Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.XVII. Papismus und Christenthum. Menschenliebe im besten und höchsten Sinne des Wortes, allediese wahren Lichtseiten des Christenthums sind zwar nicht von ihm zuerst erfunden und aufgestellt, aber doch erfolgreich in jener kritischen Periode zur Geltung gebracht worden, in der das klassische Alterthum seiner Auflösung entgegenging. Der Papismus aber hat es verstanden, alle jene Tugenden in ihr direktes Gegentheil zu verkehren und dabei doch die alte Firma als Aushängeschild zu bewahren. An die Stelle der christlichen Liebe trat der fanatische Haß gegen alle Anders- gläubigen; mit Feuer und Schwert wurden nicht allein die Heiden ausgerottet, sondern auch jene christlichen Sekten, welche in besserer Erkenntniß Einwendungen gegen die aufgezwungenen Lehrsätze des ultramontanen Aberglaubens zu erheben wagten. Ueberall in Europa blühten die Ketzergerichte und forderten un- zählige Opfer, deren Folterqualen ihren frommen, von "christlicher Bruderliebe" erfüllten Peinigern besonderes Vergnügen bereiteten. Die Papstmacht wüthete auf ihrer Höhe durch Jahrhunderte erbarmungslos gegen Alles, was ihrer Herrschaft im Wege stand. Unter dem berüchtigten Groß-Inquisitor Torquemada (1481 bis 1498) wurden allein in Spanien achttausend Ketzer lebendig verbrannt, neunzigtausend mit Einziehung des Vermögens und den empfindlichsten Kirchenbußen bestraft, während in den Nieder- landen unter der Herrschaft Karl's des Fünften dem klerikalen Blutdurst mindestens fünfzigtausend Menschen zum Opfer fielen. Und während das Geheul gemarterter Menschen die Luft er- füllte, strömten in Rom, dem die ganze christliche Welt tribut- pflichtig war, die Reichthümer der halben Welt zusammen, und wälzten sich die angeblichen Stellvertreter Gottes auf Erden und ihre Helfershelfer (welche selbst nicht selten dem weitestgehenden Atheismus huldigten!) in Lüsten und Lastern jeder Art. "Welche Vortheile," sagte der frivole und syphilitische Papst Leo X. ironisch, "hat uns doch diese Fabel von Jesus Christus XVII. Papismus und Chriſtenthum. Menſchenliebe im beſten und höchſten Sinne des Wortes, alledieſe wahren Lichtſeiten des Chriſtenthums ſind zwar nicht von ihm zuerſt erfunden und aufgeſtellt, aber doch erfolgreich in jener kritiſchen Periode zur Geltung gebracht worden, in der das klaſſiſche Alterthum ſeiner Auflöſung entgegenging. Der Papismus aber hat es verſtanden, alle jene Tugenden in ihr direktes Gegentheil zu verkehren und dabei doch die alte Firma als Aushängeſchild zu bewahren. An die Stelle der chriſtlichen Liebe trat der fanatiſche Haß gegen alle Anders- gläubigen; mit Feuer und Schwert wurden nicht allein die Heiden ausgerottet, ſondern auch jene chriſtlichen Sekten, welche in beſſerer Erkenntniß Einwendungen gegen die aufgezwungenen Lehrſätze des ultramontanen Aberglaubens zu erheben wagten. Ueberall in Europa blühten die Ketzergerichte und forderten un- zählige Opfer, deren Folterqualen ihren frommen, von „chriſtlicher Bruderliebe“ erfüllten Peinigern beſonderes Vergnügen bereiteten. Die Papſtmacht wüthete auf ihrer Höhe durch Jahrhunderte erbarmungslos gegen Alles, was ihrer Herrſchaft im Wege ſtand. Unter dem berüchtigten Groß-Inquiſitor Torquemada (1481 bis 1498) wurden allein in Spanien achttauſend Ketzer lebendig verbrannt, neunzigtauſend mit Einziehung des Vermögens und den empfindlichſten Kirchenbußen beſtraft, während in den Nieder- landen unter der Herrſchaft Karl's des Fünften dem klerikalen Blutdurſt mindeſtens fünfzigtauſend Menſchen zum Opfer fielen. Und während das Geheul gemarterter Menſchen die Luft er- füllte, ſtrömten in Rom, dem die ganze chriſtliche Welt tribut- pflichtig war, die Reichthümer der halben Welt zuſammen, und wälzten ſich die angeblichen Stellvertreter Gottes auf Erden und ihre Helfershelfer (welche ſelbſt nicht ſelten dem weiteſtgehenden Atheismus huldigten!) in Lüſten und Laſtern jeder Art. „Welche Vortheile,“ ſagte der frivole und ſyphilitiſche Papſt Leo X. ironiſch, „hat uns doch dieſe Fabel von Jeſus Chriſtus <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0383" n="367"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XVII.</hi> Papismus und Chriſtenthum.</fw><lb/> Menſchenliebe im beſten und höchſten Sinne des Wortes, alle<lb/> dieſe wahren Lichtſeiten des Chriſtenthums ſind zwar nicht von ihm<lb/> zuerſt erfunden und aufgeſtellt, aber doch erfolgreich in jener<lb/> kritiſchen Periode zur Geltung gebracht worden, in der das<lb/> klaſſiſche Alterthum ſeiner Auflöſung entgegenging. 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XVII. Papismus und Chriſtenthum.
Menſchenliebe im beſten und höchſten Sinne des Wortes, alle
dieſe wahren Lichtſeiten des Chriſtenthums ſind zwar nicht von ihm
zuerſt erfunden und aufgeſtellt, aber doch erfolgreich in jener
kritiſchen Periode zur Geltung gebracht worden, in der das
klaſſiſche Alterthum ſeiner Auflöſung entgegenging. Der
Papismus aber hat es verſtanden, alle jene Tugenden in ihr
direktes Gegentheil zu verkehren und dabei doch die alte
Firma als Aushängeſchild zu bewahren. An die Stelle der
chriſtlichen Liebe trat der fanatiſche Haß gegen alle Anders-
gläubigen; mit Feuer und Schwert wurden nicht allein die
Heiden ausgerottet, ſondern auch jene chriſtlichen Sekten, welche
in beſſerer Erkenntniß Einwendungen gegen die aufgezwungenen
Lehrſätze des ultramontanen Aberglaubens zu erheben wagten.
Ueberall in Europa blühten die Ketzergerichte und forderten un-
zählige Opfer, deren Folterqualen ihren frommen, von „chriſtlicher
Bruderliebe“ erfüllten Peinigern beſonderes Vergnügen bereiteten.
Die Papſtmacht wüthete auf ihrer Höhe durch Jahrhunderte
erbarmungslos gegen Alles, was ihrer Herrſchaft im Wege ſtand.
Unter dem berüchtigten Groß-Inquiſitor Torquemada (1481 bis
1498) wurden allein in Spanien achttauſend Ketzer lebendig
verbrannt, neunzigtauſend mit Einziehung des Vermögens und
den empfindlichſten Kirchenbußen beſtraft, während in den Nieder-
landen unter der Herrſchaft Karl's des Fünften dem klerikalen
Blutdurſt mindeſtens fünfzigtauſend Menſchen zum Opfer fielen.
Und während das Geheul gemarterter Menſchen die Luft er-
füllte, ſtrömten in Rom, dem die ganze chriſtliche Welt tribut-
pflichtig war, die Reichthümer der halben Welt zuſammen, und
wälzten ſich die angeblichen Stellvertreter Gottes auf Erden und
ihre Helfershelfer (welche ſelbſt nicht ſelten dem weiteſtgehenden
Atheismus huldigten!) in Lüſten und Laſtern jeder Art. „Welche
Vortheile,“ ſagte der frivole und ſyphilitiſche Papſt Leo X.
ironiſch, „hat uns doch dieſe Fabel von Jeſus Chriſtus
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