Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Primaten-Natur des Menschen. II. nährung; es besteht aus blutführenden Zotten, welche vonder Zottenhaut (Chorion) der Keimhülle auswachsen und in entsprechende Grübchen der Schleimhaut des mütterlichen Frucht- behälters (Uterus) eindringen; hier wird die zarte Haut zwischen beiden Gebilden so sehr verdünnt, daß unmittelbar die er- nährenden Stoffe aus dem mütterlichen Blute durch dieselbe hindurch in das kindliche Blut übertreten können. Diese vortreffliche, erst spät entstandene Ernährungsart des Keimes ermöglicht demselben einen längeren Aufenthalt und eine weitere Ausbildung in der schützenden Gebärmutter; sie fehlt noch den Implacentalien, den beiden älteren Subklassen der Beutelthiere und Gabelthiere. Aber auch durch andere anatomische Merk- male, insbesondere die höhere Ausbildung des Gehirns und den Verlust der Beutelknochen, erheben sich die Zottenthiere über ihre Implacentalien-Ahnen. In allen diesen wichtigen Be- ziehungen ist der Mensch ein echtes Zottenthier. Primaten-Natur des Menschen. Die formenreiche Sub- *) Systematische Phylogenie, 1896, Teil III, S. 490, 491, 496.
Primaten-Natur des Menſchen. II. nährung; es beſteht aus blutführenden Zotten, welche vonder Zottenhaut (Chorion) der Keimhülle auswachſen und in entſprechende Grübchen der Schleimhaut des mütterlichen Frucht- behälters (Uteruſ) eindringen; hier wird die zarte Haut zwiſchen beiden Gebilden ſo ſehr verdünnt, daß unmittelbar die er- nährenden Stoffe aus dem mütterlichen Blute durch dieſelbe hindurch in das kindliche Blut übertreten können. Dieſe vortreffliche, erſt ſpät entſtandene Ernährungsart des Keimes ermöglicht demſelben einen längeren Aufenthalt und eine weitere Ausbildung in der ſchützenden Gebärmutter; ſie fehlt noch den Implacentalien, den beiden älteren Subklaſſen der Beutelthiere und Gabelthiere. Aber auch durch andere anatomiſche Merk- male, insbeſondere die höhere Ausbildung des Gehirns und den Verluſt der Beutelknochen, erheben ſich die Zottenthiere über ihre Implacentalien-Ahnen. In allen dieſen wichtigen Be- ziehungen iſt der Menſch ein echtes Zottenthier. Primaten-Natur des Menſchen. Die formenreiche Sub- *) Syſtematiſche Phylogenie, 1896, Teil III, S. 490, 491, 496.
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Primaten-Natur des Menſchen. II.
nährung; es beſteht aus blutführenden Zotten, welche von
der Zottenhaut (Chorion) der Keimhülle auswachſen und in
entſprechende Grübchen der Schleimhaut des mütterlichen Frucht-
behälters (Uteruſ) eindringen; hier wird die zarte Haut zwiſchen
beiden Gebilden ſo ſehr verdünnt, daß unmittelbar die er-
nährenden Stoffe aus dem mütterlichen Blute durch dieſelbe
hindurch in das kindliche Blut übertreten können. Dieſe
vortreffliche, erſt ſpät entſtandene Ernährungsart des Keimes
ermöglicht demſelben einen längeren Aufenthalt und eine weitere
Ausbildung in der ſchützenden Gebärmutter; ſie fehlt noch den
Implacentalien, den beiden älteren Subklaſſen der Beutelthiere
und Gabelthiere. Aber auch durch andere anatomiſche Merk-
male, insbeſondere die höhere Ausbildung des Gehirns und den
Verluſt der Beutelknochen, erheben ſich die Zottenthiere über
ihre Implacentalien-Ahnen. In allen dieſen wichtigen Be-
ziehungen iſt der Menſch ein echtes Zottenthier.
Primaten-Natur des Menſchen. Die formenreiche Sub-
klaſſe der Placental-Thiere wird neuerdings in eine große Zahl
von Ordnungen getheilt; gewöhnlich werden deren 10-16
angenommen; wenn man aber die wichtigen, in neueſter Zeit
entdeckten, ausgeſtorbenen Formen gehörig berückſichtigt, ſteigt
ihre Zahl auf mindeſtens 20-26. Zur beſſeren Ueberſicht dieſer
zahlreichen Ordnungen und zur tieferen Einſicht in ihren
verwandtſchaftlichen Zuſammenhang iſt es ſehr wichtig, ſie in
natürliche größere Gruppen zuſammenzuſtellen, denen ich den
Werth von Legionen gegeben habe. In meinem neueſten Ver-
ſuche *), das verwickelte Placentalien-Syſtem phylogenetiſch zu
ordnen, habe ich zur Aufnahme der 26 Ordnungen 8 ſolche
Legionen aufgeſtellt und gezeigt, daß dieſe ſich auf 4 Stamm-
gruppen zurückführen laſſen. Dieſe letzteren ſind wiederum auf
*) Syſtematiſche Phylogenie, 1896, Teil III, S. 490, 491, 496.
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