzteren dagegen fünf Höcker. Ferner iſt im Unterkiefer jeder-
ſeits bei den Menſchenaffen, wie beim Menſchen, der äußere
Schneidezahn breiter als der innere, bei den Hundsaffen um-
gekehrt ſchmäler. Endlich iſt von beſonderer Bedeutung die
wichtige, erſt 1890 durch Selenka feſtgeſtellte Thatſache, daß
die Menſchenaffen mit dem Menſchen auch die eigenthümlichen
feineren Bildungsverhältniſſe ſeiner ſcheibenförmigen Placenta,
der Decidua reflexa und des Bauchſtiels theilen (vergl.
Kap. 4)*). Uebrigens ergiebt ſchon die oberflächliche Vergleichung
der Körperform der heute noch lebenden Anthropomorphen, daß
ſowohl die aſiatiſchen Vertreter dieſer Gruppe (Orang und
Gibbon) als die afrikaniſchen Vertreter (Gorilla und Schimpanſe)
dem Menſchen im geſammten Körperbau näher ſtehen als ſämmt-
liche Cynopitheken. Unter dieſen letzteren ſtehen namentlich die
hundsköpfigen Papſtaffen (Papiomorpha), die Paviane und
Meerkatzen, auf einer ſehr tiefen Bildungsſtufe. Der anatomiſche
Unterſchied zwiſchen dieſen rohen Papſtaffen und den höchſt ent-
wickelten Menſchenaffen iſt in jeder Beziehung — welches Organ
man auch vergleichen mag! — größer als derjenige zwiſchen
den letzteren und dem Menſchen. Dieſe lehrreiche Thatſache
wurde beſonders eingehend (1883) von dem Anatomen Robert

*) E. Haeckel, Anthropogenie 1891, IV. Aufl., S. 599.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0058" n="42"/><fw place="top" type="header">Men&#x017F;chen und Men&#x017F;chenaffen. <hi rendition="#aq">II.</hi></fw><lb/>
Ge&#x017F;taltung des Körpers (be&#x017F;onders des Kopfes), &#x017F;ondern auch<lb/>
durch be&#x017F;ondere Merkmale, die an &#x017F;ich unbedeutend, aber wegen<lb/>
ihrer Be&#x017F;tändigkeit wichtig &#x017F;ind. Das Kreuzbein i&#x017F;t bei den<lb/>
Men&#x017F;chenaffen, wie beim Men&#x017F;chen, aus fünf ver&#x017F;chmolzenen<lb/>
Wirbeln zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt, dagegen bei den Hundsaffen nur aus<lb/>
drei (&#x017F;eltener vier) Kreuzwirbeln. Im Gebiß der <hi rendition="#g">Cyno-<lb/>
pitheken</hi> &#x017F;ind die Lückenzähne <hi rendition="#aq">(Praemolare&#x017F;)</hi> länger als breit,<lb/>
in demjenigen der <hi rendition="#g">Anthropomorphen</hi> breiter als lang; und<lb/>
der er&#x017F;te Mahlzahn <hi rendition="#aq">(Molari&#x017F;)</hi> zeigt bei den er&#x017F;teren vier, bei den<lb/>
letzteren dagegen fünf Höcker. Ferner i&#x017F;t im Unterkiefer jeder-<lb/>
&#x017F;eits bei den Men&#x017F;chenaffen, wie beim Men&#x017F;chen, der äußere<lb/>
Schneidezahn breiter als der innere, bei den Hundsaffen um-<lb/>
gekehrt &#x017F;chmäler. Endlich i&#x017F;t von be&#x017F;onderer Bedeutung die<lb/>
wichtige, er&#x017F;t 1890 durch <hi rendition="#g">Selenka</hi> fe&#x017F;tge&#x017F;tellte That&#x017F;ache, daß<lb/>
die Men&#x017F;chenaffen mit dem Men&#x017F;chen auch die eigenthümlichen<lb/>
feineren Bildungsverhältni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;einer &#x017F;cheibenförmigen <hi rendition="#aq">Placenta</hi>,<lb/>
der <hi rendition="#aq">Decidua reflexa</hi> und des Bauch&#x017F;tiels theilen (vergl.<lb/>
Kap. 4)<note place="foot" n="*)">E. <hi rendition="#g">Haeckel</hi>, Anthropogenie 1891, <hi rendition="#aq">IV.</hi> Aufl., S. 599.</note>. Uebrigens ergiebt &#x017F;chon die oberflächliche Vergleichung<lb/>
der Körperform der heute noch lebenden Anthropomorphen, daß<lb/>
&#x017F;owohl die a&#x017F;iati&#x017F;chen Vertreter die&#x017F;er Gruppe (Orang und<lb/>
Gibbon) als die afrikani&#x017F;chen Vertreter (Gorilla und Schimpan&#x017F;e)<lb/>
dem Men&#x017F;chen im ge&#x017F;ammten Körperbau näher &#x017F;tehen als &#x017F;ämmt-<lb/>
liche Cynopitheken. Unter die&#x017F;en letzteren &#x017F;tehen namentlich die<lb/>
hundsköpfigen <hi rendition="#g">Pap&#x017F;taffen</hi> <hi rendition="#aq">(Papiomorpha)</hi>, die Paviane und<lb/>
Meerkatzen, auf einer &#x017F;ehr tiefen Bildungs&#x017F;tufe. Der anatomi&#x017F;che<lb/>
Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen die&#x017F;en rohen Pap&#x017F;taffen und den höch&#x017F;t ent-<lb/>
wickelten Men&#x017F;chenaffen i&#x017F;t in jeder Beziehung &#x2014; welches Organ<lb/>
man auch vergleichen mag! &#x2014; größer als derjenige zwi&#x017F;chen<lb/>
den letzteren und dem Men&#x017F;chen. Die&#x017F;e lehrreiche That&#x017F;ache<lb/>
wurde be&#x017F;onders eingehend (1883) von dem Anatomen <hi rendition="#g">Robert<lb/></hi></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0058] Menſchen und Menſchenaffen. II. Geſtaltung des Körpers (beſonders des Kopfes), ſondern auch durch beſondere Merkmale, die an ſich unbedeutend, aber wegen ihrer Beſtändigkeit wichtig ſind. Das Kreuzbein iſt bei den Menſchenaffen, wie beim Menſchen, aus fünf verſchmolzenen Wirbeln zuſammengeſetzt, dagegen bei den Hundsaffen nur aus drei (ſeltener vier) Kreuzwirbeln. Im Gebiß der Cyno- pitheken ſind die Lückenzähne (Praemolareſ) länger als breit, in demjenigen der Anthropomorphen breiter als lang; und der erſte Mahlzahn (Molariſ) zeigt bei den erſteren vier, bei den letzteren dagegen fünf Höcker. Ferner iſt im Unterkiefer jeder- ſeits bei den Menſchenaffen, wie beim Menſchen, der äußere Schneidezahn breiter als der innere, bei den Hundsaffen um- gekehrt ſchmäler. Endlich iſt von beſonderer Bedeutung die wichtige, erſt 1890 durch Selenka feſtgeſtellte Thatſache, daß die Menſchenaffen mit dem Menſchen auch die eigenthümlichen feineren Bildungsverhältniſſe ſeiner ſcheibenförmigen Placenta, der Decidua reflexa und des Bauchſtiels theilen (vergl. Kap. 4) *). Uebrigens ergiebt ſchon die oberflächliche Vergleichung der Körperform der heute noch lebenden Anthropomorphen, daß ſowohl die aſiatiſchen Vertreter dieſer Gruppe (Orang und Gibbon) als die afrikaniſchen Vertreter (Gorilla und Schimpanſe) dem Menſchen im geſammten Körperbau näher ſtehen als ſämmt- liche Cynopitheken. Unter dieſen letzteren ſtehen namentlich die hundsköpfigen Papſtaffen (Papiomorpha), die Paviane und Meerkatzen, auf einer ſehr tiefen Bildungsſtufe. Der anatomiſche Unterſchied zwiſchen dieſen rohen Papſtaffen und den höchſt ent- wickelten Menſchenaffen iſt in jeder Beziehung — welches Organ man auch vergleichen mag! — größer als derjenige zwiſchen den letzteren und dem Menſchen. Dieſe lehrreiche Thatſache wurde beſonders eingehend (1883) von dem Anatomen Robert *) E. Haeckel, Anthropogenie 1891, IV. Aufl., S. 599.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/58
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/58>, abgerufen am 23.11.2024.